II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 12

4.5. Abschiedssouper
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# Frankfurter Herold-Kleine Chronik.
sagt, aller Geist aufs Körperliche stellt, fürchtet sie
wird England die Wiedereroberung des Sudans
nen
sofort das Aergste und kommt ausser sich vor Ver¬
wesentlich erleichtern; denn auf sich selbst
Luc
achtung. Allein der feige Riccardi besteht nur auf
gestellt und ohne Rückhalt in Arabien, be¬
einen Kuss. Aufathmet unsere Gräfin, aber da durch¬
Mei
sitzt der Mahdismus heute keine allzugrosse
Illu
zuckt sie der Stolz: auch nicht ein Mal einen Kuss!
Widerstandskraft. Hat aber England den
und sie lässt ihren Gatten rufen. Es ist eine der
Sudan wieder erobert, was wir ihm im In¬
Ver
besten und ernstesten Scenen, die uns von der Bühne
teresse der Civilisation von ganzem Herzen
dies
herunter geboten werden, und sie erinnert leider in
Pro
wünschen und gönnen, dann hat es das britische
diesem Stück an ein altorientalisches Bild: ein goldener
Ansehen nicht bloss in Aegypten, sondern
Ring in der Nase eines Schweines.
im ganzen mohamedanischen Orient glänzend
Ber
Nein, man soll seine Verachtung und seinen Ekel
wiederhergestellt, und die Vorherrschaft in
con
nicht besser kleiden, als sie es verdienen. Dieser
der Türkel, falls es aufhört, diese zu schwächen
Bracco wühlt im Schmutz, nicht aus Liebe zur Wahr¬
Tar
fällt ihm dann allmählich von selbst in den
find
heit, wie der aus hundert Gründen berechtigte Na¬
Schooss.
stat
turalismus, sondern aus blinkender Freude an der
Hiel
Zweideutigkeit selbst. Und je fassungsloser dabei
Kunst und Literatur.
den
jede Wendung einen auch nur gerade denkenden
Schauspiel.
Ums
Menschen machen muss, umso glotzäugiger gleichsam
S. v. H. Hoffentlich glaubt das Publikum nicht
vers
wird die Befriedigung des „Dichters“ selbst darüber.
im Ernst, dass Schnitzler sein Abschieds¬
nati
Aber der Maan irrt sich: seine Kühnheit im II. Akte,
Souper“ erst nach seiner so rasch berühmt gewor¬
lich
z. B. da wo die Gräfin die Bilder von Riccardi's
denen „Liebelei“ geschrieben habe. In Wahrheit
Geliebten besieht, stechen in Gebiete hinein, die
Beg.
hatten wir es hier mit einer in Dialogform erschienenen
noch
kaum eine einzige Frau, wenigstens ausserhalb
Novelle zu thun, in welcher die Lebemänner
Italiens, überdenkt.
herg
Wiens innerhalb des von ihnen unwillkürlich gezo¬
eine
„Bracco’s Untreu“ ist in Wien 40 Mal gespielt
genen Dunstkreises geschildert werden. Natürlich
Bezi
worden, hat bei uns einen rechten Beifall gefunden
bleibt die Frage offen, ob es überhaupt der Mühe
liche
und bleibt wahrscheinlich das frechste und gemeinste
werth ist, sich so vieler Schlaffheit, so vieler Klümp¬
Stück, das, die zotige Hanswurstzeit eingerechnet,
ehen von Denk- und Gefühlsträgheit liebevoll anzu¬
Sach
jemals über die deutsche Bühne ging. Ein blendender
nehmen. Wir sind doch schliesslich keine reichen
Verl
Geist, der hier einfach Natur und Character von
Türken, welche in lauwarmen Bädern ihr Leben dahin
Mann und Weib vertauscht; denn der erstere ist hier
dämmern. Damit soll aber in Einzelheiten jenes
von rührender Unbeholfenheit — und auf diese Weise
Stückes der tiefe Einklang nicht geleugnet werden.
dann sein plumpes Barock als starke Originalität
Wehmüthig ergreift es den Zuhörer, wie da z. B.
scheinen sieht. Wenn man sich da der Sardou'schen
eine Tänzerin sich vorspricht, dass sie einen Collegen
Grazie erinnert, dieser zahllosen feinen Lichter, die
liebe und an seiner Seite und um seinetwillen fortan
er seinen Personen aufsetzt, so steht der ganze
gerne jede Entbehrung zu ertragen entschlossen sei.
Bracco daneben wie ein Bär, der nur immer täppisch
Sie spricht es sich selbst vor, während sie äusserlich
zuschlägt.
ihren blasirten reichen Freunden davon erzählt. Und
Die Darstellung liess kaum etwas zu wünschen
dann kommt der Crême, und sofort nimmt sie wieder
übrig. Herr Bauer entwickelte einen höchst an¬
am Tische Platz, um nur ihre Lieblingsleckerei nicht
ziehenden Ehegatten und wohlgemerkt, inmitten einer
zu versäumon, Inmitten all solcher schönen Dinge
nahezu unerhörten, auch durch das Argste nicht zu
fällt aber plötzlich der Vorhang, und nachdem man
zerstörenden Passivität. Seine Höhepunkte bildeten
sich überzeugt hat, dass dies nicht etwa mit einer
die letzten Scenen des II. Aktes, wo er Schrecken
Schlaftrunkenheit des Maschinisten oder mit einem
Schmerz und Zorn über das Betragen seiner Gattin
Unglück am Seil zusammenhängt, sondern lediglich
wunderbar niederzukämpfen vermag. Frl. Landori
und lediglich mit dem wirklichen Ende des Stückes,
gab den falschen Dämon des Stückes, indem nämlich
— nachdem dies Alles genau, aber blitzschnell er¬
damonische Frauen Richt Bracco’s Sache sind. Ihre
kannt ist, muss selbstverständlich der Aerger über
Gräfin war eine meisterhafte Leistung von Gefall¬
eine so arge Zeitverrechnung losbrechen. — Die Vor¬
sucht, Räthselzpiel, verführerischer Liebenswürdigkeit
stellung wurde von Herrn Bolz und vor Allem
und auch leidenschaftlichem Ernst. Da sie jenem
von Frl. Bock sehr gut besorgt. Auch Herr
Riccardi gegenüber plötzlich mit ihrer Verachtung
A. Meyer, besonders da wo er von den Austern
zu kämpfen hat und ihm Alles verweigert, macht sie
sprach, die man jeden Tag nicht essen kann, sondern:
die Gewalt des „Dichters“ vor unseren Augen weit
„sollte, müsste“, war von guter Wirkung.
grösser, als es Herr Bracco verdient. — Herr Bolz
als Riccardi hat seine undankbare Rolle, die ihm im
„Untreu“ von Robert Bracco, ist ein
Gegensatz zum legitimen Gatten, sogar eine häss¬
neapolitanisches Stück, das wohl selbst an jenem
liche Maske auflegt, gut durchgespielt. Vielleicht
glückseligen Golf kaum in die Wirklichkeit übersetzt
wurde seine Verlegenheit vis à vis der anscheinend
wird. Sardou's Cyprienne langweilt sich bei ihrem
glücklich eingefangenen Gräfin etwas zu beweglich.
Manne und läuft dadurch Gefahr, einem Andern in
Auch Herr Desprez als Diener Riccardis verdient
die Arme zu rennen, blüht aber wieder in Lustigkeit
diesmal erwähnt zu werden.
und Liebe zu ihrem Gatten auf, da dieser endlich selbst
anfängt, den interessanten Galan zu pielen. Dagegen
Caecilien-Verein. Mit einer wohl gelungenen
hier die Gräfin Sangiorgi liebt ihren Gatten wirklich
Aufführung von Joh. Seb. Bach’s „Matthäus¬
Passion“ feierte der Caecilien-Verein den Char¬
und zieht zugleich einen raffinirten Courmacher in
freitag. Es ist eine schöne Sitte, diese unvergleich¬
ihre Netze. Um dieses Zieles wegen sucht sie un¬
liche Passionsmusik, die, von dem Geiste des Evan¬
zählige sinnliche Pikanterien in Handlungen und
geliums wie der Reformation gleich durchtränkt, als
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