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Abschiedssouper
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Kunst und Wissenschaft.
= Schauspielhaus. Der letzte Samstag war ein Premieren¬
abend, aber kein erfolgreicher. Ein Einakter „Abschieds¬
Souper“ von Arthur Schnitzler weckte am Schlusse fast
nur Kundgebungen des Mißfallens. Etwas besser ging es mit
einer dreiaktigen Komödie des Italieners Robert Bracco
„Untreu“, bei dem die geschickte dramatische Factur Spannung
erregte: der zweite Akt fand stärkeren Beifall, der dritte ließ
wiederum kühler und das Schlußergebniß war ein kurzer Applaus,
der eben noch zu zweimaligem Hervorruf der Darsteller reichte —
basta! Man hat damit dem, wie gesagt, dramatisch sehr geschickt
aufgebauten, aber ungesunden, geschraubten, nervenüberreizten und
nebenbei ein widerliches Parfum von Lüsternheit ausathmenden
Stücke die Ehre erwiesen, die ihm gebührt. Diese junge, schöne
Gräfin von Sangiorgi wirkt in ihrem heillos überspannten
Gefühlsleben fast wie eine Karrikatur der Ibsenschen Frauen¬
problemgestalten. Sie kokettirt mit der gesammten jeuneusse
dorée und entrüstet sich darüber, daß ihr Mann die Frechheit hat,
eifersüchtig zu sein. Sie ermuthigt mit ihrer maßlosen Koketterie
einen der sie umschwärmenden jungen Herren, ihre Tugend heraus¬
zufordern und nimmt die Herausforderung an; im zweiten Akt be¬
sucht sie ihn in seiner Wohning und brüskirt ihn mit den Worten:
„Hier bin ich — verführen Sie mich!" Ihr Gatte kommt hinzu
und ist abermals so frech, eifersüchtig zu sein. Er raunt ihr
grimmig zu: „Ich werde Sie tödten!“ Sie antwortet kühl: „Nicht
hier, zu Hause. Der dritte Akt spielt wieder zu Hause. Aber er
hat sie nicht getödtet, obschon zwei Monate ins Land gegangen sind.
Denn er liebt sie noch immer, und das ist die allergrößte Frechheit,
die er sich von ihr in einer heftigen Rede vorhalten=lassen muß.
„Wie kann,“ so raisonirt die Gräfin in höchster Entrüstung, „ein
Mann zu einer Frau zurückkehren wollen, die er doch für untren
hält!“ Der gute Graf beharrt bei seiner Frechheit und erringt
damit schließlich den Sieg, denn am Ende liebt sie ihn doch noch —
nicht mehr alsGatten, bewahre! — aber als Liebhaber (à la Cyprienne),
weil ihr keiner ihrer Liebhaber besser gefällt! Dies die Handlung
im trockenen Vortrag; Bracco trägt sie allerdings mit großer dialekti¬
scher Gewandtheit vor,er hat eine bemerkenswerthe Fertigkeit darin die
Dinge auf den Kopf zu stellen und so eine ganze Weile zu balangiren,
aber mit all dieser verblüffenden Kunst kann er einen gesunden
Sinn nicht täuschen über das frivol gefärbte Gaukelstück, aus dem
man keine andere Moral ziehen kann als allenfalls die: Es ist ver¬
werflich von einem Ehemann, an der Treue seiner Frau zu zweifeln,
eher esie nicht in fagranti mit dem Liebhaber ertappt hat. —
Schnitzler's „Abschiedssouper“ hat man vielleicht etwas Unrecht
gethan, als man es so geradehin auszischte.) Ein Bühnenstück ist
es allerdings nicht, vielmehr eine Studie zu einem solchen, die aber
in ihrer feinen Psychologie, in der Wahrheit des Tons und in
der Flüssigkeit des Dialogs ganz wohl an den Autor des
mit Recht so geschätzten Stückes „Liebelei“ erinnert. Die
Herren Bolz und A. Meyer, sowie Fräulein A. Bock
spielten das kaum 25 Minuten dauernde „lever de rideau“
sehr gelungen; Frl. Bock ließ es höchstens nur da etwas fehlen,
wo sich das unveräußerliche Zartgesühl der Frauenseele hoch
und glänzend über das Niveau der Oberflächlichkeit und Leicht¬
fertigkeit dieses Charakters heraushebt. In dem zweiten Stück
stellte Fräulein Landori die überspannte Gräfin brillant dar,
Herr Bauer war ein guter Graf und Herr Bolz brachte die
äußerlich glänzenden, innerlich armen Tiraden des verückten Lieb¬
habers — denn auch bei dem Menschen ist ein Schräubchen locker!
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glaubwürdig heraus. Als aber der Referent, nachdem er diese
tüchtigen schauspielerischen Leistungen nach Gebühr geschätzt hatte,
aus der mufsigen Athmospäre von cabinet separé, vermeintlichem
Ehebruch, doppelt und dreifach überschraubtem Gedanken= und
Gefühlsleben hinaustrat in die naturfrische, gesunde Märznacht¬
Pf.
.— o wie gut schmeckte diese Luft!
luft
= Der Berliner „Börsen=Kourier“ bringt aus Wien die
raphische Mittheilung, Herr Intendant Emil Claar in
alusag#e einer dem Raimund¬
„Der Herr Ministerialdirektor“, „Rechte der Seele“ und „Liebelei“.
— Aus Frankfurt a. M. von gestern wird uns telegraphirt:
Arthur Schnitzler's einaktiges Lustspiel „Abschiedssouper“ gelangte
heute im hiesigen Stadttheater, von Fräulein Bock, sowie den Herren Bolz und
Mayer dargestellt, zur ersten Aufführung. Das Stückchen, ein Anatol=Motiv
voll feiner Beobachtungen, ging an dem wenig empfänglichen Publikum ein¬
druckslos vorüber.
— Im königlichen Opernhause zu Budapest gab es, wie uns vom
28. d. von dort telegraphirt wird, gestern ein interessantes Debut. Die Witwe
des vor einigen Monaten verstorbenen Herausgebers der „Budapester
Korrespondenz" Julius Futtaky, Frau Irene Pevny, trat gestern als Elisabeth
in der Oper „Hunyadi Laszlo“ vor das Publikum und erzielte einen stürmischen
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Kunst und Wissenschaft.
= Schauspielhaus. Der letzte Samstag war ein Premieren¬
abend, aber kein erfolgreicher. Ein Einakter „Abschieds¬
Souper“ von Arthur Schnitzler weckte am Schlusse fast
nur Kundgebungen des Mißfallens. Etwas besser ging es mit
einer dreiaktigen Komödie des Italieners Robert Bracco
„Untreu“, bei dem die geschickte dramatische Factur Spannung
erregte: der zweite Akt fand stärkeren Beifall, der dritte ließ
wiederum kühler und das Schlußergebniß war ein kurzer Applaus,
der eben noch zu zweimaligem Hervorruf der Darsteller reichte —
basta! Man hat damit dem, wie gesagt, dramatisch sehr geschickt
aufgebauten, aber ungesunden, geschraubten, nervenüberreizten und
nebenbei ein widerliches Parfum von Lüsternheit ausathmenden
Stücke die Ehre erwiesen, die ihm gebührt. Diese junge, schöne
Gräfin von Sangiorgi wirkt in ihrem heillos überspannten
Gefühlsleben fast wie eine Karrikatur der Ibsenschen Frauen¬
problemgestalten. Sie kokettirt mit der gesammten jeuneusse
dorée und entrüstet sich darüber, daß ihr Mann die Frechheit hat,
eifersüchtig zu sein. Sie ermuthigt mit ihrer maßlosen Koketterie
einen der sie umschwärmenden jungen Herren, ihre Tugend heraus¬
zufordern und nimmt die Herausforderung an; im zweiten Akt be¬
sucht sie ihn in seiner Wohning und brüskirt ihn mit den Worten:
„Hier bin ich — verführen Sie mich!" Ihr Gatte kommt hinzu
und ist abermals so frech, eifersüchtig zu sein. Er raunt ihr
grimmig zu: „Ich werde Sie tödten!“ Sie antwortet kühl: „Nicht
hier, zu Hause. Der dritte Akt spielt wieder zu Hause. Aber er
hat sie nicht getödtet, obschon zwei Monate ins Land gegangen sind.
Denn er liebt sie noch immer, und das ist die allergrößte Frechheit,
die er sich von ihr in einer heftigen Rede vorhalten=lassen muß.
„Wie kann,“ so raisonirt die Gräfin in höchster Entrüstung, „ein
Mann zu einer Frau zurückkehren wollen, die er doch für untren
hält!“ Der gute Graf beharrt bei seiner Frechheit und erringt
damit schließlich den Sieg, denn am Ende liebt sie ihn doch noch —
nicht mehr alsGatten, bewahre! — aber als Liebhaber (à la Cyprienne),
weil ihr keiner ihrer Liebhaber besser gefällt! Dies die Handlung
im trockenen Vortrag; Bracco trägt sie allerdings mit großer dialekti¬
scher Gewandtheit vor,er hat eine bemerkenswerthe Fertigkeit darin die
Dinge auf den Kopf zu stellen und so eine ganze Weile zu balangiren,
aber mit all dieser verblüffenden Kunst kann er einen gesunden
Sinn nicht täuschen über das frivol gefärbte Gaukelstück, aus dem
man keine andere Moral ziehen kann als allenfalls die: Es ist ver¬
werflich von einem Ehemann, an der Treue seiner Frau zu zweifeln,
eher esie nicht in fagranti mit dem Liebhaber ertappt hat. —
Schnitzler's „Abschiedssouper“ hat man vielleicht etwas Unrecht
gethan, als man es so geradehin auszischte.) Ein Bühnenstück ist
es allerdings nicht, vielmehr eine Studie zu einem solchen, die aber
in ihrer feinen Psychologie, in der Wahrheit des Tons und in
der Flüssigkeit des Dialogs ganz wohl an den Autor des
mit Recht so geschätzten Stückes „Liebelei“ erinnert. Die
Herren Bolz und A. Meyer, sowie Fräulein A. Bock
spielten das kaum 25 Minuten dauernde „lever de rideau“
sehr gelungen; Frl. Bock ließ es höchstens nur da etwas fehlen,
wo sich das unveräußerliche Zartgesühl der Frauenseele hoch
und glänzend über das Niveau der Oberflächlichkeit und Leicht¬
fertigkeit dieses Charakters heraushebt. In dem zweiten Stück
stellte Fräulein Landori die überspannte Gräfin brillant dar,
Herr Bauer war ein guter Graf und Herr Bolz brachte die
äußerlich glänzenden, innerlich armen Tiraden des verückten Lieb¬
habers — denn auch bei dem Menschen ist ein Schräubchen locker!
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glaubwürdig heraus. Als aber der Referent, nachdem er diese
tüchtigen schauspielerischen Leistungen nach Gebühr geschätzt hatte,
aus der mufsigen Athmospäre von cabinet separé, vermeintlichem
Ehebruch, doppelt und dreifach überschraubtem Gedanken= und
Gefühlsleben hinaustrat in die naturfrische, gesunde Märznacht¬
Pf.
.— o wie gut schmeckte diese Luft!
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= Der Berliner „Börsen=Kourier“ bringt aus Wien die
raphische Mittheilung, Herr Intendant Emil Claar in
alusag#e einer dem Raimund¬
„Der Herr Ministerialdirektor“, „Rechte der Seele“ und „Liebelei“.
— Aus Frankfurt a. M. von gestern wird uns telegraphirt:
Arthur Schnitzler's einaktiges Lustspiel „Abschiedssouper“ gelangte
heute im hiesigen Stadttheater, von Fräulein Bock, sowie den Herren Bolz und
Mayer dargestellt, zur ersten Aufführung. Das Stückchen, ein Anatol=Motiv
voll feiner Beobachtungen, ging an dem wenig empfänglichen Publikum ein¬
druckslos vorüber.
— Im königlichen Opernhause zu Budapest gab es, wie uns vom
28. d. von dort telegraphirt wird, gestern ein interessantes Debut. Die Witwe
des vor einigen Monaten verstorbenen Herausgebers der „Budapester
Korrespondenz" Julius Futtaky, Frau Irene Pevny, trat gestern als Elisabeth
in der Oper „Hunyadi Laszlo“ vor das Publikum und erzielte einen stürmischen
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