II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 502

4.9. Anatol
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Zyklus


des Betrag ge¬
22. Dez. 1925
Münchner Residenztheater: Gustav Waldau als Anatol
Neben dem spannenden Dramolet „Der grüne Kakadu" hat Artur
Schnitzler als Dramatiker es nicht sonderlich weit gebracht, denn von
seinen Stücken fristen höchstens die dramatischen Dialoge wie „Der
Schwierige“ u. a. auf der Bühne ihr Dasein; alles andere ist verdienter¬
maßen verschwunden und vergessen. Auch der fünfteilige Zyklus
„Anatol“ ist nichts anderes als ein an der Grenze der Langeweile
stehender, da und dort bunt schillernder Dialog, der von der subtilen
psychologischen Skizze „Weihnachtseinkäufe zum schwankartigen „Hoch¬
zeitsmorgen führt. Liebenswürdiger Charme, Frivolität, Dekadenz,
Leichtsinn, Wankelmut und Charaktersschwäche, von dem aromatischen
Pathos der ewig lustigen Kaiserstadt Wien durchweht, feiern in dem
Presto eines trefflicheren, beschwingten Dialogs ware Orgien. Und
Anatol, der „verfluchte Kerl, eine typische Wiener Verfallgestalt, steht
der Mitte. Vor mehr als einem Jahrzehnt hat Gustav Waldau damit
en Ruhm begründet, als er am Münchner Schauspielhaus seinen
g zur Höhe zu nehmen begann. Heute gibt Waldau den hilflosen,
mmer unterliegenden Schwerenöter gereifter als Gestalt, vertiefter als
in der Autor selbst gezeichnet. Aus diesem Anatol klingt jener leicht
ragische Ton, der den inneren Reichtum Waldaus als echten Menschen
darsteller vor allem auszeichnet und seine Gestalten zu Menschen wandelt
in Stück subtil differenzierten Menschentums wurde lebendig in dem
Zwiegespräch „Weihnachtseinkäufe zwischen Herta von Hagen
Gabriele) und Gustav Waldau (Anatol). Es war ein in sanftes
Moll abgestimmtes Duett, das von ungestillter Sehnsucht, von Liebes
ust und leid erklang. Und das folgende „Abschiedssouper", in dem
bilde Herterich (Annie) in ihrer außerordentlichen Wandlungsfähig¬
keit von der großformatigen Tragödin zum unnachahmlichen Humor einer
Vorstadt=Wienerin verdiente Triumphe feierte, klang wie ein hinreißendes

Fermate aus. Aus der Reihe der begleitenden Instrumente dieses tönen¬
den Abends trat Karl Graumann (Max) als Skeptiker und Ver¬
reter des gesunden Menschenverstandes angenehm diskret hervor. Alte
und neue Weisen von Mozart über Lanner zu Johann Strauß, von einem
unsichtbaren Kammerorchester gespielt, verbanden die Anatol-Bilder
Das dichtbesetzte Haus raste und rief seine Lieblinge ungezählte Male
vor die Gardine Merkwürdig, wie ein leichtes, leichtes Nichts nur durch
die geheimnisvolle Macht der Gestaltung im Lichte der Rampen die
Dr. Eduard Scharrer.
Menschen zu entflammen vermag.
Aus
Stuttgarter Neues Tagblatt
22. Dez. 1925
Schauspielhaus zei¬
rinagas die Regiekunst
Münchener Theater
Höhe, die vor allem bei der
Mein heutiger Bericht müßte einen Trauerrand Revisor ins hellste L
hört zu den wenigen Dra¬
tragen, denn wenige Tage nachdem ich über Mohr¬
„Ramper und die erschütternde Wirkung des Vorspiels altern, und die wir trotz
dung der deutschen Büle
mit Richard Kellerhals als Maschinist berichte
Freude begrüßen. Und es
hatte, ist dieser große Künstler freiwillig aus dem Leben
geschieden und hat damit nicht nur das Münchener spüren, wie aktuell diese
Staatstheater, sondern die deutsche Bühne überhaupt uns, die wir die Inflatio
eines Darstellers beraubt, dessengleichen auch wir Aeltesten dringen der Schieher und
nur wenige gesehen und dessengleichen sobald wohl auch anscheinend gesichertsten
nicht wiedererstehen wird. Außerhab Münchens verhält¬ Während man früher mi¬
nismäßig wenig bekannt, war und ward er in den letzten Wohlgefallen an den Kor¬
Jahren für uns hier immer mehr ein Inbegriff ganz dunkelsten Rußland siche¬
großer Kunst, dieser dämonische Komiker, über dem in sinnlicher Zuschauer plötz¬
Leben wie aus der Bühne ein Schleier tiefer Melancholie, zu den Erlebnissen der jü
gebreitet lag. Ein ganz Einsamer, der gar nichts von sich die alte Erfahrung wieder
her machte und der niemand zu lieb und niemand zu leid menschlichen Wahrheiten
Zeiten aktuell und wirksam
Menschen bildete, die sich in das Herz und in das Ge¬
dächtnis eingruben. Wohl weniger eigene Neigung, als Darstellung der großen A
der Spielplan der Staatstheater drängte ihn fast aus bei der Aufführung im
schließlich auf das Gebiet grotesker Komik, aber wieviel grimmig groteske Humor
weiter und tiefer seine Kraft reichte, das ward gerade in einen dämonischen Reiz
tanen Art des Beifalls,
den letzten Monaten seines Lebens offenbar. Wer seinen
Die Träger der Hauptroll¬
Prinzen Samasthanka in Vasantasena gesehen, die
Mienenspiel, das in wenigen Sekunden alle Phasen von Forster-Larrinaga als fal
spielender Kindlichkeit bis zur düsteren Vergreifung rungen einer schon an de
durchlief, der erlebte eine Wanderung durch Inferno, die mit erschreckender E
Und wer das Glück hatte, ihn noch in seiner letzten Rolle meierkostüm zum Trotz¬
im „Ramper zu sehen, der ward von dumpfen, seligen sahen.
Gerade das Gegent¬
Schauern überrieselt, wie sie nur selten im Rampenlicht
und zwischen gemalter Leinwand wach werden. Den Vor=Schnitzlers Einakter
lust nur einigermaßen wieder einzubringen, müßte das Residenztheater un
Staatstheater ganz außerordentliche Anstrengungen aus langem Bühnenschlaf
lich sympathisch und feel
machen, die vielleicht am ehesten zum Ziel führen würden
wenn es ihm gelänge, von den beiden schwer um ihre Helden hinstellte, dieser
materielle Existenz ringende, aber künstlerisch jetzt auf leichtsinnigen, nichts als
einer sehr hohen Stufe stehenden Privatbühnen einige Lebemannes, ist nicht zu¬
ten und guten Seiten und
Kräfte hinüberzuziehen, wie ja denn auch Kellerhal¬
seinerzeit von den Kammerspielen kam. Es ist wirklich Erschütterungen des groß
Man sollte ihn nicht — aus
eine Freude, den künstlerischen Wetteifer des Schauspiel¬
hauses in der Maximilianstraße und der Kammerspiele in aufleben lassen. Waldaus
der Augustenstraße zu verfolgen, sowohl in der Repertoir, menschlich so vertieft, daß
bildung, wie in den Leistungen der Darsteller Bede ver¬ agiert, gut ist, man mag
fügen über eine Schar jugendlicher, vielseitig begabter wenig aufdringlich ist, daß
Kräfte, die bei dem durch die Verhältnisse gebotenen kommt, zu scheiden, was au
stellers Eigentum ist, schuf
raschen Wechsel des Spielplans sich in Rollen aller Ar¬
zu erproben und zu bewähren Gelegenheit haben. Im bessern Sache würdig ge¬