II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 623

box 9/4
yklus
4.9. Anatol-


vom
7 FER
gologe an der Wiener Universität, verkehrte das
schöngeistige Wien, die Größen der Burg und
THEATER UN KUNSI
Oper, die leichtlebige, genußbereite Geldaristokratie,
Hitler Anatol.
die gerne, dank ihres Vermögens, auch mit Erfolg
Burgtheater=Gastspiel.
in den Lebensformen des Adels posierte. Aus
Also spielen wir Theater,
dieser gesellschaftlichen und der berühmten Kon¬
Spielen unsre eignen Stücke
versations=Tradition, die man damals „Plaudere
Frühgereift und zart und traurig,
aus dem Französischen“ nannte, erstand der Ana¬
Die Komödie unsrer Seele,
Unsres Fühlens Heut und Gestern
tol-Zyklus. In jenen Tagen wäre er freilich noch
Böser Dinge hübsche Formel,
nicht burgtheaterfähig gewesen. Erörterte er doch
Glatte Worte, bunte Bilder,
Dinge, die „nicht denkbar waren in der Sphär¬
Halbes, heimliches Empfinden,
der Burgtheatergesellschaft". Erst Jarno wagte
Agonien. Episoden
am Ischler Sommertheater das „Abschiedssouper
Bei der vielgerühmten Burgtheater-Aufführung
ein paar Jahre später kam der ganze Zyklus ins
Jänner 1932, von der ein Abglanz gestern nach
Deutsche Volkstheater. Weltkrieg und Umsturz
Graz kam, sprach diese musikalisch versonnenen
haben die Fin-de-siècle Jugend jener Tage ver¬
Verse Raoul Aslan, der Darsteller des Anatol,
sie, fast gespenstisch, durch die
einen Veilchenstrauß in der Hand. Die Verse sind
weht, nun te
Burg=, bzw. Alemietheater=Aufführung im Ko¬
von Loris, so nannte sich der damals noch unbe¬
stüm der neunziger Jahre wieder auf.
kannte 17jährige Hugo von Hofmannsthal, der sie
Schnitzler, Oktober 1931 gestorben, blieb in sei¬
der Buchausgabe des ebenso unbekannten 20jähr¬
nem ganzen Lebenswerk jener Generation ver¬
gen Schnitzler als Vorwort widmete. Das war die
literarische Jugend der achtziger und neunziger
haftet, so sehr er sich auch sträubt, als „Dichter des
Anatol" typisiert zu werden. Schon 1807 urteilte
Jahre in Wien, von der Josef Körner in „Artur
Karl Kraus über ihn: „Zu gutmütig, um einem
Schnitzlers Gestalten und Probleme" (Wien 1921)
Publikum nahetreten zu können, hat er sich ein für
erzählt. Das junge literarische schöngeistige Ju¬
dentum von Wien jener Tage hätte, durch den allemal eine kleine Welt von Lebemännern und
Grisetten zurecht gezimmert, um nur zuweilen aus
Antisemitismus aus der Politik ausgeschaltet (in
diesen Niederungen zu falscher Tragik emporzu¬
Berlin wandte sie sich schon damals, in Wien erst
fliegen." Zu den Grisetten, den süßen Mädels aus
vom November=Umsturz an der sozialistischen
der Vorstadt, kamen dann noch die seinen Damen
Problematik zu), sich mit altklugen, leidmüden
der Gesellschaft als ehebrecherische Liebchen, ange¬
Gesten dem Erlebniskreis seiner Gesellschaftsschich¬
kündigt schon von der Gabriele der „Weihnachts¬
ten zugewandt, desen wichtigster bei aller gespielten
einkäufe, die dem süßen Mädel durch Anatol einen
oder auch empfundenen Blasiertheit die Liebes¬
Veilchenstrauß schickt, weil sie vielleicht ebenso
beziehung der Geschlechter war.
lieben kann und den Mut dazu nicht hatte...
„Das übertriebene oder ausschließliche Interesse
Josef Körner, nichts weniger als Antisemit,
an erotischen und sexuellen Fragen war schon immer
kommt in seinem Buche zu dem gewiß richtigen
und überall das Kennzeichen politisch toter oder
Urteil: Wer Wien und seine Gesellschaftsschichten
gebundener Zeiten gewesen.“ So entstand Schnitz¬
einigermaßen kenn, dem kann es sich nicht ver¬
lers Sexnalpoesie, Weiningers Sexualphilosophie,
bergen, daß Schnitzler schon immer vornehmlich
Sigmund Freunds Sexualbiologie.
jüdische Menschen gestaltet hat. Seine erzählenden
Im Hause Schnitzlers, der Vater war Laryn¬
und dramatischen Schriften sind in den Krisen
jener mehr oder weniger jüdischen Geld= und
Geistesaristokraten angesiedelt, wie sie heute wohl
in allen Hauptstädten zu finden sind, die aber
nirgends so prävalieren wie in Wien“.
Von den sieben Einaktern des Anatol-Zyklus
spielten die Wiener „Die Frage an das Schicksal
„Weihnachtseinkäufe", „Abschiedssouper", „Epi¬
sode", „Anatols Hochzeitsmorgen", Aslan als
Anatol doch schon über die Jahre jenes leichtsinni¬
gen, vom Vermögen des Papas lebenden Nichts¬
tuers hinaus. Doch schon in jenem Alter, wo die
Anatol-Helden Verwaltungsräte und Bankdirek¬
toren sind, im „Weiten Land", auf dem „Weg ins
Freie", auf dem „Einsamen Weg." (In ihrem
Alter ebenso von jeder Moral unbeschwerte Ge¬
nießer des Augenblicks wie der junge Anatol.
Schnitzler kennt kein soziales Verantwortungs¬
gefühl. Nur ein einziges Mal, im Marionettenspiel
läßt er Liesls Vater sagen:
Wir haben nichts und ihr habt das Geld
Wir schuften für euch und ihr deutet uns aus
Verführt unsre Töchter —).
Echtester Anatol ist Aslans elegische Resignation,
sein melancholischer Leichtsinn, der Urger in
„Abschiedssouper", „Episode", daß es doch Frauen
gibt, die ihn vergessen können. Als humor voll nüch¬
tern kritischer Freund und mit schon moderner
Eleganz spiel Wagner den Max. Prickelnden
Reiz gab Alma Seidl ihrem Ballettmädel
Annie in „Abschiedssouper, ein lustiges, fesches
Wiener Mädel, sein bezaubernde Dame in „Weih¬
nachtseinkäufe, rassig-leidenschaftliche Ungarn in
„Anatols Hochheitsmorgen" war Frau Johann=
sen, mit naiver Unkompliziertheit wirkte Fräu¬
lein Kramer als hypnotisierte Cora und Zir¬
kusreiterin Banka. In kleinen Rollen, Kellner und
Diener, wirkte drollig Bauer. Das ausverkaufte
Haus ehrte die Güte durch starken Beifall.