II, Theaterstücke 4, (Anatol, 7), Anatols Hochzeitsmorgen, Seite 6

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Anatols Hochzeitsnor
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dem Material, aus dem Emporkömmlinge geschnitzt sind, die noch viel Unausgeglichenes, viel Sprunghaftes und geistig noch
nicht ganz Bewältigtes war, daß hier überhastet, dort verzögert
über degenerierte Geschlechter den Sieg des Lebens davon¬
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tragen. Ungesund, degeneriert, überfeinert und damit das wurde, kommt wohl auf Rechnung noch nicht erreichter künst¬
lerischer Festigung. Gleichwohl durfte diese Leistung als eine
Modewort nicht fehle, pervers ist die Gräfin Julie, die sich in
vielversprechende hingenommen werden. Von Fräulein Sarto
der Schwüle der Johannisnacht dem Diener anbietet und hin¬
„Anatol“.
werden wir voraussichtlich Wildes Salome dargestellt sehen.
gibt. Auf ihr lastet die sittliche und physische Decadence eines
in im Residenztheater.
Die Aufnahme des Stückes beim Publikum war trotz der pro¬
alten Geschlechtes, und eine Erziehung in Männerhaß und
vozierenden Naturalismen von einigen ungerechtfertigten
rrn Direktors Paul
=verachtung hat ihr Triebleben verwirrt. Eine Fülle der
Heiterkeitsausbrüchen abgesehen, sehr günstig und beifalls¬
mls willkommener Gast
pikantesten, reizvollsten psychologischen Details hat der Dichter
freudig.
t uns eine Reihe von
über diese beiden Gestalten ausgestreut, und von dieser Seite
Mehr Heiterkeit von dem im Residenztheater gewohnten
lassen, daß die höher=ist sein Werk ein Meisterstückchen. Die kritischen Bedenken
Genre löste Schnitzlers Einakter „Anatols Hochzeitsmorgen“
üblichen Sommerschlaf heften sich am ehesten an den Aufbau des Handlungsverlaufes,
aus. Man spielte diese pikante Szene im Stile einer Schwank¬
nicht gänzlich mitver= der von Willkürlichkeiten, auch Roheiten nicht ganz frei ist, und
episode. Das war schmerzlich, denn auch hier hätte „théätre
Schnitzler u. a. sollen in
an den Schluß, bei dem die Motivierung nicht klar und über¬
intime“ sein müssen. Wer Schnitzlers Anatol kennt, weiß, daß
. Der Anfang wurde zeugend heraustritt, weshalb schließlich Jean der Gräfin das
dieser „leichtsinnige Melancholiker“, wie er sich selbst einmal
gemacht; auf August Rasiermesser zum Selbstmord in die Hand drückt. Daß Fräu¬
kennzeichnet, der von Schnitzler geschaffene Typus des müden,
issers, naturalistisches lein Julie als „ein Ueberbleibsel des alten Kriegeradels“ nach
weichen, in seinen Gefühlen zerfaserten Dekadenten wiene¬
te Arthur Schnitz=lihrem Fall nicht ohne Ehre weiterleben kann, ist zuzugeben. —
rischer Prägung ist, das Produkt übersteigerter Nervenkultur,
ches Capriccio „Ana=Eine intensive Darstellungskunst fordert der naturalistische Stil,
der hypochondrische Lebemann mit dem Willen zur Krankheit.
chließende Bluette des der mit der Nüchternheit des Realismus auch die Gefühlsdurch¬
Ihm steht als Gegensatz sein Freund Max gegenüber, der
sättigung der „Stimmung“ vereinen will. Diesen Anforde¬
. Zuerst also der nun
Realist mit dem Willen zur Gesundheit. Er bleibt als Anatols
er der proteusartigsten
rungen des „intimen Theaters“ blieb man bei der Aufführung
Freund und Mentor bestehen, während die Reihe der Geliebten¬
her der verblüffendsten
im Residenztheater viel schuldig. Die Schwüle der Juninacht
der „süßen Mädels“, wechselt. Und so entsteht eine Folge von
Weg von Rousseau zu
schwebte nicht suggestiv in diesem Raume, und daß viel zu lant
kleinen, auf den Ton feinster Eleganz des Aeußeren und raffi¬
gespielt wurde — vielleicht mit der Unvertrautheit des Künst¬
Haß gegen das männer¬
niertesten Stimmungslebens abgestimmten Liebesszenen, die
Sein „Fräulein
lers mit den akustischen Verhältnissen zu entschuldigen — zer¬
nt.
mit Anatols schließlicher Hochzeit enden. „Man heiratet ja
us der Werdezeit des
störte viele feine Reize. Herr Willy Hagen fand sich mit
immer eine andere“. Ilona, die letzte der Reihe, hat das Nach¬
lig hat ihm der Dichter
dem Diener Jean nur leidlich ab; es gelang ihm wohl das
sehen, aber sie wird „ihr ganzes Geschlecht rächen“. Wie ge¬
bhandlung mit auf den Herrische in der Bedientennatur stark zu betonen, aber das
sagt, die Szene mußte ganz intim gespielt werden, mit einem
Eh das théatre intime erotische Vibrieren in Momenten des Hingerissenseins, die
seltsam gepreßten Humor. Statt dessen war die Darstellung
stig keine Galerie, son= seinere Nuance fehlte Die Nebenfigur der Köchin Christine
nahezu possenhaft. Herr Hans Stock als Anatol entsprach
Leben wie es ist, wollte wurde von Fräulein Jutta Versen ohne hervorstechende
der Zeichnung des Dichters nicht; er war eigentlich nur nervös.
lich stellte sich doch her= Charakterisierung gespielt, Das Fräulein Julie spielte Frl.
Sein Freund Max (Herr Paul Bildt) dagegen hatte sich
Stilisierung ist und sich[Else Sarto. Ich glaube, daß in dieser noch sehr jungen,
eine zu abgelebte Maske gemacht. Frl. Henny Alsen nahm
Leben widersprechenden seingliedrigen Schauspielerin eine bedeutende und eigenartige
die Ilona zu massig und derb. Im Sinne der Dichtung war
ran fehlt es in Strind= Kraft schlummert. Eine entzückend mädchenhafte Stimme, ein
die Aufführung verfehlt; es darf aber nicht verschwiegen wer¬
seich er selbst betont, daßmarkantes und doch weiches Profil sind günstige äußere Gaben
den, daß sich bei den humoristischen Situationen das zahlreich¬
für jugendliche Mädchengestalten moderner Zeichnung; durch
pse des Tages“ liege.
Publikum köstlich amüsierte und daß es den lustigen Akt eber
ers Jean ist im Grunde eine außerordentlich kennzeichnende Haltung von Hals und
als eine kleine Schwankergötzlichkeit mit Vergnügen aufnahm
des sozialen Kampfes Kopf, ein wechselndes Verfallen und Sichfestigen der Haltung
Felix Zimmermann.
Herrschen fähig fühlt. des Körpers, über den manchmal ein Schauer dekabenter Er¬
lungenste des Dramas, regung lief, charakterisierte Else Sarto die sinnenhungrige
rMann ist gesund, ausjunge Gräfin vorzüglich. Daß in Mimik und Sprechvortrag