II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 185

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4.9. Anatol

Nüancen=Tünche. Anatol ist so ein sonderbarer Schwärzen dem guten Abgan
Stimmgefistele als A¬
mer, der jeder seiner Amouren, ob sie nun im Hinter¬
stüchen des Vorstadthauses sich mühsam den kärglichen Akt mißfiel mir im
korrigieren. Von den
Lebensunterhalt erstichelt, oder als lebenslustiges
Balletenschen uneingeengt von moralischen Hemmungen Frl. Jauck, die and
rinnen in den Dam
durchs Dasein tänzelt, oder schließlich als wohlerzogene
(Bianca) und Fabr.
Mondaine nur geschmackvoll und heimlich sündigt, eine
individuelle Seele andichtet; sein Auge haftet am faden meinen gut mit ihren
Alles in allem:
dünnen Nüancenschleier und ist blind dafür, daß überall
Bitte Rückseite beachten!
Ansehens wohl wert
ein und dasselbe Wesen dahintersteht: das Weibchen.
das Breslauer Publi¬
Anatol gegenübergestellt finden wir den anderen Ge¬
Telephon 12.801.
Wege geht, wie der
nießerty, seinen Freund Max. Eine Petronius Natur,
Schauspiels hinlänglich
kühl und skeptisch veranlagt; die guten Geistesgaben zu
sante, dramatisierte
fein ironisierenden Spott verspielend; mit nur einen
(con variacione). D.
anerkannten Gott: dem guten Geschmack. „Leichtsinnigen
Melancholiker charakterisiert sich Anatol in einem der liche für die Inssen
OBSERVER
(nicht aufgeführten) Einakter („Weihnachtseinkäufe"), aber nehmen, daß der er
mit dem Substantiv hat er Unrecht, seine Melancholie ist theater Sonnabendu
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für
längere Zeit treu ble
ausgeklügelte Pose, raffiniert erdacht zur Genußerhöhung
Zeitungsausschnitte
des im Grunde banalen Genießers, weit eher haftet der
Seelenruhe (im Sinne der Ataraxie der antiken Skeptiker)
Wien, I., Konkordiaplatz 4.
seines Freundes Max Melancholie an. Trotz des lachenden
Vertretungen
Spottes! — Und die Charaktere der vier Frauen? Nun,
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania
eben: Weibchen! Man erlasse mir die Nüancenschilderung.
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
Gut ausgewählt sind die vier Einakter: „Frage
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, Peters¬
an das Schicksal", „Abschiedssouper", „Episode", „Anatols
burg, Toronto.
Hochzeitsmorgen". Sie genügen vollauf zur Charakter¬
analyse der zwei Männer. Am besten gefiel der zweite
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Einakter „Abschiedssouper"; auch weil er weitaus am
Ausschnitt aus
besten gespielt wurde. Die Jauck war hier unübertreff¬
lich in der Darstellung des Theatermädel Annte:
Famos offenherzig, allerliebst beschwist, wundervoll ver¬
1911
fressen (der einzig prägnante Ausdruck) und reizend bös¬
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un
artig, als ihr Anatol klar macht, daß auch er bereits Er¬
betheuer.
satz für sie in petto hat. Weit kühler ließ die „Frage an
„Anatol. Von Arthur Schnitzler. Als
eins ist Schnitzler zum mindesten in seinen jeden Ein¬ das Schicksal, die der mit Hypnotiseurfähigkeiten begabte
Anatol — nicht tut, obwohl es ihm ein Leichtes wäre,
aktern, von denen am Sonnabend vier in Szene girgen,
gelungen: der Nachweis nämlich, daß es Lebemännchen von der hypnotisierten augenblicklichen Coeurdame zu er¬
fahren, ob sie ihm wirklich treu ist. „Episode" und „Hoch¬
gibt, die das Weib (bitte, den Typus: Weibchen!) noch
zeitsmorgen" sind amusant und fanden Beifall.
ernst nehmen. Sie lassen sich durch Nüancen täuschen, von
Müller als Max war wieder voll auf der Höhe
denen sich jede Frau meinetwegen eine besondere zum
sein lächelnder Spott war so echt wie sein ästhetischer
Eigengebrauch zurecht gemacht hat; aber, du lieber Himmel,
Widerwillen gegen Maxens Geschmacklosigkeit, den er am
der Fliederbusch dort bleibt doch nun mal „Der Flieder¬
busch, ob ich ihn nun in knospender, zartgrüner Früh¬ „Hochzeitsmorgen" mühsam aus den Armen der letzten
lingspracht, oder in voller duftender Blüte, oder als Flamme entwinden muß. Skodas Anatol dagegen war
mählich entlaubender Herbststrauch betrachte, und keineswegs überall einwandfrei, arg übertrieben war unter
Weibchen“ bleibt „Weibchen“ trotz noch so geschickter anderem z. B. der Abgang in der Episode (im Gegensatz