II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 117

4.9. Anatol
box 8/5
Zyklus
1. von
Wien, L, concordiaplatz.
ordnungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Geni, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
de des be¬
Ausschnitt aus:
Berlin
an das
5-OLLEUR 1910
vom
mut eines Frühlingstages und den Geist eines
Schnitzlers
Mädchens hat, das zu lieben weiß. Dies Ratten¬
fängerchanson vermag die gelassene Gabriele
nicht zu ködern. Er muß schon in der Vorstadt
Junggesehenkomödie
bleiben, bei den Grisetten und den Damen vom
Chor. Spielt den Ueberwinder und wird über¬
„Anatole im Tessingtheater.
wunden. Annie lädt er zum „Abschieds¬
Liebe vertraute Schatten huschen über Otto
souper, aber nicht er gibt den Abschied, er
Brahms ernste Bühne: lachen, necken sich, küssen
bekommt ihn. Und eine Zeit später muß er
sich. Anatol und seine süßen Wiener Mädl.
mit Bitterkeit erkennen, daß er so sehr in Bi¬
Der sentimental-heitere Genießer von 1893
ancas Zirkusherzen nur „Episode" gewesen
lächelt wieder in der nehmutsvollen Pose des
war, daß sie ihn nach kurzer Zeit der Trennung
leichtsinnigen Melancholikers zu seinem Spiel
nicht einmal zu erkennen vermag. Anatols Ab¬
mit den Annies und Coras, die so animalisch
stieg von der Triumphleiter erfolgt direkt in
frisch sind trotz Ballet, und Reifenspringen, und
den Ehestand. In der Nacht vor dem „Hoch¬
so viel guten Appetit auf Sachersche Schnitzel
zeitsmorgen" nimmt er sich die tempera¬
haben und so graziöselbstverständlich die Treue
mentvolle Ilona von der Redoute nach Hause
nicht halten können.
mit. Und al sie ihm anders Tags nur nach
Schatten einer Jugend, die siebzehn Jahre
wildem Kampf den Weg zum Altar freigibt,
zurückliegt. Aber sie wird lebendig, sie hebt
ruft sie dem Schlafzimmer ein: „Auf Wieder¬
ihren unverblühten Kopf. Annies Rausch¬
sehen!" zu
röckchen von dazumal sind der totalen Jupon¬
losigkeit gewichen; Annie fährt heute auch sicher¬
Hier ist die Junggesellen Komödie
lich nur noch Auto, das es damals noch nicht
Anatol zu Ende. Sie ist rund, abgeschlossen, und
gab; — sonst ist sie aber so zwanzigjährig wie
läßt doch einen Blick in die Ferne zu. Anatol
einst. Sie ist ein Typ, der bleiben wird, so lange
der Ehemann. An den hat Schnitzler in
es eine Jugend gibt, die das Leben leicht und
siebzehn Jahren nicht gedacht. Wohl die Trivia¬
die eingebildeten Schmerzen nur so lange ernst
lität abgegraster Ehebruchsthemen scheuend.
nehmen wird, als es die alles heilende Zeit,
Das Lessingtheater hat nun das Bestehende
oder die alles belächelnde Ironie eines innerlich
gründlich angefaßt. Nicht ganz im tändeln¬
unbeteiligten Beobachters — Max heißt er bei
saloppen Stil der Stückchen war deren Dar¬
Schnitzer — nicht als ein holdes Nichts ent¬
stellung, die allerlei Süßes und Mild=Graziles
hüllt.
verfärbte.
Fehlt aber auch die beglückende Ausgelassen¬
Dafür, daß Brahm eine Wiederbegegnung mit
heit einer Hansi Niese für Annies Souper¬
Anatol und Max, mit Cora und Bianca, mit
Fidelität, ist auch der Anatol Heinz Mon¬
Ilona, Annie und Gabriele vermittelt hat, ge¬
nards zu schwerblütig, posierte Melancholie
bührt ihm ein schwerer Kuppelpelz. Er wird
in kratzige Uebellaunigkeit verkehrend, ist auch
ihn wohl bekommen, denn die herzliche Vergnüg¬
Emanuel Reicher für die Ironien des May
lichkeit, die der entzückende Anatol=Abend erzeugte,
zu philiströs=behäbig, zu plumpunelegant und
wird wohl nicht nur den Premierenbesuchern
zu fünfundvierzigjährig, so ist doch durch eine,
reserviert bleiben. Die Köstlichkeiten der
sich zu Fröhlichkeiten stachelnde Regie und durch
Schnitzlerschen fünf Einakter, die werden, un¬
die komischen Talente einiger jüngerer Schau¬
verbraucht und unverblaßt, dem Ergötzungshunger
spielerinnen der Abend zu voller Ergötzlichkeit
einer herangereiften Generation üppige Kost
gediehen. Fräulein Somary war ganz sanft¬
sein. Brahm hat nichts weiter getan, als eine
bereites Medium, Hilde Herterich ein ent¬
einfache Sache ausgeführt, die nur die Winzig¬
zückend vergeßliches Zirkusmädel, und Frau
keit von siebzehn Jahren von niemand gemacht
Irene Triesch, deren fein parodistisches
worden ist. Schnitzlers Anatol-Einakter sind
Können nur zu selten vor Aufgaben gestellt ist,
öfter einzeln gegeben worden, etwa um Hansi
gibt der Ilona ein glaubhaft ungarisches
Nieses inzwischen ganz der Operette verschrie¬
Naturell.
bene Humore himmlisch zu belichten, oder sonst¬
Die Ueberraschung heißt: Mathilde
wie um einen Abend, der einer dreiaktigen
Sussin. Sie war die Annie; sehr amüsant
Fadesse gehörte zu füllen. Sie einmal ganz
beschwipst, sehr drollig unmanierlich. Aber die
allein für sich sprechen zu lassen, darauf war
Leistung an sich ist weniger überraschend als die
bis heute niemand gekommen. Und wenn ich
Tatsache, daß eine Darstellerin so verwegener
nicht irre, ist nur geschehen, weil zur
Lustigkeiten jahrelang griesgrämige Mütter und
allerhand andere bejahrte Weiblichkeit zu ver¬
Aufführung de gungen Medardus der Mut
Körpern hatte. Sind solche Irrtümer möglich?
ehlt und der digende Dichter irgendwie ent¬
Es geht wohl nichts über den „Blick der
schädigt werden soll.
Denkenden ....
Norbert Falk,
Nun, die Entschädigung darf er sich ge¬
fallen lassen. Die fünf Anatol-Szenen fügen
sich zu einer runden fünfaktigen Komödie. Die
Beiber wechseln, Anatol und sein Freund Max
sind das Beharrende. Der posierende Viveur
Anatol, der sich die Rolle des Herzenzertreters
andichtet, ist immer nur ein naiv betrogener
harmloser Betrüger; und wenn er im ersten
Stückchen, der „Frage an das Schicksal,
zu feige ist, die hypnotisierte Geliebte zu fragen,
ob sie ihm treu sei, weil er die verneinend