II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 298

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4.9. Anatol - Zyklus
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(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
vom
20
„Anatol.
Fünf Szenen von Arthur Schnitzler.
Erstaufführungarische Theater¬
Budapest, 25. Februar.
Man müßte eigentlich, ehe man über diese Auffüh¬
tung berichtet, ein wenig bei dem seltsamen und recht
bedauerlichen Umstand verweilen, daß der Dichter, dessen
nie für das Theater bestimmtes Jugendwerk nun doch
auf die Bretter gerät, in unserem Theaterleben niemals
die seiner würdige Stellung zugeteilt erhielt. Niemals war
er auf unseren Bühnen repräsentativ vertreten. Es bleibt
unentschieden, ob die allzu wienerische Atmosphäre seiner
früheren oder die allzu große Subtilität seiner späteren
Werke die Schuld daran trug. Man spielte
die „Liebelei", als er und die deutsche Bühne längst
anderswo hielt und für diese leise Wiener Vorstadttragödie
kaum mehr Resonanz da war. Man ergötzte sich auch an
dem doppelbodigen Raffinement seines „Grünen Kakadus
der wiederum ein wenig an der Peripherie seines Schaf¬
fens steht. Doch dem wahren Schnitzler, dem Schnitzler
des „Schleiers der Beatrice, der „Lebendigen Stunden
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kreist, ist wohl auch der Grund davon, weshalb man so
lange klug zögerte, diese liebenswürdigen kleinen Szenen
aneinanderzureihen, gewissermaßen eine gegen, die andere
auszuspielen. Freilich, ehe man diesen leicht dekadenten,
leicht posierenden und in seinen ewig ungestillten Sehn¬
sucht dennoch ernst zu nehmenden, fast ergreifenden
Frauenhelden ganz auswendig kennt, wie es in diesem
Hintereinander bald der Fall ist, genießt man auch heute
noch die köstlichen, innigen Reize, die ihn umschweben.
Seine leichtsinnige Weisheit, die Eleganz seiner Seele,
seine weiche Empfindsamkeit, dann auch die unhörbar ge¬
dämpfte Tragik dieses in Suchen und Sehnen, verfehlten
Lebens, und men genießt auch die Stimmung dieser vor¬
nehmen Lebensatmosphäre, die ihn umfängt, die Melodie
dieses Daseins, die wie ein sanftes, trauriges Geigenadagio
ist, in das von fern ein lustig=melancholisches Wiener
Walzerlied hineinklingt...
Doch ist es wahrscheinlich, daß solche Empfindungen
und Eindrücke nur diejenigen gewannen, die die Erinne¬
rung an die Lektüre des Buches begleitete. Die Bühne
muß derartige Dialoge, aus denen sich keinerlei Tun er¬
gibt, deren Bestes in Betonungen, Pausen, Andeutungen
liegt, notwendig vergröbern. Und die heutige Darstellung
brachte an Vergröberung und Verdeutlichung mehr als
das Notwendige, wiewohl die sorgfältige und liebevolle
Arbeit, die ihr ersichtlich vorausging, nicht unterschätzt
werden soll. Das erfreulichste Resultat dieser Arbeit bot
die Szenerie des zweiten Bildes, der „Weihnachtseinkäufe:
das Bild einer winkeligen Wiener Gasse bei abendlichem
Schneefall. In den Interieurs der anderen Bilder störte
die allzu große Sucht, modern und originell zu sein.
Noch mehr aber störten arge Besetzungsfehler. Herr Goth
ist gewiß ein ausgezeichneter, intelligenter und routinierter
Schauspieler, aber der Anatol liegt ihm fern. Just weil er
zu routiniert ist, weil seine Routine sich zu sehr an den
oberflächlichen, eleganten, hohlköpfigen Biveurs der
Pariser Posse glatt schliff. So wird auch sein Anatol
einem überlauten, überbeweglichen, platten Vergnügungs¬
menschen, während dieser doch ein nervöser, stiller, zu
grübelnder Reflexion neigender Herr ist, der sich selbst als
„leichtsinnigen Melancholiker bezeichnet, wobei der Ton auf
dem zweiten Worte ruht. Und wie könnte sich dieser ver¬
feinerte Lebenskünstler einen so banalen, peinlich unkulti¬
vierten Provinzler zum vertrauten Freunde wählen, wie
es der Max des Herrn Monar war, der sich fort¬
während, augenzwinkernd, über Anatol lustig zu machen
schien. Weit mehr waren — bis auf Frau Forrai — die
Damen am Platze. Sehr liebenswürdig und schlicht war
die kleine Reifenspringerin des Fräuleins Nagy und auch
Fräulein Bathory fand in den „Weihnachtseinkäufen" gut
den Ton ganz leiser, versteckter Trauer über versäumtes
Glück. Die effektvollste weibliche Rolle hatte in der letzten
Szene, der einzig dramatisch belebten, Frau G.=Kerteß
inne und ihr Temperament schoß und wirbelte da ganz
prächtig umher.
Das Publikum empfand die Sünden wider den Geist
Schnitzlers nur wenig. Und bekam es auch nicht den
Anatol des Dichters, so bekam es doch einige geistvolle,
flott gespielte Szenen, aus denen sich manch seines Wort
nach Hause tragen ließ. Es war verständlich und auch
verdient, daß der Abend zu einem lauten, vollen Erfolg
wurde.
20.







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