II, Theaterstücke 4, (Anatol, 7), Anatols Hochzeitsmorgen, Seite 18

en
4. 7. Anatols Hochzeitsmor

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Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
0
*0 in Berlin, Budapest, Chicage, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New Vork,
ch Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
Muellenangahe ohne Gewähr.)
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1 Ausschnitt aus:
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12.35
Pr 8980,
vom:
[Concordia“=Matinee.] Die vom Journalisten¬
lund Schriststellerverein „Concordia“ im Johann
[Strauß=Theater heranstaltete Matinee hat gestern mit
ihrem erlesenen literarischen Programm und durch die Mit¬
wirkung unserer hervorragendsten Bühnenkünstler einen
glänzenden Erfolg erzielt. Schon die Introduktion erregte
großes Interesse. Thaddäus Rittner hat mit seinem
#eigenartigen Talent bereits die Aufmerksamkeit der Kenner
auf sich gelenkt. Sein „Besuch in der Dämmerung
ist wieder ein starker und origineller Versuch, psychologische
Vorgänge, Ereignisse der menschlichen Seele, die unter der
Schwelle des Bewußtseins liegen, dramatisch zu gestaiten,
in lebendigen Symbolen plastisch vorzuführen. Der von
Schmerzen um seine verstorbene Gattin macerierte Mann,
den ein Zufall mit einer von Oede und Lebenssehnsucht ver¬
zehrten Frau zusammenführt, wird wie jene im wirklichen
Leben gewiß nicht so sprechen, wie Rittner sie reden lüßt.
Seine Art ist, im Leben selbst Ungesagtes und Ungehörtes,
eben nur unbewußt Empfundenes, in Worte zu kleiden.
und in szenischem Geschehen auszudrücken. Die psychologi¬
schen Marionetten, als die seine Figuren gleichsam erscheinen,
wurden von Fräulein Galafrés und H. Edthofer
mit vollem Verständnis und mit ergreifender Gefühlsechtheit
dargestellt. Nach dieser literarischen Gourmandise, die vom
Publikum sehr beifällig ausgenommen wurde, folgte die von
A. M. Willner rerfaßte Szene „Der Pechvogel“
die eine rührende Geschichte aus der französischen Revolutions¬
zeit sehr wirksam dramatisiert. H. Edthofer, als der
junge Marquis von Fontenailles, der aus einem erst im
Kerter entsponnenen Liebesglück zur Guillotine geführt wird,
war von bezaubernder Ritterlichkeit und ergriff mit seinem
herben Lächeln der Traurigkeit die Herzen der Zuschauer.
Gleich ihm fanden die Herren Kramer und Leyrir, die
Damen Schweighofer und Hannemann und der
Verfasser des Stückes, der öfters vor der Rampe erscheinen
konute, lauten Beifall des Publikums. Als Schluß der
Matinee wurde „Anatols Hochzeitsmorgen“ von
Arthur Schnitzler gegeben. Eine jener entzückenden
Szenen aus Schnitzlers erster Zeit, die mit jugendlichem
Uebermut und grazioser Keaheit gewagteste Themen spielerisch
meistern. Herrn Kramer als Anatol glaubte man den
süßen Lebemann und Lebekünstler, der vor seiner Hochzeit
noch eine Nacht mit einer auf der Redoute wiedergefundenen
Freundin verbringt und sich dann schwer aus den Armen
seines „süßen Mädels“ winoet, um donn doch mit tragikomi¬
scher Verzweiflung zum Altar zu schreiten. Fräulein Gala¬
frés gab der Ilona so viel vornehmen Chic und so viel
glaubwürdige Innigkeit, daß man den zur Ehe verurteilten
Anatol von Herzen bedauerte. Herr Klitsch erfreute als
Assistent des Lebenskünstlers, Anatols Freund Max, mit
seinem schlicht=wienerischen Ton. Dichter und Darsteller
wurden vom Publikum durch andauernden Beifall ausge¬
zeichnet. Dichterisch und schauspielerisch bedeutete Oskar
Wildes „Florentinische Tragödie“ den Höhe¬
punkt der Vorstellung. Es ist eines der wunderbarsten Werke
des großen, unglücklichen Dichters. Die glänzend dahin¬
strömenden Verse tragen eine Handlung, deren tnapper Bau
sich in eine rsychologische Pointe von tiefster Menschentenntnis
zuspitzt. Der Kaufmann Simone findet, von einer Reise
heimkehrend, den Prinzen Guido bei seinem Weibe. Wie
nun erst der Krämer Schamgefühl und Rachsucht durch ein
gewinnreiches Geschäft mit dem Prinzen gleichsam übertönen
und in sich ersticken möchte und doch dann der Mann all¬
mählich in ihm aufwacht und ihn nicht losläßt, bis er den
Schänder seiner Ehre im Zweikampf niedergestreckt und lang¬
sam vor den Augen seines Weibes getötet hat, entwickelt sich
vor uns mit der intensivsten dramatischen Glut. Kainz
als Simone häufte alle Zaubermittel seiner Kunst zu einer
schauspielerischen Glanzleistung, die uns alles empfinden ließ,
was wir an diesem Künstler besessen haben und nun vielleicht
bald verlieren werden. Frau Medelsky und Herr
Gerasch als Bianca und Guido waren würdige Partner
des Meisters, der wohl ein dutzendmal vor der Rampe er¬
scheinen mußte. Und so hat die genußreiche Vorstellung
dem Wiener Publikum auch Gelegenheit gegeben, einem seiner
Lieblinge eine rauschende Ovation der Dankbarkeit und des
„Verständnisses zu bereiten, die den beifallsgewöhnten Künstler
sichtlich ergriff.