II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 702

er verungen
der aus dem Gefängnis vorgeführte Herr
Muth nicht vorgebracht hätte, daß es
schließlich „Logen in hunderten Lokalen
gäbe, Logen mit und ohne Vorhang, ja,
daß man in eingeweihten Kreisen sogar
von der Erfindung von Jeparées munkle,
und daß der Wirt bei bestem Willen
nicht jedem Logenpaar eine Gouvernante,
nicht jedem Separéebesucher eine An¬
standsdame beigeben könne. Hier näm¬
lich wird der Fall zu einem Wiener „Be¬
lang, zu einer höchst wienerischen An¬
gelegenheit, ja zu einem Wiener Frem¬
denverkehrs problem.
In allen Ländern der Welt nähren sich
Fremdenverkehr und Film von gewissen
klischechaften Vorstellungen. In Holly¬
wood drehen ausgewanderte Urwiener
Heurigentüme, die von einer fürchter¬
lichen Unkenntnis der Heurigenwelt
zeugen — in der klagen Erkenntnis, daß
man sich in USA eben vom Heurigen eine
gewisse Vorstellung gemacht hat und daß
man überaus beleidigt wäre, eines Besse¬
ren belehrt zu werden. Auch die Frem¬
den haben leider Klischeevorstellungen,
Phantasieschablonen, und eine kluge
Fremdenverkehrswerbung hat allen An¬
laß, die Schnitzlersche Welt, die zu der
Wiener Welt des Auslandes geworden
ist, diese, meine halben, nogene und
unwirkliche Schnitzlersche Welt der
an den

mentalitäten, der leinen Gespräche im
Halbdunkel eines Se, vées, des ver¬
stohlenen Händedrucks hinter einem
dunkelroten Plüsch vorhang — der Hüter
des Fremdenverkehrs hat allen Grund,
diese Schnitzlersche Welt unter Denk¬
malschutz zu stellen.
Das Separée spielt in der altösterrei¬
chischen Geschichte, also in der Ge¬
schichte der großen Habergerzeit
Österreichs, eine gewaltige Rolle
den Separées des Hotels Altösterreich
der Anna Socie trafen sich die Herr¬
scher halb Europas, hier servierte Ober
Wagner dem Kronprinzen Rudolf und
Johann Orth es war zu jener Zeit des
aristokratischen Liberalismus nicht üb¬
lich, Vorhänge zu luften, die man zuge¬
zogen, Türen aufzureißen, die man ver¬
sperrt hatte. Das „vivre et laisser vivre
das Leben und Lebenlassen war ein echt
österreichischer Grundsatz, und ein
Grundsatz, der Wien auf der ganzen
Welt populär gemacht hat. Man hegte
einen tiefen Abscheu gegen Schnüffelei,
erotisches Arretieren und Ordnungs¬
strafen des Sexuallebens, und in dem
1852 erschienenen Strafgesetzbuch
ist für das Verbrechen des „Unter¬
schleifs zur Unzucht von Seite der
Gast- und Schankwirte nur eine Geld
strafe von 25 bis 200 Gulden ausgesetzt
So paradox es klingen mag: dieses Zu
lassen von Logen mit und ohne Vorhang
von Nischen, müchglasumschlossenen
Kabinen und Separées war schamhafter
keine „Weinlogen
nicht weil man
und diskreter als das Hineinleuchten in
sittlicher, sondern weil man unsittlichen
jedes Extrazimmer einer Weinstube. Daß
es heute noch, wie eh und je, Stunden¬
Man wird schon Grund gehabt haben,
Hotels gibt und Absteigequartiere, ist ein
wenn man die Herren Senior und Junior
offenes Geheimnis. Warum also dulden
und Selberherr eingesperrt hat. Aber man
und zulassen, was hinter der versperrten
will auch annehmen, daß es ungewöhn¬
Türe eines schmutzigen, vorstädtischen
liche Dinge gewesen sind, die sich das
Stundenhotels geschieht und verhindern,
gastwirtliche Kleeblatt zu Schulden
was sich — weit Harmloseres — hinter
kommen ließ, daß tatsächlich der Absatz
einem nur flüchtig zugezogenen Vorhang
a) des § 512 von den „Schanddirnen
abspielen mag? Warum vergröbern und
und ihrem „unerlaubten Gewerbe zu
verpobeln, was gerade in Wien so sul
Recht bestand. Denn man will nicht
und fein gewesen? Ob das Separée eine
glauben, daß in dieser Zweimillionen¬
Wiener Erfindung ist, weiß ich nicht in
stadt schon jede Frau eine „Schand¬
andern Städten spielt sich das Liebes¬
dine, wie es im Gesetz, oder eine
„Hübschlerin, wie es im alten Deutsch
spiel sicher nicht in Separées ab, ucht
verhalten und leise, da geht kein zarter
heißt, wird, wenn sie eine Stunde lang
und diskreter Kampf mit allen aufge¬
ein Paar, Gläser Wein hinter einem zu¬
zogenen Registern, in anderen Ländern
gezogenen Vorhang trinkt, nicht
gibt es nichts zwischen dem Bierlokal,
glauben, daß jeder Wirt zu einem
wo man resche Kellnerinnen belästigt,
„Unterhändler unerlaubter Verständ¬
abtätschelt und kneift und dem Stunden¬
nisse“ — 30 heißt es im Absatz c)
hotel, wo man sich im Dunkel ein¬
wird, wenn er seine Weinstube nicht als
schleicht. In anderen Städten gibt es übersichtliche Turnhalle haut, nicht
glauben, daß ein ge¬
Rascheln eines Klei¬
lachen schon als
sonen“ bezeichnet u
sich Absatz b) des
Es geht keinesweg
nate des Herrn Muth
Monat des Herrn Mi¬
drei Wochen des H.
geht bloß darum, da¬
Unsittlichkeit, die Ind
beginnt, wo man ei¬
zuzieht. Sondern de
liftet
ALLGEMEINE VERSCHE
Zusammenschluß von Phönig¬
1860
Gegründet
Direktion und General-Repri¬
Wagner-Platz 5, Alserplatz
Uebernahme sämtlicher Scha¬
kulantesten Bedingu¬