II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 503

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4.9. Anatol
Zy

Aus
garter Neues Tagblatt
22. Dez. 1925

Schauspielhaus zeigt sich neben Forster-Lar lustiger Abend, wie er in diesen Räumen zu den großer
rinagas die Regiekunst Richard Revys auf einer Seltenheiten gehört. Auch die alten Theaterbesucher, die
Münchener Theater¬
Höhe, die vor allem bei der Erstaufführung von Gogols sonst bei derartigen Ausgrabungen wehmütig der Ganz¬
heutiger Bericht müßte einen Trauerrand „Revisor ins hellste Licht trat. Gogols „Revisor ge¬ zeiten der Münchener Hofbühne gedenken, vergaßen, was
hört zu den wertigen Dramen der Weltliteratur, die nicht einst gewesen, und genossen die Gegenwart. Nur einen
Jenn wenige Tage nachdem ich über Mohr
und die erschütternde Wirkung des Vorspiels altern, und die wir trotz der überwuchernden Ueberfrem= Fehler hatte die Inszenierung: die Herrschaften erschienen
hard Kellerhals als Maschinist berichtet dung der deutschen Bühne immer wieder mit ungemischter alle in der Mode von 1925 und dies schuf eine unwahr¬
dieser große Künstler freiwillig aus dem Leben Freude begrüßen. Und es ist eine seltsame Erfahrung, zu
Fiktion von Gegenwart. Unwahr, weil in dieser Komödie
und hat damit nicht nur das Münchener
spüren, wie aktuell diese beißende Satire heute ist, für von 1893 der Lebensrhythmus des modernen Leben, mit
ater, sondern die deutsche Bühne überhaupt uns, die wir die Inflationskatastrophe mit ihrem Ein¬ Telephonklingel und Autohupe fehlt. Unwillkürlich wird
stellers beraubt, dessengleichen auch wir Aeltesten dringen der Schieber und Gaunergepflogenheiten in die man zu nachdenklichen Betrachtungen darüber angeregt
ge gesehen und dessengleichen sobald wohl auch anscheinend gesichertsten Bürgerkreise miterleben mußten, welche ungeheure Umwälzung diese modernen Ueber
ererstehen wird. Außerhab Münchens verhält¬ Während man früher mit einem durchaus interesselosen winder von Raum und Zeit auch auf der Bühne, im
Wohlgefallen an den Korruptionszuständen da hinten im Rhythmus des Dialogs wie der Handlung hervorgebrach
wenig bekannt, war und ward er in den letzte
für uns her immer mehr ein Inbegriff ganz dunkesten Rußland sich ergötzte, fühlt man heur als be¬ haben. Ein interessantes dramaturgisches Kapitel, das zu
sinnlicher Zuschauer plötzlich eine unheimliche Beziehung erörtern aber über den Rahmen eines Theaterbrief¬
unst, dieser dämonische Komiker, über dem in
zu den Erlebnissen der jüngsten Vergangenheit und sieht hinausführen würde
auf der Bühne ein Schleier tiefer Melanchol¬
ag. Ein ganz Einsamer, der gar nichts von sich die alte Erfahrung wieder bestätigt, daß die inneren rein
Modern in jedem Sinn ist Franz Monars
menschlichen Wahrheiten der großen Meisterwerke zu allen
und der niemand zu lieb und niemand zu lei¬
Dreikterspiel „O! Theater, das die Kammer¬
Zeiten aktuell und wirksam bleiben, vorausgesetzt, daß die
bildete, die sich in das Herz und in das Ge¬
spiele herausbrachten. Ist es schon dankbar zu be¬
ingruben. Wohl weniger eigene Neigung, als Darstellung der großen Aufgabe gewachsen ist. Das war
grüßen, wenn gleich der Theaterzettel verkündet: Er¬
bei der Aufführung im Schauspielhaus der Fall. De
plan der Staatstheater drängte ihn fast aus
wartet nichts als Theaterei heut abend, so ist, wenn die
auf das Gebiet grotesker Komik, aber wieviel grimmig groteske Humor Gogols übte auf die Zuschauer
Theaterei so geschickt und amüsant aufgemacht und so
tiefer seine Kraft reichte, das ward gerade in einen dämonischen Reiz aus, der sich in der ganz spon
flott und temperamentvoll gespielt wird, dem Zuschauer
Monaten seines Lebens offenbar. Wer seinen tanen Art des Beifalls, oft bei offener Szene kundgab
strollen, Leibelt als Gouverneur und eine gute Stunde beschert, deren harmlosen Genuß man
Die Träger der
Samasthanka in Vasantasena gesehen, die
ihm nicht durch kritische Schulmeisterei beeinträchtigen soll.
falscher Revisor, waren Verkörpe¬
Forster=Larrinage
el, das in wenigen Sekunden alle Phasen voor
Nur eins muß gesagt werden, die an sich sehr hübschen
Kindlichkeit bis zur düsteren Vergreifung rungen einer schon an den Wurzeln verfaulten Kultur
der erlebte eine Wanderung durchs Inferno, die mit erschreckender Eindringlichkeit — dem Bieder Einfälle — von dem Komödianten, der sich im „Feld¬
das Glück hatte, ihn noch in seiner letzten Rolle meierkostüm zum Trotz — uns aus Zeitgenossenaugen anmarschall tragisch à la Rean im „König Lear wider
Willen komisch gebärdet, und von den beiden Komödianten
ver" zu sehen, der ward von dumpfen, seligen sahen
im „Stilleben", die auch in ihren erotischen Beziehungen
Gerade das Gegenteil muß man feststellen von
überriefest, wie sie nur selten im Rampenlich
Schnitzers Einakterzyklus „Anatol, den das Komödianten sind und bleiben — diese hübschen Einfälle
den gemalter Leinwand wach werden. Den Ver=
Residenztbeater unter Gustav Waldaus Regie sind zu breit ausgesponnen und kommen dadurch nicht so
einigermaßen wieder einzubringen, müßte das
zur Geltung, wie es bei der ausgezeichneten Darstellung
ater ganz außerordentliche Anstrengungen aus langem Bühnenschlaf zum Leben erweckte. So mensch
lich sympathisch und seelisch vertieft auch Waldau seinen in den Kammerspielen möglich gewesen wäre. An und
de vielleicht am ehesten zum Ziel führen würden
für sich gewährt es einen eigenen Reiz, wenn Komödianten
Helden hinstellte, dieser Typus des liebenswürdigen
ihm gelänge, von den beiden schwer um ihre
Existenz ringenden, aber künstlerisch jetzt auf leichtsinnigen, nichts als Liebeleien im Kopf habenden sich selbst und ihre Schwächen hellängig, mitleidslos pa¬
Lebemannes, ist zu veren. Er ist mit seinen schlech¬ rodieren. Das gilt vor allem vom zweiten und dritter
hohen Stufe stehenden Privatbühnen einige
ten und guten Seiten untergegangen in den gewaltsamen Stück: Vorspiel zu König Lear und Stilleben, in denen
hinüberzuziehen, wie ja denn auch Kellerhal¬
Erschütterungen des großen Kriege, und das ist gut sa. Otto Framer und Adolf Wohlbruck die parodistischen
von den Kammerspielen kam. Es ist wirklich
Pointen bis zum letzten Tipfelchen auf dem i heraus¬
Man sollte ihn nicht — auch auf der Bühne nicht — wiede
den künstlerischen Wetteifer des Schauspie¬
arbeiteten und dadurch sächliche Nichtigkeiten in große
der Maximilianstraße und der Kammerspiele in aufleben lassen. Waldaus große Kunst, die jede Fau¬
Kunst emporhaben, scherzählen darf man dergleichen
stenstraße zu verfolgen, sowohl in der Repertoir, menschlich so vertieft, daß man dem Menschen, der da che
vie in den Leistungen der Darsteller Bede ver¬ agiert, gut ist, man mag wollen oder nicht, und die dabei so nicht. Das will geschaut sein, geschaut sein auch, wie keine
Der eine Schar jugendlicher, vielseitig begabter wenig aufdringlich ist, daß man gar nicht auf den Gedanken und frische Regiekunst jede Rolle, vom großen Mimen bis
kommt, zu scheiden, was nun des Dichters und was des Dar¬ zur „Stimme des Beleuchters mit Leben und Farbe zu
die bei dem durch die Verhältnisse gebotene
stellers Eigentum ist, schuf dem Werk einen Erfolg, der einer beseelen weiß. Das erste Stück „Feldmarschall hat falsche
Wechsel des Spielplan sich in Rollen aller A¬
Töne, wie aber auch den Schauspielern Gelegenheit selbst
en und zu bewähren Gelegenheit haben. Im bessern Sache würdig gewesen wäre. Es gebe ein¬
the reicher sie uns de de
Schminke vergessen zu wachen
Berthold Litzmann.