II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 299

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(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:

-
vom

„Anatol.
Fünf Szenen von Arthur Schnitzler,
Erstaufführung=Ungarische Theater
Budapest, 25. Februar,
Man müßte eigentlich, ehe man über diese Auffüh¬
tung berichtet, ein wenig bei dem seltsamen und recht
bedauerlichen Umstand verweilen, daß der Dichter, dessen
nie für das Theater bestimmtes Jugendwerk nun doch
auf die Bretter gerät, in unserem Theaterleben niemals
die seiner würdige Stellung zugeteilt erhielt. Niemals war
er auf unseren Bühnen repräsentativ vertreten. Es bleibt
unentschieden, ob die allzu wienerische Atmosphäre seiner
früheren oder die allzu große Subtilität seiner späteren
Werke die Schuld daran trug. Man spielte
die „Liebelei", ols er und die deutsche Bühne längst
anderswo hielt und für diese leise Wiener Vorstadttragödie
kaum mehr Resonanz da war. Man ergötzte sich auch an
dem doppelbodigen Raffinement seines „Grünen Kakadus
der wiederum ein wenig an der Peripherie seines Schaf¬
fens steht. Doch dem wahren Schnitzler, dem Schnitzler
des „Schleiers der Beatrice, der „Lebendigen Stunden",
des „Einsamen Weges, dem begegnete man auf unserem
Theater nicht. In dessen Bereich blieb die tiefe, nachdenk¬
liche, charmante Welt seiner Dichtung, blieb die holde und
traurige Anmut, der sterbensmüd lächelnde Leichtsinn, der
zarte, ironische Witz dieses österreichischen Dichters etwas
ewig Unbekanntes.
Im „Anatol liegt all sein Zauber, liegt alles We¬
sentliche seiner Persönlichkeit bereits beschlossen. Als vor
siebzehn Jahren etwa die Folge dieser sieben Szenen er¬
schien, von denen wir heute fünf — von Ludwig
Bir trefflich übersetzte — sahen, da gab es kein
zweites deutsches Buch, das bei fesselndster Gedankentiefe
und Lebensfülle so stimmungsvoll, so spielerisch leicht, so
gewichtlos graziös gewesen wäre. In der Gestalt dieses
nie widerstehenden Unwiderstehlichen floß irgendwie in
unendlich reizvoller Weise die Skepsis Bourgets, das über¬
legene Genießtum Wildes mit einer warmen, wienerisch¬
sentimentalen Daseinsfreude und mit mancherlei anderem
zusammen. Diese Gestalt war ein Kunstprodukt und doch
fand in ihr jeder ein Stückchen seines eigenen Ichs
wieder; man mußte sie lieben. Seither aber hat Schnitzler
zu sehr Schule gemacht, als daß sie heute noch so bezau¬
bernd, so überraschend wirken könnte wie damals. Dazu
kommt noch, daß Schnitzler sowohl wie unser ganzes
Kulturgefühl, über derartige, rein auf Erotik gestellte Ge¬
stalten hinausgewachsen ist. Am Ende sind ja alle seine
Menschen, Stefan Sala im „Einsamen Weg, Filippo
Locchi im „Schleier der Beatrice", das Musikerpaar im
„Zwischenspiel, alle, alle Erotiker. Aber sie sind alle da¬
neben doch auch etwas anderes, Wissenschaftler, Maler,
Musiker. Und diese einseitige Beleuchtung Anatols, der,
wiewohl unter ungemein geistvollen, wehmütig selbstver¬
siflierenden Aphorismen stets nur um Lieben und Liebe¬
leien, um Sehnsucht, Betrug, Ermüdung, Begierde umher¬
grübelnder Reflexion neigender Herr ist, der sich selbst als
„leichtsinnigen Melancholiker bezeichnet, wobei der Ton auf
dem zweiten Worte ruht. Und wie könnte sich dieser ver¬
feinerte Lebenskünstler einen so banalen, peinlich unkulti¬
vierten Provinzler zum vertrauten Freunde wählen, wie
es der Max des Herrn Z.=Monar war, der sich fort¬
während, augenzwinkernd, über Anatol lustig zu machen
schien. Weit mehr waren
bis auf Frau Forrai — die
Damen am Platze. Sehr liebenswürdig und schlicht war
die kleine Reifenspringerin des Fräuleins Nagy und auch
Fräulein Bathory fand in den „Weihnachtseinkäufen" gut
den Ton ganz leiser, versteckter Trauer über versäumtes
Glück. Die effektvollste weibliche Rolle hatte in der letzten
Szene, der einzig dramatisch belebten, Frau G.=Kerteß
inne und ihr Temperament schoß und wirbelte da ganz
prächtig umher.
Das Publikum empfand die Sünden wider den Geist
Schnitzlers nur wenig. Und bekam es auch nicht den
Anatol des Dichters, so bekam es doch einige geistvolle,
flott gespielte Szenen, aus denen sich manch seines Wort
nach Hause tragen ließ. Es war verständlich und auch
verdient, daß der Abend zu einem lauten, vollen Erfolg
wurde.
120.


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Külön separk.
Dejeuner R.A. 10 Diner K 6.