II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 195

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4.9. Anatol
Z

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DER VER
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New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
1911, Züricher Zeitung
on
merchen mit dem Blick über die Dächer und den du lernen wir Vertreterinnen einer Weiblichkeit kennen,
Feuilleton.
tenden Frühlingsblumen und glauben der Musiker die auf das Abenteuerreiche ihres Liebeslebens ein¬
tochter liebe, herzliche Stimme zu hören... Es ist gerichtet ist, die aber doch im Moment sich ehrlich
von Kennern Wiens behauptet worden, diese von an ihre Gefühle, an ihre Leidenschaft hingibt; nur
Theater.
Schnitzler im Anatol mit leiser Meisterhand gezeich¬ Treue und dergleichen hohe Dinge darf man von ih¬
nete Welt gehöre heute schon der Geschichte an, ent¬ nen nicht verlangen, das hat mit der Süße nichts zu
Pfauentheater: Anatol (31. Mai).
spreche der Wirklichkeit des heutigen Wien nicht
schaffen.
T. Zum „Anatol" Arthur Schnitzlaus hat Laris¬
mehr. Mag sein. Um so besser, daß dann wenigsten
Gespielt wurden die Sachen recht hübsch. Die
Hofmannsthal eine zierliche Einleitung in Trochäen
die Kunst des Wortes diese Welt so entzückend einge¬
Damen Ernst (Cora in „Die Frage an das Schick¬
geschrieben, datiert vom Herbst 1892, Verse eines
fangen und bleibend fixiert hat. An einer Stelle wird
sal"), Reiter (Gabriele in „Weihnachtseinkäufe")
Achtzehnjährigen zum Buch eines Dreißigjährigen, als zu einem eleganten Heim gehörig das Makart¬
Hochwald (Bianca in „Episode"), Klarenburg (Annie
Ein Rokoko=Wien — „das Wien des Canaletto, Wien
bukett genannt. Nun, damit hat's nun glücklich längst
im „Abschiedssouper"). Senken (Ilona in „Anatols
von Siebzehnhundertsechzig
zaubert er empor¬
ein Ende genommen, wie mit der ganzen Makart¬
Hochzeitsmorgen") gaben durchweg ihr Bestes. Ob
in der Laube vor Teppichen mit Schäferszenen von
Adoration; das kommt nie wieder. So magis denn
sich das temperament der ungarisch akzentuierten Ilo¬
Watteau „spielen wir Theater“: „spielen unsere eige¬
auch mit der von Spielerei und Künstelei nicht freien
na nicht zugunsten der Wirkung der etwas sehr heik¬
nen Stücke, frühgereift und zart und traurig, die Lebenslust der Dialoge sein. Aber was unvergänglich
len Situation der letzten Szene zu dämpfen emp¬
Komödie unsrer Seele, unsres Fühlens Heut und
bleibt, ist, wie schon gesagt, die Kultur, aus der diese
fehlen würde, sei unserm Oberregisseur zur Ueber¬
Gestern, böser Dinge hübsche Formeln, glatte Worte,
dichterischen Blüten ihren Saft gezogen haben. Sie
legung anvertraut. Die Lektüre gibt hier mehr als
bunte Bilder, halbes, heimliches Empfinden, Ago¬
hat jenen entzückenden österreichischen, wienerischen
die Bühne, weil sie weniger gibt. Herr Modes spielte
nien, Episoden..." Läßt sich Feineres, Treffenderes
Charme, den wir in dieser Vollendung nirgends sonst
in allen fünf Stücken den Anatol, behaglicher, be¬
sagen zur Charakteristik dieser Gespräche, Erlebnisse,
in deutschen Landen treffen. Man denke nur, neben
häbiger wohl, als dies in der Figur des Dichters liegt;
Konfessionen des Anatol, des „leichtsinnigen Melan¬
Schnitzler, neben Hofmannsthal, an Peter Altenberg.
im letzten Stück sollte er das kultivierte Wienertum
cholikers", wie er sich selbst nennt? Mit subtilen Hän¬
Ich habe nicht die Absicht, die fünf Anatol-Szenen,
Anatols nicht durch grüne Aufschläge auf dem braun¬
den, leicht spielerisch, graziös, pathoslos ist das alles
die uns, nach Brahms klugem Vorgehen, am Diens¬
samten Hauswams kompromittieren; denn in
angefaßt; man fühlt sich einer wirklichen Kultur
tag vorgeführt wurden, im Einzelnen zu besprechen.
dem blauen Zimmer sieht das koloristisch furchtbar
gegenüber, nicht nur des Geschmacks, auch des ganzen
Jede hat ihr besonderes Cachet, ihre besondere Klang¬
aus. Herr Rainer sekundierte als Freund Ma¬
Empfindens. Das macht den bleibenden künstlerischen
farbe. In den „Weihnachtseinkäufen" ist der Ton der
mit Glück den Anatol. Beide Schauspieler sprechen
Wert dieser Dialoge aus. Der Typus des „süßen
kultivierteste, man möchte sagen der reinste, tiefste:
das Wienerische flüssig, was gerade für diese Sachen
Mädels" erscheint in verschiedenen Varietäten. Ein¬
einer Weltdame wird da klar gemacht, daß es weib= von hohem Wert ist. Lebhafter Beifall wurde den
mal, in den „Weihnachtseinkäufen", vielleicht dem
liche Wesen gibt, die von ihrer Vornehmheit und
fünf Szenen gespendet. Frl. Klarenburg, die
wertvollsten Stück der Sammlung, ist bereits
Gewähltheit weit entfernt sind und doch seelische
Annie mit Verve verkörperte, durfte Blumen in
Umwelt der „Liebelei", die drei Jahre nach dem
Qualitäten besitzen, die kein Reichtum und kein
Empfang nehmen. Hoffentlich wird dem reizenden
Anatol erschien, und die rührende Gestalt der Chri¬
Lebensraffinement und kein äußerer guter Anstand
Abend noch manche Wiederholung beschieden sein.
stine skizziert; wir sehen das sonnige, einfache Zim= aufzuwiegen vermögen. In den vier andern Szenen