II, Theaterstücke 4, (Anatol, 7), Anatols Hochzeitsmorgen, Seite 8

4.7. Anatol
Hochzeitsmor
I
01
(Qualienangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
9
Araslauer Norgon Zeltung
25 A06 1907
E vom:
1
G1
Theater.
ommertheater. Sonnabend, 24. August. Einakter=Abend.
ute Namen standen auf dem Programm: Dreyer, die Viebig.
Die Reihe hätte vielleicht umgedreht werden sollen. Denn
ehers „Liebesträume“ die übrigens schon vor Jahren
betheater geträumt wurden, überragen in ihrer knappen, festen
ng die konrurrierenden Einakter beträchtlich und gehörten daher
dem Gesetz der Steigerung — an den Schluß, nicht an den
Das kleine Stück bietet für die Darsteller nur eine Schwie¬
en ungewohnten Dialekt der Wasserkante. Sie wurde denn
ht überwunden. Frl. Steimann kämpfte ebenso tapfe
ie mit der derben Urwüchsigkeit ihrer mannweiblichen
rl. Steimann unterlag nicht gerade, aber sie blieb auch
berall Siegerin. Herr Junker ist als Schwerenöter immer
hr liebenswürdig, für den Oppermann aber, dem doch schon mancher
Sturm um die Nase geblasen hat, ein bißchen zu jugendlich im on.
Frau Horwitz plagte sich mit einem Mondschein=Backsisch. Als
Frau Direktor hat sie doch eigentlich solche Exkursionen auf fremdes
Gebiet nicht kontraktlich.
Es folgte „Fräulein Freschbolzen“ ein Glied aus dem
Zyklus „Der Kampf um den Mann“ von Clara Viebig. Wenn die
anderen Glieder des Zyklus die im Titel angedeutete Tendenz nicht
stärker verraten, als „Frl. Freschbolzen“, so kann dieser „Kampf um
den Mann“ nicht gerade sehr aufregend sein. „Frl. Freschbolzen“ bringt
einige sehr breit ausgesponnene Szenen aus dem Vormittag eines
Berliner Schneiderateliers. Ein paar nette Typen laufen drin spa¬
zieren, unter denen der freche Geliebte des Titelfräuleins die netteste
t. Aber die tragischen Möglichkeiten des Kampfes um den Mann
werden kaum gestreift. Der Einakter bleibt trotz seiner ermüdenden
Betonung des Detail in der Skizze und im Schwankhaften stecken.
Herr Junker hatte, wie im ersten Stücke, einen ruppigen Frauen¬
liebling zu spielen. Die vulgäre Variation des Charakters geriet ihm
viel besser, als die vornehme. An seinem berlinischen Versicherungs¬
Agenten war jeder Zug echt. Unter dan Schneidermädchen gefiel mir
die stürmische Jugend des Frl. Laßwitz am besten. Aber auch die
Damen Steimann. Horwitz, Hoffmann, Düren brachten ihre
Rollen sehr geschickt heraus.
Zuletzt kam Schnitzler mit dem Schlußstück seines „Anatol“ dem
„Hochzeitsmorgen“, der hier zum ersten Mal aufgeführt wurde.
Däß er so lange Zeit der Bühne fern blieb. beweist, daß er nicht zu
den besten Nummern der „Anatol“=Reihe gehört. In der Tat will sich
die rechte Anatol=Stimmung nicht einstellen. Der Witz der pikanten
Situation hält nicht eben lange vor und vergeblich bemüht sich
Schnitzler um eine kecke Schluß=Pointe, die ihm sonst so leicht einfällt.
Man hätte vielleicht besser getan, diesen „Hochzeitsmorgen“, dem
Buche nicht zu entreißen, wo er entschieden bessere Figur macht, als
auf der Szene.
Dazu kam, daß Herr Ziegel, der ganz unwienerische Schau¬
spieler, den Anatol spielte, den Typus des blasierten melancholischen
Wieners, und daß Frau Horwitz in dem Bestreben, die feurige
Ungarin Ilona mit entsprechendem Dialekt auszustatten. die Länder
berwechselte und nach Polen geriet. Blieb nur Herr Spira, der
dem getreuen Max die echte Lokalfarbe geben konnte.
Das Haus war dicht gefüllt und sehr dankbar für alle Gaben des
Abends.

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720
1

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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
6 Ausschnitt aus:
ner Zeitung
E vom: 5.AU6 1907
Breslauer Cheater.
M. W. Breslauer Sommertheater (Liebichs Etablissement).
Sonnabend: „Lies#eß#räume.“ — „Fräulein Freschbolzen.“
„Anatals Hiychzeitsmorgen.“ Mit einem sehr hübsch zu¬
sämmengestellten Einakter= Abend hat sich Herr Ziegel reumütig
wieder zur Literatur bekannt. Sein Lohn war ein nahezu ausverkauftes
Haus, d## sich für die drei dramatischen Varianten des Themas „Der
Kampf um den Mann“, sehr herzlich interessierte. Denn diesen Titel
könnte (mit weit größerer Berechtigung als der Dramenzyklus, dem der
zweite Einakter entnommen ist) die Komposition von gestern Abend
führen. Die Rolle, die dem Mann als dem vielumworbenen Wertobjekt
im Liebeskampf zugeteilt wird, ist in allen drei Komödien ungefähr die
gleiche. In Max Dreyers (früher oft bei uns gespielten) „Liebes¬
[träumen“ ist er der urewige Glücksritter, aber in allerangenehmster
Form. Wenn der stets gewandte Bummler allmählich seine
weisen diätetischen Daseinsprinzipien wahr machen, und die herbkraft¬
volle Gutsherrin für die Ehe, das mundscheinsüchtige Backfischchen für
den Flirt und das dralle Stubenmädchen für die primitiv=realsten Liebes¬
genüsse sich verpflichten will, so ist der seiner differenzierenden Wirkungen
sichere Frauenkenner eigentlich ein so liebenswürdiger Kerl, daß der ihn
jäh treffende Peitschenhieb der nur durch einen Zufall aus ihren Liebes¬
träumen erweckten, rachesuchenden Gutsbesitzerin schließlich weit brutaler
pifl als seine famose Taktik. Der Liebhaber, den Clara Viebig ihrem
„Fräulein Freschbolzen“ an die Seite stellt, ist eine ordinäre
Ausgabe des Dreyerschen Lebenskünstlers. Für die Weiber seiner Um¬
gebung, von der ältlichen Schneiderin, die sich an ihn gehängt hat, bis
zum jüngsten Nähmädchen, das seinetwegen die ersten Liebesqualen er¬
duldet, hat er nur einen Ton, allerdings einen sehr verständlichen und
gut verstandenen. Und gerade die genaue Herausarbeitung und exakte
(Fortsetzung in der #weiten Reit##en
Beobachtung dieses sehr lebendigen Typs macht die dramatisch eng¬
brüstige (wenn auch in ein scharf gesehenes Milieu verwobene) Anekdote
seines Wirkens im Atelier der Freschbolzen wirklich genießbar. Arthur
Schnitzlers Anatol, der leichtsinnige Wiener Melancholiker und
Viveur mit den Manieren des Aestheten und dem Gestus des
Neurasthenikers endlich ist seit langen Jahren auch auf der Bühne
heimisch. Allerdings gerade durch jene Stücken aus dem Zyklus, die ihren
dramatischen Qualitäten zum Trotze am wenigsten von dem psychologischen
Gehalt der Figur, von Anatols neryöser Intensität des Genießens und
Verachtens widergeben. Von allen Szenen des graziösen Liebesreigens
ist „Anatols Hochzeitsmorgen“ die innerlich ärmste, vielleicht
die einzige oberflächliche. Sicherlich aber die theatertechnisch weitaus
reifste. Und es ist also mehr als merkwürdig, daß alle Direktoren
konsequent an der amüsanten Komödie im französischen Schwankstil
vorübergegangen sind, um unserer Sommerbühne die Ehren der stark
verspäteten Uraufführung zu überlassen. — Die Darstellung
sprach allenthalben kräftig für die Fähigkeiten des Ziegelschen Ensembles,
im besonderen für die Regietüchtigkeit der Herren Junker, Bertram
und Ziegel. — Herr Junker fand, wie das natürlich ist, für den
Schwerenöter der Clara Viebig viel charakteristischere Züge, als für den
Max Dreyers. Den Anatol gab Herr Ziegel völlig in eigener Auf¬
fassung als diskrete Karikatur, als posierenden Selbstbespiegler und in
Elegie schwelgenden Beau. Fräulein Steimanns tüchtige Guts¬
frau war so richtig erfaßt und durchgeführt wie ihre hilflose Fresch¬
bolzen Fräulein Horwitzs rassige Brünette von drolligster Echtheit.
Als keusches Jungfräulein und als freches Berliner Nähmädel hatte sie
vorher eine beträchtliche Wandlungsfähigkeit bewiesen. Sehr freundliche
Erwähnung können noch Herr Landsberg mit einer wieder sehr
genau durchdachten Charaktercharge und Herr Spira und die Damen
Laßwitz, Düren, Hoffmann und Spira=Andresen
beanspruchen.
r.