II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 81

4.5. Abschied ouper
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#grsesicter Herre nn###ae der Landschaft Schiller's, Ibsen's und Byron's, wie um die
hut des Raspelns von Wortgestalten dieser recht eigentlich stimmungsvollen Sprachen
hatte. Gegenwärtig haucht. Südliches un zördliches Deutsch, das sind vor Allem zwei
Ganze Völker kinken verschiedene Tonfälle, deren einer beim Hören rasch in den anderen
##voranD##ist der übersetzt werden muß. Ist das Ohr einmal darauf eingestellt, so
nalen jungen Kunst arbeitet der Mechanismus von selbst. Und dann spricht der Nord¬
#deutsche dental, der Süddeutsche spricht guttural. Spricht nicht nur,
lichkeiten ein¬
sondern hört auch dental, beziehungsweise guttural. Das gibt den
in Künsten,
Klang von zwek verschiedenen Sprachen, und man ist fast erstaunt,
ein Honig!
die Worte zu verstehen. Nun, nach einigen Tagen wird sich das
gemalten,
Publikum in die Berliner hineingehört haben und sie werden hier
# dassie ein
gewit sehr gefallen.
Prinzip nur insder
ersunden. Ex klingt
Schon ihr erster Abend war günstig. Ein freundliches Regen¬
ist so bezeichnend
wetter im Novem erstil hatte das Theater vollständig gefüllt und
malend, daß er
das Publikum fü: gesprochene Wärme empfänglich gemacht. Die
hig geworden ist. Sie
Stimmung war vortrefflich und es gab eine Menge Hervorruse; nur
.Nun, auch in allen
eine Hauptszene versagte. Dies war in Ernst v. Wolzogen's
dreiaktiger Tragikomödie: „Das Lumpengesindel“. Der hochbegabte
sie haben b
inen
Verfasser entwirft darin ein Wirklichkeitsbild in lauter Grau, das er
setzt
dings behe
nd
aber scharf, mit Theaterschärfe, pointirt. Das ist ein unerquickliches,
Mälerei
tritt
und doch possierliches Milieu, in dem die Anständigkeit sogar etwas
Kultus de¬
den
eigenthümlich Schiefes hat. Da ist bazillenreiche Großstadtluft bis
charser H#
iener
in die Knochen hinein. Alles ist angeseucht, gleichsam nothwendig
niesen
ließlich
Soxydirt von den beizenden Elementen der umgebenden Lebenslust.
thauen aber
es so, mit Gerhärt
Diesen Leuten ist der Sinn für ihre eigene Niedrigkeit ganz ab¬
handen gekommen, sie sind niedrig mit Naivetät, ja etliche mit einem
verschiedenen ruppigen
in. Die Leute ergaben
gewissen Anstand im Unanständigen. Ihr ganzes Niveau ist ein
anderes, als das konventionelle, welches Nietzsche „moralin¬
#ist die Kapikulation
sauer“ nennt. Es ist das Niveau einer modernen Welt¬
sich über ihren gestri“
stadt=Bohème, keiner lustigen, wie es früher eine gab, sondern
einer unmuthigen, skeptischen, fatalistischen, brutalen, deren Humor
ekanntlich der moderne
aus einem bizarren Gemisch von Streberei und Selbstzersetzung be¬
ie ist für die jüngste
steht. Der Schriftsteller Dr. Friedrich Kern ist in den Dingen, auf
den. Man freut sich also,
die es ihm ankommt, gewiß nicht gesinnungslos. Wirft er doch den
Verdünnung, hier zu
Kommerzienrath Dessoir, der ihm glänzende journalistische Anträge,
hren Kleidern, in ihrer
oder richtiger Zumuthungen macht, zur Thüre hinaus. (Dieser Geld¬
in ihren Unzulänglich¬
mensch ist brillant gezeichnet und Herr Max Reinhardt
nander gewachsen, das
spielt ihn vortrefflich auf den ehemaligen „Dessauer“ hinaus.) Aber
er Ton vorhanden, wie
er ist doch ein Lump, er und sein Bruder Wilhelm, mit dem er zu¬
isch anfühlt. Das Auf¬
sammen wohnt, in irgendwelchen schiefen Beziehungen zur Ver¬
noch ein wenig üben;
mietherin. Und dabei hat er eine junge Frau, die Tochter eines
isse laut, daß man nicht
Polizeiwachtmeisters (gute Figur, von Herrn Herrmann Nissen
eten Zuschauer ernstlich
wie eine Art subalterner Bismarck gespielt), der sich über den Hinaus¬
hen Truppe besser folgen
wurf des Kommerzien=Dessoir nicht trösten kann. Frau Else ihrer¬
omanischen Völker arti¬
seits hat auch ein Geheimniß — „eine Lüge“ — in die Ehe gebracht,
ihre Laute so merk¬
das sie jetzt drückt, ian weiß nich recht, wieso. Sie hat eine Ver¬
s ist, als scheine die
gangenheit, und zwar wörtlich, denn sie hat sich vor der Heinath ver¬
Statuen, auch auf die
gangen, und zwar, wie man zuletzt erfährt, mit einem Wien Bild¬
unzweideutig vor dem
hauer. Else hat bei Dr. Kern ein schlechtes Leben. Sie möchte gern
alle Lust= und Nebel¬
Feinheiten um die Fels= intimer verheirathet sein, was aber der ungetreuliche Mitwohner und
Schwager unmöglich macht. Sie ist unbefriedigt, gedrückt, unglücklich.
Sie fühlt sich nicht geachtet in dieser Zigennerwirthschaft. Sie läuft
so mit, bei Gelegenheit zärtlich ins Lebendige gekniffen, dann wieder
in den Winkel geschoben. Aus ihrem eigenen Bett muß sie Nachts
heraus, um Platz zu machen für obdachlose Freundchen ihres Gatten,
einen verkommenen „Nationalökonomen“, einendzweiselhaften Dichter¬
ling (rasch hingeworfene, gute Augenblicksfiguren); sogar eine „Braut“.
ihres Schwagers muß sie an ihrem Tische sehen, bei einem Zechgelage
dieser Kumpane. Angewidert geht sie mit ihrem angetrunkenen Papa
aus dem Hause, sie verläßt den Gatten. Dieser erwacht nun natürlich
aus dem Trivialitätsdusel und fühlt sich von dem tragischen Finger
angerührt. Gute Mondscheinszene am Schluß des zweiten Aufzugs,
wo der stärkste Erfolg lag. Leider wird im dritten Aufzug der Kon¬
flikt zwischen den Gatten zu oberflächlich gelöst. Der Schwager wird
aus dem Hause gehen, aber die inneren Fragen werden nur leichthin
geschlichtet; eigentlich sind sie auch die schwache Seite des Stückes.
Der verblüffendste unter diesen Lumpen ist der Wiener Bildhauer.
Er ist der Lump=Bonhomme. Mit der größten Gemüthlichkeit
gesteht er, was er der armen Else angethan; Papa Wachtmeister
will ihn dafür niederschießen, Else deckt ihn mit ihrer Person. Und
der gemüthliche Bildhauer, der soeben 10.000 Mark verdient hat,
kanzelt den Wachtmeister herunter: „Hätten Sie mich damals todt¬
geschossen, wo ich ein armer Teufel war, aber jetzt, wo ich endlich das
Leben genießen kann ... das ist gemein!“ (Wir zitiren nur den
Sinn der Rede.) Schließlich möchte er noch den Ehemann, dem er bei
seiner Frau das Prävenire gespielt, anpumpen und geht mit einem
empfindsam=flotten „Servus“ im selben Tschau=Ton ab. Dieser
Jüngling nun stieß in Wien auf starken Widerspruch; der dritte Akt
scheiterte hauptsächlich an ihm. Er war auch weniger gut gespielt.
Den Dr. Kern spielte Herr v. Winterstein. Es ist schon
viel, daß er diesen Unsympathischen durch eine gewisse Leichtigkeit
über Wasser hielt. Das wäre eine Rolle für Mitterwurzer gewesen.
Fräulein Annie Trenner, die (statt Else Lehmann's) die junge
Frau spielte, hat uns gefallen. Diese sonnenlose Existenz, in deren
Psychologie man auch nicht hinreichend hineinsieht, könnte leicht ver¬
sagen, aber die Künstlerin findet einen sehr guten Ton dafür.
Als erheiterndes Nachspiel gab man den Schnitzier¬
schen Einakter: „Abschiedssouper“, den wir noch nicht kannten. Das
ist ein köstliches Wiener Erzeugniß. Nichts als ein Souper, bei dem
ein Lebemann seiner Flamme den Abschied geben will, aber von ihr
den Abschied bekommt. Dieses leichte Persönchen mit ihrem außer¬
ordentlichen Appetit für Austern und Champagner, mit ihrem massen¬
haften Gelächter in allen Skalen und Trillern, und mit ihrem
ungeheuren Instinkt für Herzenssachen, in denen ihre Naivetät zu
lauter Subtilität wird, ist eine glänzende Figur. Sie wurde auch von
Fräulein Gisela Schneider virtuos gespielt. Die mitwirkenden
Herren genügten nicht recht. Das geistreiche Stückchen hatte einen
durchschlagenden Erfolg.