II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 116

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4.9. Anatol - Zyklus
burg, Toronto.
gelangte das Gewehr
Ausschnitt aus:
vom 5. CEL. Breslauer Zeitung
Premieren.
Berlin, 3. Dezember.
Während das „Neue Schauspielhaus“ sich zur Hebung seines
immer mehr am Historischen hängenden Spielplans den Mephisto der
Alt=Wiener Posse, Johann Nestroy, und seinen dreiaktigen Schwank
„Der Zerrissene" verschrieb, rekonstruierte das „Lessing¬
theater“ mit der Aufführung von fünf Anatol-Einaktern, die zu
einem abendfüllenden Zyklus vereint wurden, ein jüngeres Bildnis
lers aus der Zeit von vor siebzehn Jahren: aus

der dreißigjährige noch nicht zwischen Ibsen und
— Sardou stand, sondern das von Richard Dehmel mit tiefem Ernst
angeschlagene Thema „Weib und Welt“, im lässig heiteren Sinne variierte.
Man hat diese galanten Lustspiel-Intermezzi schon häufig aufgeführt,
die „Episode", die gestern zwischen „Frage an das Schicksal", „Wech¬
nachtseinkäufe", „Abschiedssouper" und „Anatols Hochzeitsmorgen" stand,
hier und da durch die ernsthafter gearteten „Denksteine ersetzt, aber
immer den Kunstbau des Anatol-Komplexes zerstückt, indem man — für
ein lever de rideau oder den Abschluß eines Theaterabends — nur
einzelne der Einakter aus dem Zusammenhang riß. Das geht nicht!
Nur wenn man diesem Faublas der Neu=Wiener Decadence, der seine
Liebesevolutionen vor dem Spiegel einstudiert, eine Zeitlang von Akoven
zu Alkoven, von Abenteuer zu Abenteuer folgt, wird man ganz verstehen,
welche scharfe, zynische Menschenkritik in den Einzelheiten dieses ge¬
fälligen Spieles eingeschlossen liegt; man wird begreifen, wie Schnitzler
hier nur in der Form gallisch anmutig ist (ein klügerer Capus, ein
munierer Donnay), wie er aber in der Tat mit dem rücksichtslosen Sar¬
kasmus Nestroys die Empfindungen seiner Nachbarn, seiner Nachbarinnen
und nicht zum wenigsten seine eigenen auf ihre Echtheit nachprüft. Das
Resultat; ein Hohngelächter, wenn es auch hinter den Portieren des
Anatol-Salons ein wenig gedämpft klingt. Nichts von Heldentum in
dieser Liebesmelodie, die fast von Takt zu Takt die Themen wechselt.
Nein: mit schneidender Aufrichtigkeit geben Anatol, der Dichter=Viveur
mit der Stirnlocke, geben die Zerlinen, die dem modernen Don Juan
in sein Palais folgen, zu, daß es ihnen allen weniger darauf ankommt
echte Gefühle ausströmen zu lassen, als geschickt die Stichworte der Ge¬
fühlsrolle zu bringen; daß sie Puppenspieler und spielerinnen sind, denen
das Wahrhaftigkeitsexamen ohne weiteres die Larve von den zur Gri¬
masse heuchlerischer Süßlichkeit verzogenen Gesichtern reißen müßte.
Bei der Aufführung des „Lessing heaters sah man diese Grimasse in
einem Falle mehr als es gut war. Denn Herr Mounard (Anatol
erhob die kokette Gespreiztheit, welche die ewig düpierte Unwiderstehlich¬
keit des Dichterlings nur als leise ironischer Nebenton geleiten darf
so macht es in dieser Rolle Josef Jarno, jetzt in Wien —, zum führen¬
den Charakterzug seines Bildes. Das aber verdarb der Rolle das Kon¬
zept. Es entstand ein „Schaute mit vergnügten Sinnen", kein immerhin
sympathischer Vogelfanger, dessen Bauer, aus welchen Gründen auch
immer, dauernd gefüllt ist. Und keineswegs war zu erkennen, daß dieses
massio-karikaturistische Porträt als erste Skizze zu Herrmann Bahrs
Gustav Heink“ und zu Schnitzlers „Meister Amadeus" gedacht ist. Auch
Reicher als Anatols Eckermann (Max), die Triesch als letzte Rose
auf dem Junggesellenwege Anatols (Ilona) hatten zu viel Erdenschwere
Um so wirbelnder wirkte die mousseuraltige Pikanterie des Fräuleins
Sussin, die der Annie im „Abschiedssouper“ zugute kam und endlich
einmal Hansi Nieses hallendamenähnliche Derbheit aus dem geschmeidigen
Körper dieser ramine berausdrängte. Und Frl. Lina Lossen ab
mit verführerischer Schlichtheit jene anständige Frau“ in den „Weih¬
nachtseinkäufen", die es Anatol gegenüber um alles gern einmal nicht
gewesen wäre.
Das Publikum amüsierte sich ausgezeichnet: so ausgezeichnet, wie es
sich neuerdings im Hause Otto Brahms immer amüsiert, seit es nach den
Erfolgen von Herrmann Bahr und Björnson dort gestattet ist, sich zu
Walter Turszinsky.
amüsieren und nur zu amüsieren.
unt. Hilfenschaft und in
Telephon 12.801.

OBSER
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Wien
50
vom
Aus Berlin wird uns telegraphiert: Im Lessing=
theater erzielte Schnitzlers „Anatol“=Zyklus heitere Erfolge.
Die Aufführungen waren sein gestimmt. Heinz Monnard
spielte den Anatol etwas gedehnt, mit einem gewissen
wienerischen, literarischen Kaffeehauston, aber mit über¬
legenem Humor, fein ironischer Sentimentalität und
charakteristischen Variationen. Er erzielte neben
Reichers ausgezeichnetem Max den darstellerischen Haupt¬
erfolg an diesem amüsanten Theaterabend.