II, Theaterstücke 4, (Anatol, 7), Anatols Hochzeitsmorgen, Seite 4

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4. 7. Anatols Hochzeitsmor

Telephon 12.801.

„ODSLRTER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Gent, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Aussch
SGriffer Börsencourier
vom:
K
— Ein Privat=Telegramm aus Dresden meldet uns:
Im Residenztheater gab gestern abend die
Schauspielgesellschaft von Direktor Linsemann
Strindbergs „Fräulein Julie" und
„Anatols Hochzeits=Morgen“;
wurde hierbei zum ersten Male öffentlich
dargestellt. Einen tiefgehenden Erfolg hatte das
Strindbergsche Stück, stürmisches Gelächter weckte die
übermütig=geistreiche Anatol=Komödie. Darstellung
und Inszenierung waren ausgezeichnet.
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„UBSERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London. Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York „Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
„JOURNAL
Ausschnitt AufESDNUg „
vom:
Residenztheater. (August Strindbergs „Fräukein
Julie“ und Arthur Schnitzlers „Anatols Hochzeits¬
morgen“.) Wer des s Schriftstellers Strindberg
Buch „Die Beichte eines Toren“, das er einen Roman nennt,
während es in Wahrheit wohl eine Art von Autobiographie
ist, kennt, wird nicht im Zweifel darüber sein, welche Stellung
er gegenüber dem Weibe im allgemeinen und der Frauenfrage
im besonderen einnimmt. Er drückt es sehr charakteristisch mit
den Worten aus: „Wenn ein Mann hundert Jahre lebte, so
würde er niemals genau wissen, wie seine Frau lebt. Er kann
die Gesellschaft, sogar die ganze Welt kennen, ohne einen Ein¬
blick in das Wesen der Frau zu gewinnen, deren Leben an das
seine gekettet ist.“ Es verwundert nicht, in dem Manne, der
diesen Ausspruch getan hat, dem Dichter des Dramas „Fräulein
Julie“ zu begegnen, einem Drama, dessen verzerrte Psychologie
uns nur verständlich wird, wenn wir wissen, daß sein Ver¬
fasser durch einen langen Weg von schmerzlich=bitteren Lebens¬
erfahrungen hindurchgegangen ist, die ihn zum Misogynen
stempelten, ihn das Wesen des Weibes in einem Lichte sehen ließen,
das uns grau in grau, wie die schummerige Stunde zwischen —
Nacht und Morgen, anmutet. Das Weib erlebt in der Gegenwarts¬
literatur wahrhaft wundersame Schicksalswendungen, es findet
in ihr die absonderlichsten Spruchsprecher. Von den einen ver¬
göttert, als Hohepriesterin des Schönen und Guten gefeiert,
muß es von den anderen sich die Stempelung zur Teufelin,
zur menschlichen Bestie gefallen lassen. Strindberg hat seine
Stellung in der neuen Literatur dadurch bezeichnet, daß er
die letztere Art der Weibbetrachtung zu begründen versuchte,
wenn auch nur mit dem Erfolge, daß er an die Stelle des
tiefen inneren Erlebens die sophistische und paradoxe Grübelei
setzt, statt Psychologie Psychiatrie oder Pathologie lehrt.
Sein Haß gegen das weibliche Geschlecht hat ihn zu so
maßloser Ungerechtigkeit diesem gegenüber geführt, daß in
dreien seiner Dramen, eben diesem „Fräulein Julie“,
dem „Vater“ und „Clubiger“, in
zahlreichen seiner
Novellen und in mehreren seiner sogenannten Romane
nichts als ein wütendes Zerrbild von ihm übrig bleibt, dem¬
jede edlere Linie fehlt, das entstanden scheint unter dem Ein¬
flusse einer fixen Idee, die sich die Dinge nach ihrem Geschmacke“
und in ihrem innerlich unfreien Blicke zurechtlegt. Vor sechs
Jahren wurde an dieser Stelle das dem gestern zum erstenmal
aufgeführten Drama verwandte Werk „Gläubiger“ desselben
Dichters ausführlich besprochen; das über diese Dichtung gefällte
Urteil trifft Wort für Wort auch auf „Fräulein Julie“ zu: die
Darstellung, die uns Strindberg gibt, ist entweder die einer
kranken Welt oder eines kranken Dichters — trotz der Beweise
lebendigster Schilderungskunst, die wir in diesen Dramen er¬
halten, trotz der scheinbar plastischen Psychologie, die uns in
ihnen vorgetragen wird.
Das Werk wurde von den Mitgliedern des Linsemann¬
Ensembles, das mit ihm für die Dauer von zwei Monaten
seinen Einzug in das Residenztheater gehalten hat, ganz vor¬
trefflich wiedergegeben. Namentlich die männliche Hauptrolle
fand in Hrn. Willy Hagen einen sehr gewandten und, soweit
dies nach der Beschaffenheit der Figur überhaupt möglich ist,
glaubwürdigen Darsteller; Frl. Else Sarto, die Vertreterin
der weiblichen Hauptrolle, erschien zu Beginn des Spieles
künstlerisch unfrei, fand aber dann auf den Höhepunkten ihrer
Aufgabe warme, überzeugende Töne und ein lebensvolles, echtes
Sichgeben.
Dem schweren Strindbergschen Drama folgte ein echter
Schnitzler: ein Naschgericht von Witz, Laune und Geist, aber
auch nur ein Naschgericht, von dem man völlig ungesättigt sich
erhebt. Wie immer bei Schnitzler, so gründet sich auch dieser
Akt, der übrigens nur Teil eines der von Schnitzler beliebten Zyklen
ist, auf eine ebenso niedliche wie geistreiche Idee, deren Er¬
findung nicht ohne Interesse, deren Ausführung voll Eigenart
ist; aber wie immer bei ihm der Theatraliker über den Künstler
siegt, so verpufft auch in diesem Lebensausschnitt aller tiefere
Sinn, der etwa aus ihm herauszulesen wäre, und es bleibt
nichts übrig als Spielerei und Blendung, als üiberraschung und
Erstaunen. Gespielt wurde die Bluette von den Herren Hans
Stock und Paul Bildt und Frl. Henny Alsen in dem
flotten Tempo, die sie erfordert, wenn sie Beifall finden soll.
W. Dgs.