II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 171

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4.9. Anatol
Zyklus
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Mallenangabe uns beruhe
Ausschnitt
meine Zeitung, München
1911
vom

das Haus war bedauerlicherweise halb leer, und doch ist es
der Mühe wert, sich dieses spanische Stiergefecht des schwäbi¬
schen Dichters einmal anzusehen.
Im Schauspielhaus aber kam ein sehr alter Schnitzler
zum stenmal heraus: sein „Anatol“, mit Weglassung
zwei Szenen „Denksteine“ und „Agonie". „Die Frage an
das Schicksal“ und das „Abschiedssouper" sind an verschie¬
denen Theatern wiederholt auch hier gegeben worden, neu
waren also nur: „Episode", „Weihnachtseinkäufe" und „Ana¬
tols Hochzeitsmorgen". Wäre Gustav Waldau nicht das
Prototyp eines „Anatol“, so würden die fünf Einakter ziem¬
lich langweilig gewirkt haben, denn sowohl der Wiener
Typus des „süßen Mädels", wie die fünfmal stets nur vor
einer anderen Dekoration sich abspielende „Liebelei“ eines
halb sentimentalen, halb frivolen Wiener Früchtels sind heute,
man muß sagen Gott sei Dank, ziemlich verbraucht und über¬
wunden. Damals war die Geschichte neu, heute hat sie
Schnitzler selbst längst überholt, wenn auch nicht in sich über¬
wunden, insoferne das in der „Liebelei“ angeschlagene Thema
überall bei ihm wiederkehrt. Wie so viele neben ihm, ist auch
er nur imstande, stets über ein und dasselbe Thema, über das
sexuelle Problem zu schreiben. Im übrigen können wir unsere
Leser auf den in der heutigen Nummer enthaltenen Essay
unseres geschätzten Wiener Mitarbeiters, Theodor von Sos¬
nosky, verweisen, der die literarische Erscheinung und Ent¬
wicklung Schnitzlers ganz in unserem Sinne zu würdigen
weiß. Die Aufführung war, wie ja meistens bei Stollberg,
sehr lebhaft und lustig. Ferdinand Götz hatte fünf verschie¬
dene, bei aller Einfachheit geschmackvolle Rahmen zu den ein¬
zelnen Szenen geschaffen, deren weibliche Sterne Stein¬
brecher, Landing, Gerhäuser, Woiwode und Schaffer hießen.
Am erfolgreichsten war Fräulein Woiwode im „Abschieds¬
souper“. Der gemütliche und natürliche Partner Herrn
Waldaus way Herr Randolf. Es wird sich nun zu zeigen
haben, ob sich wirklich außer dem „Abschiedssouper“ auch die
anderen Szenen des „Anatol“ heute noch auf die Dauer halten
lassen.

Bitte Rückseite beachten!
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(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
unser Neueste Nachrich,
vom 25. A
Anatol
Im Schauspielhaus spielte man Anatol. Wien
Schnitzer Anatol. Wie anders wirkt
dies Zeichen auf mich ein! Ein schönes Gefühl
der Sicherheit bemächtigt sich des Zuschauers zu¬
erst. Eine Zuversicht zum Führer, von dem man
spürt, daß er das Gelände, durch das er uns
spazieren läßt, kennt bis zu den Wurzeln der
Fliederbäume hinunter, bis hinauf in die Dach¬
stubenwinkel, bis hinter die Separégardiner und
bis in den Herzmuskel seiner Menschen hinein.
Hier gibt es keine spanischen Granden, keine napo¬
leonischen Offiziere, keine dolchtragenden Damen.
Nicht Schlösser, nicht Scharmützel in Provinzen
mit schwer zu merkenden Namen. Hier wohnen
Menschen von Anno heute, fesche Leut; witzige
Pathetiker, sentimentale Bummler, diskrete Kellner,
jektschlürfende Philosophen, füße Mädeln und gnä¬
dige Frauen. Anatol, der Held der Mitte, hat
einen romantisch klingenden Namen, und Sym¬
bolisten könnten sogar herausfinden, daß die ganze
Schnitzlersche Heptalogie nichts anderes sei als ein
Stierkampf. Aber hier verläuft alles untragisch,
statt Blut fließt Champagner, und wenn doch
Tränen tropfen, so sind sie das Sekret des Lächeln
und nicht des Weinens. Eine lustige Welt, und
Herr Anatol ist ihr Eroberer, Besiegter und Sie¬
ger zugleich.
Die sieben Stücke des Zyklus sind wie sieben
Tempel seines Ruhms. Fünf davon werden im
Schauspielhaus gezeigt, in der sehr geschmackvollen
Aufmachung, die Kunstmaler Goetz ihnen hat an¬
gedeihen lassen. In jedem dieser stilvollen Gehäuse
ist eine andere Nymphe Königin, wodurch denn
das weibliche Ensemble ein stattliches Fähnlein
auszusenden gezwungen wird. Im allgemeinen
müssen die neuen Besetzungen gelobt werden. Die
Frage an das Schicksal gibt Fräulein
Steinbrecher Gelegenheit zu einigen Antwor¬
ten, die Episode Frl. Landing zu ein paar
Munterkeiten. In Weihnachtseinkäufe ver¬
mag Frau Gerhäuser den inneren Gefühlsquell
bis in die Tiefe aufzudecken, in Anatols Hoch¬
zeitsmorgen Fräulein Schaffer die Kas¬
kaden des Schmerzes unterschiedliche Stufen hin¬
abspringen zu lassen. Das Abschiedsouner
erhielt durch Fräulein Woiwode die nötige
Dosis Sektlaune. Als Maître du plaisir wan¬
delte Herr Waldau charmant und plaudernd aus
einem Stückchen in das andere, Anatol ganz vom
Scheitel bis zu den Spitzen der Lackschuhe, in
Treuen geleitet und beplauscht von seinem lieben
Randolf, der den Max spielte. Alles in allem
ein Abend, der dem Publikum gar lustig einging
und vermutlich auch den Darstellern einige Freude
machte.
Richard Elchinger

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