II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 13

Novelle zu ihl 1 Wererereenen
WATE NAr
Wiens innerhalb des von ihnen unwillkürlich gezo¬
„Bracco’s Untreu“ ist in Wien 40 Mal gespielt
genen Dunstkreises geschildert werden. Natürlich
worden, hat bei uns einen rechten Beifall gefunden
bleibt die Frage offen, ob es überhaupt der Mühe
und bleibt wahrscheinlich das frechste und gemeinste
werth ist, sich so vieler Schlaffheit, so vieler Klümp¬
Stück, das, die zotige Hanswurstzeit eingerechnet,
chen von Denk- und Gefühlsträgheit liebevoll anzu¬
jemals über die deutsche Bühne ging. Ein blendender
nehmen. Wir sind doch schliesslich keine reichen
Geist, der hier einfach Natur und Character von
Türken, welche in lauwarmen Bädern ihr Leben dahin
Mann und Weib vertauscht; denn der erstere ist hier
dämmern, Damit soll aber in Einzelheiten jenes
von rührender Unbeholfenheit — und auf diese Weise
Stückes der tiefe Einklang nicht geleugnet werden.
dann sein plumpes Barock als starke Originalität
Wehmüthig ergreift es den Zuhörer, wie da z. B.
scheinen sieht. Wenn man sich da der Sardou'schen
eine Tänzerin sich vorspricht, dass sie einen Collegen
Grazie erinnert, dieser zahllosen feinen Lichter, die
liebe und an seiner Seite und um seinetwillen fortan
er seinen Personen aufsetzt, so steht der ganze
gerne jede Entbehrung zu ertragen entschlossen sei.
Bracco daneben wie ein Bär, der nur immer täppisch
Sie spricht es sich selbst vor, während sie äusserlich
zuschlägt.
ihren blasirten reichen Freunden davon erzählt. Und
Die Darstellung liess kaum etwas zu wünschen
dann kommt der Crême, und sofort nimmt sie wieder
übrig. Herr Bauer entwickelte einen höchst an¬
am Tische Platz, um nur ihre Lieblingsleckerei nicht
ziehenden Ehegatten und wohlgemerkt, inmitten einer
zu versäumen, Inmitten all solcher schönen Dinge
nahezu unerhörten, auch durch das Argste nicht zu
fällt aber plötzlich der Vorhang, und nachdem man
zerstörenden Passivität. Seine Höhepunkte bildeten
sich überzeugt hat, dass dies nicht etwa mit einer
die letzten Scenen des II. Aktes, wo er Schrecken
Schlaftrunkenheit des Maschinisten oder mit einem
Schmerz und Zorn über das Betragen seiner Gattin
Unglück am Seil zusammenhängt, sondern lediglich
wunderbar niederzukämpfen vermag. Frl. Landori
und lediglich mit dem wirklichen Ende des Stückes,
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gab den falschen Dämon des Stückes, indem nämlich
— nachdem dies Alles genau aber blitzschnell er¬
dkmonische Fraueh nicht Bracco’s Sache sind. Ihre
kannt ist, muss selbstverständlich der Aerger über
Grüfin war eine meisterhafte Leistung von Gefall¬
eine so arge Zeitverrechnung losbrechen. — Die Vor¬
sucht, Räthselspiel, verführerischer Liebenswürdigkeit
stellung wurde von Herrn Bolz und vor Allem
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und auch leidenschaftlichem Ernst. Da sie jenem
von Frl. Bock sehr gut besorgt. Auch Herr
Riccardi gegenüber plötzlich mit ihrer Verachtung
A. Meyer, besonders da wo er von den Austern
zu kämpfen hat und ihm Alles verweigert, macht sie
sprach, die man jeden Tag nicht essen kann, sondern:
die Gewalt des „Dichters“ vor unseren Augen weit
„sollte, müsste“, war von guter Wirkung.
grösser, als es Herr Bracco verdient. — Herr Bolz
als Riccardi hat seine undankbare Rolle, die ihm im
„Untreu“ von Robert Bracco, ist ein
Gegensatz zum legitimen Gatten, sogar eine häss¬
Tel
neapolitanisches Stück, das wohl selbst an jenem
liche Maske auflegt, gut durchgespielt. Vielleicht
glückseligen Golf kaum in die Wirklichkeit übersetzt
wurde seine Verlegenheit vis à vis der anscheinend
wird. Sardou's Cyprienne langweilt sich bei ihrem
glücklich eingefangenen Gräfin etwas zu beweglich.
Manne und läuft dadurch Gefahr, einem Andern in
Auch Herr Desprez als Diener Riccardis verdient
die Arme zu rennen, blüht aber wieder in Lustigkeit
diesmal erwähnt zu werden.
und Liebe zu ihrem Gatten auf, da dieser endlich selbst
anfängt, den interessanten Galan zu pielen. Dagegen
Caecilien-Verein. Mit einer w hl gelungenen
hier die Gräfin Sangiorgi liebt ihren Gatten wirklich
Aufführung von Joh. Seb. Bach’s „Matthäus¬

Passion“ feierte der Caecilien-Verein den Char¬
und zieht zugleich einen raffinirten Courmacher in
freitag. Es ist eine schöne Sitte, diese unvergleich¬
ihre Netze. Um dieses Zieles wegen sucht sie un¬
liche Passionsmusik, die, von dem Geiste des Evan¬
zählige sinnliche Pikanterien in Handlungen und
geliums wie der Reformation gleich durchtränkt, als
Rede hervor, geht durchaus auf körperliche Ziele los,
das gewaltigste Denkmal der evangelischen Kirchen¬
musik dasteht, gerode an dem höchsten protestan¬
muss sich also auch nothwendig eine Verliebtheit unter
tischen Feiertag den Hörern als eine ernste Predigt
derartigen Auspicien vorstellen. Sie scheut dabei auch
vorzuhalten. Ihre Sprache ist ja Allen verständlich,
nicht ein Mal die verwegenste Form, in der sich eine
sie kennt nicht die Kleinlichkeiten, die so häufige
Frau und noch dazu ohne dass das Herz im Geringsten
Mischung von Unbeholfenheit und Selbstüberhebung,

welche so manche andere Predigt dem Ernstgesinnten
mitspricht, in Grund und Boden compromittiren kann;
verleiden mögen, sie berührt mit der eindringlichsten
sie besucht nämlich jenen Junggesellen heimlich.
Kunst die edelste Seite unseres Wesens. — Auch
Und dann, um die Schamlosigkeit auf die Spitze zu
nach der künstlerischen Seite blieb uns der Verein
treiben, lässt sie ihn später in ihren Salon eintreten,
nichts schuldig. Herr Musikdirector Grüters hatte
die Aufführung wohl vorbereitet, und seine Sänger
damit er aus dem anliegenden Schlafzimmer das aus¬
liessen ihn auch diesmal nicht in Stich. Die schwere
gelassene Gelächter des wieder vereinten Ehepaares,
Aufgabe, welche dem Orchester und vor Allem der
höchst eigenohrig vernehme.
Orgel gestellt ist, wurde glänzend von den Theater¬
Was Herr Bracco leisten könnte, triebe ihn
musikern und Herrn Dormorganisten Hartmann
bewältigt; zu den Chorälen lieferte auch diesmal
nicht ein tief innerliches Gefühl zu frechen Gassen¬
wieder ein von Herrn Krug recht sicher geschulter
hauern auf die Ehe, zeigt der Schluss des sonst gemein
Knabenchor einen nicht zu unterschätzenden Stimm¬
H
genug gehaltenen zweiten Aktes. Die Gräfin ist
fond. Die Besetzung der beiden Haupt-Gesangs¬
nämlich bei ihrem dummen Galan, — er ist wirklich
partien mit den Herren Vogl aus München und
dumm, weil er eine solche weibliche Dreistigkeit zu¬
Fritz Plank aus Karlsruhe, verbürgte schon allein
Ve
einen hohen Kunstgenuss, wiewohl uns beide Künstler
nächst mit Chopin und eigenen Sonetten einfangen
un
auf den weltbedeutenden Brettern doch wesentlich
möchte — als plötzlich gemeldet wird, dass ihr Mann
grösser scheinen. Die kleineren Partien waren bei
unten warte. In ihrer Verwirrung, was bei einem
Herrn Ad. Müller und den Damen Frau Helene
naiven Gewissen wiederum falsch angeklebt erscheint,
Günter von hier und Frau Krämer-Schleger
aus Düsseldorf gleichfalls vorzüglich aufgehoben,
sieht sie diesen Courmacher als Erlöser an, da er ihr
Namentlich zeichnete sich letztere Dame durch die
einen Schlüssel zum Seitenpförtchen anbietet. In
reine Textaussprache und die edle musikalische Auf¬
P.
diesem Augenblick verzehnfacht aber Herr Gino
fassung der Altpartie aus. Das Publikum enthielt
Riccardi seine Bornirtheit, indem er Bedingungen
sich freilich, der Feier des Tages gemäss, jeder
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machen will. Da sich nun bei der Gräfin, wie ge-1 lauten Beifallsbezeugung.
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