II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 24

—Uminsthreider vverftischtsch redent
könne. Wozu steckte der geistvolle Mann eine so blutigernste
Miene auf? Man wird sagen, er wollte uns einmal
spanisch kommen. Gut, aber mußte er seinem Talent
gerabe das unangenehmste spanische Kleidungsstück
anlegen? Er hätte jetzt nach dem großen Berliner
Erfolge seiner Komödie „Der Star“ die ältere „Juana“
gar nicht zufführen lassen sollen. Die Heldin dieser drei¬
actigen Ballahe ist eine Generalsfrau, die ihren Gatten
mit einem jungen Lientenant Tag und Nacht betrügt.
Der hausfreundliche Officier ist, nebenbei bemerkt, der
Sohn eines Soldaten, der einmal dem General auf dem
Schlachtfelde das Leben gerettet hat. Die Dankbarkeit —
der Generalin kennt keine Grenzen. Sie erdrückt
den Lientenant mit ihrer Liebe, auch dann noch,
als sie bereits merkt, daß er ihrer überdrüssig ge¬
worden. Von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet,
Far 50 in voller Trauerwichs, erscheint Inana in der Wohnung)
100 des Geliebton, um ihn neuerdings zu gewinnen,
inclusive
Porto.
200 Sie fleht und droht, ja sie gibt ihm sogar
Zahlbar
500 eine Oyrfeige, die aber die Darstellerin in der
im Voraus
" 1000 gestrigen Premièren=Aufregung nicht verabfolgte.
Im Reclamationen sind portofrei. Während die Generalin hinitte
as
Abonnennoch bei ihrem Lientenant weilt, erscheint der General h stein
den
Abonnenzu Besuche. Sie versteckt sich rasch in einem Neben= ändern.
zimmer. Der General fragt den Lieutenant: „Was ist
zwischen Dir und meiner Frau?“ — „Nichts!“ lautet
die Antwort. — „Kaunst Du darauf Dein Ehrenwort als
Officier geben?“ — „Ich gebe mein Ehrenwort als
*Officier!“ Der betrogene Gatte athmet erleichtert auf und
der Ehebrecher zeigt ihm seine Waffensammlung, darunter
einen denkwürdigen Säbel. Das ist der Säbel, den einst
sein Vater trug, der Säbel, dem der General sein Leben
verdankt. Als sich der ahnungslose Ehemann ent¬
fernt, stürzt die Frau auf die Scene und ruft
angesichts des weinenden Lientenants triumphirend
aus: „Nun bist Du unlöslich an mich gebunden.“
Das heißt in Bezug auf den Ehebruch: Fortsetzung folgt.
Schöner Gedanke, aber es kommt anders. Der Lieutenant
verliebt sich in eine Nichte des Generals, die er von
seinem dunkelsten Fleck weg heiraten will. Die Generalin
tobt, rast und heult, ja sie beginnt auf der Bühne mit
dem Lientenant zu ringen, wie Fräulein Kalmar mit Herrn
Retty. Und da der Lieutenant sich nicht umstimmen läßt,
geht sie hin und deckt in einer Unterredung mit dem
Geueral racheschnaubend den Ehebruch auf. Und der
General ist fürchterlich. Er drück dem Sohne seines
Lebensretters die Pistole in die K
auf daß
er sich erschieße. Der Lieutenant geht in den Garten
und die Generalin horcht in athemloser Spannung
auf den Pistolenknall. Und pünktlich knallt es. Man
trägt den Selbstmörder auf die Bühne und an seiner
Leiche wird Juana gelührend nahnsinnig. Um das
Publicum über die Leere des Stückes hinwegzutäuschen,
hätte man es in raschem Tempo svielen müssen.
Die Darsteller hielten aber den Gang der Handling
durch Pausen und pantomimische Einlagen auf.
Fräulein Adele Sandrock, um deren künstlerische Zukunft
uns gar nicht bange ist, spielte sogar zwisden den Z uen.
Herr Burg, sonst ein scharfer Charakteristiker, wurde mit
der Rolle des Liebyabers hart gestraft. Während des
zweiten Actes begleitete ein Theil des Publicums diesen
und jenen Satz des Dialoges mit lautem Gelächter.
Es gab sehr kritische Momente und nicht wenig fehlte, so
hätte man den feschen Lieutenant mit „Pfui Buvi!“
begrüßt. Das Alles aber hinderte nicht, daß Hermann
Bahr nach dem zweiten und dritten Acte stürmisch
gerufen wurde. Der erste Act ist eine dramatische Merk¬
würdigkeit. Er ist um einen Gedanken zu kurz, viel kürzer,
als der darauffolgende Z vischenact. Als Nachspiel wurde
Arthur Schnitzler's lebensvolles Lustspiel „Ab¬
schiedssouper“ beifälligst ausgenommen. Jung¬
Wien kam also doch zu Ehren. Noch Eines: W.s für
Lehre darf man aus der Bahr'schen Ballade ziehen?
Vielleicht die Lehre, daß die Weiber den Hausfreund
nint an den Gatten verrathen sollen? Und was soll das
biblische S lußwort: „Richtet nicht, auf daß Ihr nicht
gerichtet werdet“? Wieir den guten Hermann kennen,
ist das beileibe keine Drohung für jene Kritiker, die auch
Theaterstücke schreiben.
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Ausschnitt aus:
Neue Freie Presse
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—[Raimund=Theater.] Juana, eine ältere und heute
grausam abgelehnte Heldin Hermann Bahr's, ist die bekannte
Schöne in der kritischen Zeit. Sie heiratete einen Mann von
Jahren, den Marquis del Montillo (Herr Räder), und sie
liebt ein junges Bürschchen, den Lieutenant Ruiz Navarete (Herr
Burg). Im Salon ihres Gatten führt sie, nicht figürlich
gesprochen, die sellsamsten Tänze aus, in ihren freien Stunden
huscht sie durch entlegene Gassen zu einem heimlichen buon retiro
oder in die Wohnung ihres Liebhabers. Hier kommt es einmal
zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen beiden Liebesleuten.
Er ist ihrer müde und begingt sich anzuklagen, daß er einen braven
Chef betrügt. Sie wirft ihm Trenlosigkeit vor. „Du liebst ihn
mehr als mich!“ seufzt sie. Da klopft es an der Thür, der
General droht einzutreten, Juana wird in ein sicheres Versteck ge¬
bracht, und der betrogene „brave General“ ist in der Lage, den
Betrüger mit Freundlichkeit zu überschütten — mehr noch, er ver¬
mag es ihm zu gestehen, daß anonyme Briefe ihn täglich glauben
machen, er sei ein Hahnrei. Der junge Held gibt sein Officiers¬
'wort, daß dem nicht so ist. Der Marquis del Montillo ist be¬
friedigt und geht von dannen. Nach einem Acte vergißt Ruiz die
Schwüre, die er Inanen schwor, und liebt eine blonde,
keusche Angela, deren Mondscheingesicht der zerstörten alten Literatur
angehört. Juana geräth außer sich und gesteht ihrem Gatten
Alles. Nun wird dieser alte Blinde sehend und fordert Rechen¬
schaft. Der junge Phaon eilt in den Garten, wo er, während
Donner rollen und Blitze zucken, sich erschießt. Mit einer unheim¬
lichen Beschleunigung wird seine Leiche hereingetragen, ihr Anblick
erschüttert Niemanden. Jeder weiß, daß sie ein Theater=Requisit
ist, welches den Wahnsinnsausbruch Juana's erklären soll. Toll
inclustve
ist sie von allem Anfang an gewesen. „Juana“ gibt sich als
Porto.
modernes Schauspiel, das den alten „Sappho“=Stoff neu formen
Zahlber
im Voraus
will; aber das Neue darin ist nur das Unvermittelte und Kurz¬
angebundene oder Kurzathmige seiner Sprache, das rasch Wechselnde
tte ist das
seiner Stimmungen, die nicht in unmöglicher, aber doch in unver¬
mittelter Folge auftauchen. Dies geschieht von Anbeginn bis zum steht es der
Schlusse, und „Juana“ bleibt durchaus eine Skizze, die auszu= dern.
führen eigentlich den Schauspielern überlassen ist. Bahr's neues
Werk ist nicht ganz ohne ernste Züge. Der Hinweis auf den
Mißbrauch militärischer Ehrbegriffe erscheint gewiß zeitgemäß
leider nur so aphoristisch und in anderen Absichten des Autors
versteckt, daß der Zuschauer die flüchtig angedeutete Tendenz kaum
erräth. Fräulein Sandrock war natürlich Juana. Sie that
ihr Möglichstes, sie tanzte, wiewol der Tanz nicht ihre Sache ist,
sie fand für die unablässig küssende Liebesgluth der Heldin die
absonderlichste, nicht immer zart gewählte Nuancirung, sie weckte,
wo dies möglich war — namentlich in Stellen des dritten Actes
— die vollen Töne ihrer Begabung und brachte die fortwährend
höhnischen Lacher im Saale, die bei ernst gemeinten Stellen
lebendig wurden, zeitweilig zum Schweigen, schließlich erlahmte
ihre Kraft. Der wahnsinnige Wahnsinn dieser cocottenhaften Juana
erschien Niemandem glaubhaft. Auch ihre trefflichen Partner
Räder und Burg waren nicht glücklicher, wiewol sie
gerade heute die besten Proben ihres Talentes gaben.
Ein Lustspiel, „Abschiedssonper“, folgte auf „Juana“, Arthur¬
Schnl##en ist dessen Autor; es stammt aus seiner berannten
Sammlung von Einactern, die alle denselben wenig anmuthenden
Anatol zum Helden haben. Schnitzler, der seither nicht nur un¬
gleich Besseres, sondern wirklich Gutes schuf, stand damals ganz
unter dem Eindrucke gewisser mehr kecker als geistreicher französi¬
scher Einfälle; was er in seinen jugendlichen Nachahmungen an
Talent verrieth, erstickte ein abstoßendes Milieu. Man findet dieses
im „Abschiedssouper“ wieder, das sich von „Juana“ nur
durch den heiteren und consequenten Grundton unterscheidet.
Inana heißt in der Comödie Schnitzler's Annie, der General
Anatol, und der glückliche Dritte wirkt unsichtbar hinter der
Scene. Der Unterschied beider Handlungen liegt nur darin, daß
Juana traurig ins Irrenhaus geräth, während Annie lustig in
die Arme eines zweiten Liebhabers fällt; sie bringt ihm sogar die
Cigaretten des Vorgängers als Morgengabe ihrer Liebe
mit. Seltsam erschien die Zusammensetzung des heutigen
Abends. Wollte man nach altem Beispiel im Satirspiel den voran¬
gegangenen Ernst parodiren oder sollte in moderner Art ein
Doppelbild das Nämliche in verschiedenen Ausdrucksformen sagen?
Auch das „Abschiedssouper“ wurde sehr gut dargestellt. Fräulein
Sandrock kam diesmal derb — zu derb komisch und mit einigen
vergröberten Niese=Nuancen. Herr Burg traf den Geckenton Ana¬
tol's mit überraschender Wahrheit. So fand das Lustspiel Beifall,
während dem Schauspiel schon vom ersten Acte ab Widerspruch
entgegentrat, der sich immer lauter, schließlich, nicht immer berech¬
igt auch bei offener Scene äußerte.