II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 470

Zyklus
4.9. Anatol
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
leitung des
Ort:
Berlin
Datum:
Berliner Leben
Schnitzlers Anatolzyklus, aus der Vergan¬
genheit einer literarisch anders eingestellten Epoche im
Dämmerlicht der Kammerspiele, ist zu neuem Leben
erwacht, Liebenswerte Schwarz-Weiß-Kunst, die uns
das Leben des Genusses von der Kehrseite zeigt, ohne
aufzuwühlen, nur mit zarten Händen Silhouetten
schneidet: Episoden! Die klingende, schmerzlich¬
süße Melodik Straußscher Walzer schwingt in den
Worten. Die Freude steigt purpurn auf, und Frauen
tragen die Lebensschalen. — Anatol leidet an der nie
gestillten Erfüllung, aber er zerbricht nicht, weil sein
Blut sofort eine neue Symphonie des Rausches kom¬
poniert. Er grübelt über die Treue und Untreue der
Frauen, die ihn lieben, aber er zerquält sich nicht bis
zur Verneinung des Lebens. Diese Trauer streift uns
wie ein herbstlicher Hauch, aber die Melancholie
schwillt zurück zu der Quelle, die alle Menschen
speist: zur Liebe. Selbst sein Gegenspieler, sein
Freund Max, hat bei aller gegensätzlichen Lebensaus¬
fassung noch Poesie, sein Verständnis für die Eigen¬
art des Freundes erklärt sich zuletzt aus dem warmen
Mitempfinden für den „leichtsinnigen Melancholiker,
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Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 2
Zeitung: Hamburger Nachrichten
Ort:
Datum: Nr. 10
USA
leise Vater
den

Die meisten Brettermonarchen sehen freilich das Heil noch
immer der Importware, obwohl es ein Irrtum ist. Als in den
Kammerspielen, wo früher der Hühnerhof gegeben wurde,
Schnitzlers Anatol über die Bühne ging, merkte man erst, wie¬
viel seiner und vornehmer das Schnitzlersche Lustspiel ist, als das
des überdeutlich-sexuellen Franzosen. Rudolf Lothar, selber einer
der ärgsten Importeure Pariser Grisettenschwänke, hat da neulich
einmal einen Witz gemacht, wie man ihn vergebens in seinen
Stücken suchen dürfte: er hat seine Komödie „Der Werwolf,
die ganz vom seelischen Hautgout lateria Parisiorum und des
Verfassers erfüllt ist, einem Spanier zugeschrieben; so hatte er
am Lustspielhause einen Erfolg, der ihm schwerlich sonst zuteil ge¬
worden wäre. Dagegen sollen die Verfasser von „Der große
Bariton", den Direktor Robert in sein pomphaften und orts¬
gemäßen „Theater am Kurfürstendamm herausbrachte, zwei orts¬
tige Amerikaner sein. Das ist nicht unwahrscheinlich, denn deutsche
Autoren hätten sicherlich mehr von Wedekinds „Kammersänger
und Bahrs „Konzert" gelernt, die den gleichen Stoff unvergleichlich
witziger und bühnenmäßiger behandeln. Aber Herr Robert hatte
Albert Bassermann als Bariton gewonnen und das genügte
ihm, das Stück, einen glatten Reißer, einer hohen Kurfürsten¬
dämmlichkeit vorzuführe. Natürlich war Bassermann ausge¬
zeichnet, woran ihn auch seine Frau obwohl sie mitspielte, nicht
hindern konnte. Es bleibt aber doch traurig, daß unsere Pro¬
minenten so wurzellos umhergastieren und auf das Höchstgebot
wie die Zugvögel auf Futterplätze einfallen. Sie finden keinen
Geschmack mehr an Kunststätten und Zusammenarbeit, sie ver¬
pflichten sich nur noch für einzelne Rollen. Bassermann, Wegener,
Steinrück, Palle berg, Winterstein, Jannings, die Höflich,
Dorsch, Durieux, Triesch, Bertens, Grüning — sie alle und
viele andere filmen und gastieren, gastieren und filmen. Nirgends
mehr bemerkt man künstlerischen Ernst, nirgends große Ziele und
Aufgaben.
seelisch, seine herzgewinnende Art sichern ihm seit
- Und dann die Frauen selbst, die eigentlichen Ak¬
langem eine Sonderstellung unter den Berliner Kunst
teure der Handlung: Das Mädel aus der Vorstadt,
lern. — Mary Christians, das Vorstadtmädel, da¬
die bei Sekt und Austern mit übermütigen Kinder¬
Schampus-selige G'spusi, das seine Jugend vertollt,
augen in die neue Welt blickt, und die reife Frau,
weil nachher die faschingslose Ehe droht.
aus eben dieser Welt, die das einfache Mädel be
Köstlich, köstlich! — Und dann die Lossen! Ich
neidet um die ungebrochene Kraft ihres Empfindens,
kenne die Duse nicht, aber so und nicht anders muß
die wirbelige Tänzerin, die sich so leicht mit dem
sie in ihrer Glanzzeit gewesen sein:
anderen tröstet . . . . . sind sie nicht alle durch unser
Und wo man immer ihr begegnet...
Leben geschritten, haben wir nicht alle so ein Bündel
Stunden, die man erst später segnet.
vergilbter Briefe mit verwelkten Blumen, aus denen
an dämmernden Winterabenden am Kamin die Jugend
und der goldene Leichtsinn aufsteigt? . . . . . . Wir
waren wieder einmal 20 Jahre jünger, wußten nichts
von Krieg, Revolution, Menschheitsproblemen. Dem
Dichter sei Dank dafür. — Es gibt eigentlich nur
einen Berliner Schauspieler, der die lässige Non¬
chalance, die versonnenen Augen für die Verkörpe
rung des „Anatol" hat: Alfred Abel.
Nun ist Herrn Edthofer die Rolle anvertraut
und er gestaltet zwar nicht den Schnitzlerschen „Ana¬
tol, aber doch einen Menschen, der aus der Donau¬
stadt der Träume kommt und dem man gern glaubt,
daß die Frauen in ihn vernarrt sind. — Herr Thimig
ist Max. Seine gesunde Frische, körperlich und