II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 468

4.9. Anatol
Zyklu-
für Zeit
ende

In den Kammerspielen erlebte dann noch Schnitz¬
lers „Anatol seine Auferstehung. Man kann nicht sagen,
war doch von starker Wirkung, denn Käte Dorsch
daß der zärtliche Held der reichen Wiener Abenteuer gealtert ist.
spielte die Mutter aus dem Volk mit all der quellen¬
Es ist uns nur fremd geworden, dies unbekümmerte, gefühlvolle
den Fülle ihres Frauengemütes. Gertrud Eysold
wärmen in die reizvolle Welt. Wir sind arm geworden und
war ihr durch Formen eingeengtes Gegenbild,
die Schauspieler insgesamt zeigen es uns, denn sie geben härtere
Auguste Prasch=Grevenburg die milde alte
und schärfere Konturen, sie erinnern sich wohl selbst kaum noch,
Frau von wahrer Vornehmheit. Der männ¬
wie lieblich es sich vor dem Kriege lebte. Edthofer gab den
liche Mittelpunkt, um den sich diese drei Mütter
Anatol, aber einen der Nachkriegszeit, einen, der unter Neu¬
und die von Eva Brock frisch und herzlich gespielte
reichen und Schiebern unter der Maske des Mannes trotz allem
Schwester gruppieren, wurde von dem jungen C. L.
seine gefühlhollen Seligkeiten nicht aufgeben will
Achaz in allzu betonter, aufgeregter Weise ver¬
körpert. Das Theater gastiert mit diesem Stück zeit¬
weise unter großem Zudrang im Großen Hause
zu Steglitz. — Im Kleinen Hause des dortigen
Schloßpartheaters bringt man einen inter¬
essanten Strindberg=Abend. „Der Paria", dieses
Zwiegespräch zwischen einem Mann, der aus Ver¬
sehen einen Totschlag begangen hat, und einem, der
vegen Fälschung im Zuchthause gesessen hat, und
vie sich herausstellt, im Gegensatz zu dem andern
eine wirklich gemeine Natur ist, wurde von den
beiden Schauspielern Forsch und Révy in so
Klose & Seidel
vollendeter Weise hingelegt, daß man trotz
der Unwahrscheinlichkeiten der Beweisführung
Bureau für Zeitungsausschnitte
durch jeden Satz gefesselt wurde. Weniger aus¬
geglichen war die sich daran schließende Aufführung
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
von „Scheiterhausen“, doch interessierte hier nament¬
lich die Gestaltung des Sohnes durch Paul Henkels
Einige Striche in dem quälend ausgedehnten Schluß

würden dem Stück wahrscheinlich einen besseren

Rhythmus geben. — Auch das Deutsche
Künstlertheater feiert auf der zweiten Steg¬
Zeitung:
litzer Bühne Triumphe mit „Der heilige Ambrosius
Kiel
oder vielmehr mit Max Adalbert in der Titelpark.
Die Kammerspiele haben, wahrscheinlich
Ort:
dem Schauspieler Anton Edhofer zu Liebe, auf
J. v. 1022
Schnitzlers „Anatol" zurückgegriffen, jener Serie
von fünf Einaktern, unter denen „Abschiedssouper
Datum:
der bekannte und wirksamste ist. Eine feine und nach¬
Von Berliner Bühnen. Die Rotterbühnen (Rest
klingende Wirkung ging diesmal auch von dem schein¬
„denz=, Trianon- und Kleines Theater) sind nicht
var so belanglosen „Weihnachtseinkäufe aus, denn
völlig auf die französischen Stücke eingeschworen
Lina Lossen war die junge Frau, die von dem Mann,
für die sie freilich in ihrem Personal die ausge¬
der ihr Herz erbeben macht, und dem sie doch nie¬
zeichnetsten Vertreter haben. Während im Residenz
mals eine Freiheit gestatten durfte, hören muß, wie
theater noch immer Schnitzlers „Das weite Land
ein süßes Mädel“ ihn beglückt. Die sonstigen vier
Zugkraft bewährt, erschien kürzlich im Trianon¬
Geliebten Anatols, jede von einer anderen Künst¬
theater in traumhaft huschenden Bildern Gerhart
serin vertreten, glänzten durch Laune, Temperament
Hauptmanns „Elga“ mit Tilla Durieux — die ihr
und Toiletten, die zum Teil die Grenzen des An¬
Fach im Lessingtheater vorübergehend an Marie
standes weit hinter sich ließen. Mit viel Reiz und
Fein abgetreten hat — in der Titelrolle. Sie gibt
die weise, in allen Liebeskünsten erfahrene Frau, Anmut, etwas obenhin, etwas bewußt, gibt Edhofer
die Hauptfigur, Hermann Thimig als hilfreicher
deren Zärtlichkeit von schwüler Sinnenglut durch
Freund stattete seine Rolle mit natürlicher Komik
tränkt ist und deren zum Schluß vervorbrechenden
aus. — Das „Jüdische Künstlertheater“ in
Haß dämonische Wildheit zeigt. Theodor Becken
der Kommandantenstraße beweist durch seine neueste
vom Staatstheater ist als ihr Gatte mehr der Mann
Gabe „Der Dorfung“ von Leon Kobrin, daß es ein
der schönen Linie als des vertieften Seelenlebens-
bemerkenswerter Spiegel, wenn nicht immer jüdi¬
im Gegensatz zu Conrad Veidt, dem Geliebten
Volkslebens
der ganz auf die Idee gestellt ist: Einmal das höchste
schen so doch russischen
Die Versuche, Talenten, denen sich die
Glück genießen und dann sterben. Grillparzers mo¬
stehenden Theater versagen, dennoch zur Auf¬
numentale, doch nur in den großen Zügen heraus
führung zu verhelfen, werden von verschiedenen
gearbeitete Novelle erhielt durch Hauptmann die
innere Musik, die seinen Schwingungen, die Ewig
Seiten immer von neuem wiederholt. So hat der
keitsgedanken mitzittern lassen, und dieser war die
Volkskraftbund im Zentraltheater das Schau¬
Regie Altmanns liebend nachgegangen. — Im
spiel „Desdemona von Gustav Adolf Petermann
Kleinen Schauspielhause ist der „Reigen
herausgebracht und einen sehr lebhaften Erfolg
durch Georg Hirschfelds „Die Mutter abgelöst. Da¬
erzielt, der namentlich vom dritten Akt an einsetzte.
Stück, das einst eine Hoffnung war, wirkt jetzt über
Warten wir ab, ob die Theaterdirektoren nun der
holt. Nicht durch den Dichter überholt, denn die fest
zupackende, sieghafte und im letzten Grunde erlösende Sache trauen werden. Daß sie mit unzureichenden
Kräften ins Werk gesetzt wurde, wird niemand be¬
Kraft, die non ihm damals stundete, hat sich be¬
Hirschfeld nicht eingestelt. Aber die Aufführung haupten können, denn die durchweg ante Darstellung
brachte sogar ein überraschendes Schauspielertalent,
die junge Rita Parsen, zum Vorschein, an der die
Direktoren gewiß nicht vorbeigehen werden. M.
box 9/3