II, Theaterstücke 4, (Anatol, 7), Anatols Hochzeitsmorgen, Seite 21

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Anatols Hochzeitsmor
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Theater, Kunst, und Mnsik.
ch- l Wien, 10. Jänner 1908.
Rövitäten=Matinee im Johann Strauß=Theater.
Vier Einakter: sechs Tote, Antoren nicht mitgerechnet.
Im ersten Akt ist eben eine Frau gestorben, im zweiten
Akt werden drei Leute guillotiniert und eine Person
stirbt an Gift; dabei hat der Regisseur durch einen
kühnen Strich noch einer Person, die erstochen werden
sollte, das Leben gerettet, wofür ihn allerdings der
Autor, der raste und sein Opfer haben wollte, fast um¬
gebracht hätte. Der dritte Einakter endet friedlicher; da
wird nur einer erwürgt. Im vierten Einakter endlich
wird geheiratet, was man zu den leichteren Todesarten
zählt. Von allen vier Stücken ist eigentlich nur das
dritte: „Eine florentinische Tragödie“ von
Oskar Wilde ernster zu nehmen. Mit kühnen Strichen
zeichnet der geniale Dichter das Problem des Weibes,
das sich dem Starken zuneigt. Bianca, die Gattin des
Florentiner Kaufmanns Simone, haßt ihren Mann,
den sie für einen nur auf den Verdienst bedachten
Schwächling hält. Prinz Guido von Florenz hat leichtes
Spiel, als er sein Auge auf das schöne Weib wirft.
Heimkehrend, trifft Simone den Prinzen in seinem
Haus. Seine Eifersucht flammt auf. Mit gleißnerischen
Worten, die beziehungsweise das Kommende andenten,
wiegt er den Prinzen erst in Sicherheit, um ihn schließlich
zum Zweikampf herauszufordern. Simone macht den
Prinzen durch einen Dolchstich kampfunfähig und er¬
würgt ihn dann. Mit weitaufgerissenen Angen folgt
Bianca der Tat ihres Mannes und wie er den Dolch
gegen sie erhebt, schreitet sie ihm mil offenen Armen und
mit den Worten: „Warum hast du mir nicht gesagt,
daß du so stark bist?“ entgegen. Simone läßt den Dolch
fallen und antwortet mit entbrannten Sinnen: „Warum
hast du mir nicht gesagt, daß du so schön bist?“ Die
Brutalität hat ihm sein Weib erobert. Die gräßliche
Komödie ist in ein Gewand von sunkelnden Worten
gesteidet. Die dramatische Kraft des Stückes schlägt
det Zuhörer in ihren Bann und läßt ihn alemlos den
feingeschliffenen Ironien Simones horchen. Die Szene
des Erwürgens müßte gemildert werden. Sie ist ästhetisch
unschön. Kainz feierte in der Rolle des Florentiner
Kaufmanns einen seiner größten Triumphe. Das war
nicht Theater, das war fürchterliche Wahrheit. Das
Metall des Organs, die Geschmeidigkeit des Körpers, die
mühsam unterdrückte, später jäh hervorbrechende Leiden¬
schaft, all dies zusammen gab ein prächtiges Charakter¬
bild, wie man es nicht oft auf der Bühne zu sehen be¬

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kommt. Frau Medelsky und Herr Gerasch waren
die würdigen Partner des großen Künstlers. Die anderen
Stücke: „Besuch in der Dämmerung“ von Thaddäu
Rittner, „Der Pechvogel“ von A. M. Willner und
Anatols Hochzeitsmorgen“ von Artur Schnif er,
werden demnächst im Deutschen Volkstheater zur Auf¬
führung kommen und bei dieser Gelegenheit ausführlich
besprochen werden. Hier sei nur der vorzüglichen
Leistungen der Damen Galafrés, Hannemann
und Schweighofer, sowie der Herren Kramer,
Edthofer, Klitsch und Leyrer gedacht. Die
interessante Vorstellung fand zugunsten des Pensions¬
fonds des Journalisten= und Schriftstellervereins „Con¬
treu-.
cordia“ statt.