II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 69

4. 5. Abschiedssoup
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P
spiel: Abschiebssouper“, das uns vorigen Jahre
Cheater und Kunst.
an derselben Stelle von Adele San servirt wurde.
(Raimund =Theater.) Die Mitglieder des Hier konntedie Regie nicht viel lein# und hier war
„Deutschen Theaters“ in Berlin haben sich zu einem
auch für ein Eusemble keine Gelegenheit geboten, weil
Ensemble=Gastspiel eingefunden, um die Kunst ihres
die frindle Farce nur in einer Bravourarie be¬
Haufes zu zeigen. Man brachte den Gästen besonderes
steht, die sich eine Cocotte letzter Marke leistet. Gisela
Interesse entgegen; das „Deutsche Theater“ genießt
Schneider
spielte diese Cocotte mit Temperament
unter den Bühnen der Gegenwart hervorragenden
und ohnlle ästhetische Bedenken, aber mit nicht
Ruf, an ihm ist der moderne Styl der Dar¬
ganz echter Localfarbe und mit geringer Abwechslung.
stellung zu vollendeter Ausbildung gelangt, an ihm
Daß Hermann Nissen aus dem decadenten Lebe¬
sind Kainz, Engels und Else Lehmann groß geworden.
jüngling Austol einen asthmatischen Professor machte,
Die Berliner führten sich mit einem Stücke Ernst
blieb unverständlich. — Schließlich noch eine Bemerkung.
v. Wolzogen's ein, das den anheimelnden, nicht ganz
Die Wahl der beiden Stücke, mit denen die Berliner bei
unparlamentarischen Titel „Das Lumpengesindel“ gewählt
uns ihre Visitkarte abgaben, berührte eigenthümlich. Der
hat. Die Todten reiten unter den Modernen noch schneller
Bösewicht und Verführer im „Lumpengesindel“ ist ein
als gewöhnlich; die Tragikomödie Wolzogen's — eine
Wiener, die furchtbar gemeine Cocotte im „Abschieds¬
ältere Arbeit des Verfassers — sieht heute bereits recht
souper“ ist eine Wienerin. Ich beauftrage hiemit den
veraltet aus. So lange es sich um die bloße Milieu¬
Herrn Regisseur, den Herrn Unternehmer des Gastspieles
schilderung — sie gilt den Berliner Kunstzigennern —
sofort telegraphisch zu benachrichtigen, daß der Takt, den
handelt, erfreut mancher echte, frische Zug; von dem
diese Zusammenstellung verräth, nicht über jeden Einwand
Momente an, wo sich die Schilderung in drama¬
erhaben ist.
T
tische Ereignisse umsetzen soll, ist der Autor mit
seiner Weisheit zu Ende. Ein Berliner Schutzmann
greift zum Revolver, um seine einst verführte, jetzt ander¬
weitig verheiratete Tochter mit bedeutender Zugsver¬
Für 50
100 spätung an dem Schuldigen zu rächen, zieht es aber uslve
200 schließlich vor, ein Glas Bier zu trinken, während der rto.
500 Ehemann sich mit der Vergangenheit abfindet. Das ist ilbar
„ 1000 weder tragisch, noch komisch, noch tragikomisch, sondern draus.
heinfach unmöglich. Die beiden ersten Acte zeigten die ist das
Abonne Stärke des „Deutschen Theaters“; sie besteht in einerit es den
Abonne Regie, die den Intentionen des Milieustückes mit liebevollster
Sorgfalt nachgeht, das Interieur bis auf den letzten Nagel
richtig herausbringt und ein feingestimmtes Ensemble¬
schafft. Diese Regie bevormundet den Schauspieler, sie
beherrscht ihn mit ihrer geistigen Superiorität und läßt
keine Sondergelüste aufkommen. Brave Durchschnitts¬
darsteller werden unter ihrer Hand zu bedeutenden
Erscheinungen, Nullen erhalten einen Einser vor¬
gesetzt und können sich als
Zahl aufspielen.
Dieses künstlerische Rechenexempel interessirte lebhaft
und man bedauerte eigentlich gar nicht, daß die
„Stars“ der Gesellschaft durch ihre Abwesenheit glänzten;
erst im letzten Acte schlug die Stimmung um und mit
dem Verfasser verloren auch seine Interpreten den festen
Boden unter den Füßen. Zu allem Ueberflusse trat dann
der Regisseur vor und meldete in schneidigem Tone, er
werde Herrn v. Wolzogen von der günstigen Auf¬
nahme des Stückes sofort telegraphisch benachrichtigen.
Die wichtige Mittheilung wurde dankend abgelehnt,
und zwar mit Recht; erstens ist das „Lumpengesindel“
keine Novität, zweitens betrachten wir solche Tele¬
drittens
gramme als eine Privatangelegenheit,
galt der Beifall nicht dem Stücke, sondern der Regie.
Als Anhängsel brachten die Gäste Schnitzler's Lust¬