II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 474

box 9/3
4.9. Anatol
Zyklus
Klose & Seide
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Leitung: Reichen
Ort:
Berlin
Datum:
2
„Anatol“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.
Vorwort: Schnitzler — niemand bestreitet ihm Ernst, Willen, menschlich
angenehme Züge, niemand seinem Werk Geschmack, Formqualität und je¬
nes Niveau, das die erste Voraussetzung wahrer und anständiger Kritik ist.
Hauptwort: Oesterreichertum und Judentum — die getrennt kein schlech¬
geben in ihrer
ter Boden für brauchbares Menschentum sein müssen
Verbindung leicht jene deprimierende Sorte weich labbriger Fadheit ab, die
der Norddeutsche in seiner von Operetten und deren Schöpfern her ge¬
speisten Kennerschaft als „wienerisch“ bezeichnet. Solch Bastard geistes
Kind ist — alles in allem — auch Anatol. Das jüngste Wiedersehen fand ihn
nicht nur stark gealtert. Man staunte auch, wie nichtssagend dieses Gesicht
geworden ist. Ein Lebemann, gewiß, braucht noch kein Casanova zu sein.
Aber, wenn er schon keine Figur macht, — sein Dichter müßte es! Das
ist der Fall Peter Altenberg. Unter manchem, was der Tag ihm zutrug, war
auch das jüdisch zersetzte Wiener Antlitz, aber er sah es so von oben, traf
es so sicher, daß die Greuel des Lebens zur Freude der Kunst wurden. Auch
seine Menschen reden oft den schlaff zerlassenen Dialekt des letzten Wie¬
ners, der ein Pallawatsch von einem Wiener ist und einen Juden" (Kraus),
aber ihr Autor redet ihn nicht. (Bei Schnitzler habe ich immer das Gefühl,
der Dialog sei nur unfreiwillig zart untermauschelt. Wäre Anatol nicht se¬
mitisch angehaucht, er wäre bestimmt noch dümmer. Aber dafür weniger
schmushaltig, wehleidig und nachdenklich. Was eine Wohltat wäre. Nur
nicht diese „gepflegte Melancholie „Bei der man immer zittert, sie könnte
gar „genießerisch sein. Richtig sagt auch der Anatol von seiner Vorstadt¬
Kleinen (Weihnachtseinkäufe), sie sei ein lauer Frühlingsabend, worauf eine
Verheiratete den Frühlingsabend zu grüßen bittet, von „einer, die nicht den
Mut hatte
Die ihn nicht hatte, hieß Lina Lossen. Dieses wunderbare Wesen, das
mehr Tiefen birgt als manches Autors gesammelte Werke, ist eine durch¬
schnittliche Schauspielerin. Aber aus den Fugen einer mittleren, undichten
Technik leuchtet, klingt, wärmt die reinste Menschlichkeit. Im Abschieds¬
souper war Margarete Christians nicht nur besser als gewöhnlich, sondern
geradezu vortefflich. Was man Edthofer (Anatol) nicht nachsagen kann.
Katz.
reau für Zeitungsau
Berlin 10. 43, Georgenkirch
Le
Zeitun

Schnitzlers „Anatol", dessen „leichtsinnige
Melancholie, wie der Erfolg beweist, auch heute
non ihre Reise hat, hat in den Kammerspie¬
In bereits zum 50. Male seine „Frage an das
Schicksal gestellt, seine „Weihnachtseinkäufe besorgt,
sein „Abschiedssouper gefeiert. Anton Edhofer als
der Don Juan der Ringstraße, Hermann Thimig als
sein ironisierenden Leporello vertreten die sentimen¬
tale und die heitere Note wienerischer Liebenswür¬
digkeit, ohne sich immer sehr genau an den Schnitz¬
lerschen Text zu halten, Margarethe Christians
Stella Arbenina und die anderen süßen Mädel¬
leisten ihnen und dem Publikum gute gesellschaft