Fur 507
100
200
. 1000
Abonname
Abonnent
Gastspiel des Theakers in der Jpsefstadt
ir. Wien.
Im Neuen Theater war gestern etwas wie ein
litterarischer Geist zu spüren, der sonst in diesem
schmucken Luxustheaterchen schon lange nicht mehr
störend umzugehen pflegt. Die üblichen Dilektanten¬
Schwänkchen, die Frau Nuscha Butze bier sonst einem
so gutmüthigen, wie geduldigen Publikum vorzusetzen
liebt, waren durch wirkliche Kunst ersetzt, und das
gab für die Habitués dieses Hauses dem Abend ##
wiß etwas Befremdliches, geradezu Verbluffendes
Direktor Jarno mit seinem tüchtigen Ensemble
vom Wiener „Theater in der Josefstadt“ hatte ernen
Einakterabend zusammengestellt, der Bekanntes und
Neues, grimmigen Ernst und kecke Sahyre mi
gutem Glück mischte und seinen Darstellern,
allem ihm selbst — der in seinem Zugstucke „Fiittere
wochen“ leider nicht mitspielt — Gelegenhest giede
Menschen darzustellen auf dieser Bühne, die au¬
noch Schwank=Marionetten gewöhnt i. Anaul
Strindbergs „Gläu#iger“ und Arthur Sch###
lers „Abschiedslouper“ sind #ier in Berlin
wohlbekannt. Beide so grundverschiedene Stücke
inclusive
fanden gestern eine sehr achtbare, wenn auch nicht
Porto.
durch gleichwerthige Darstellung. Der zügel¬
Eahlbar
lose berbaß des Schweden, der mit der sein¬
im Veraus.
geschenen Klinge der Dialektik jede Blöße
des Gegners erspäht und schonungslos ausnutzt, ge¬
wann in der sein ausgearbeiteten Wieo rgabe der Sinitte ist dns
Hauptpartie des betrogenen und nun unbarm¬ Fh# stcht es den
herzige Rache übenden Gatten durch Herin Jarno ländern.
eine grausam wahrhaftige Gestelt. Dieser Einalter
ist für Strindberg den Menschen wie den Dichter
so ungemein bezeichnend; denn jeue beiden Seelen,
die in seiner Brust wohnen — seine selbstbidgra¬
ohische Beichte eines Thoren in ihrer cynischen Genia¬
lität hat es deutlich offenbart — sind hier reinlich
geschieden in den beiden Männern des Stückes: dort
durch Betrug und herbe Enttäuschung zum er¬
risten Feind des Weibes und des Feminikmus
rdene Gustav, in dessen Seele Haß und Ver¬
ung alles Mitleid mit der Schwäche, alle Ge¬
rechtigken erstickt haben; hier der weichliche, schwache
Adolf, dessen glühende Sinnlichkeit, dessen unstät¬
flackernde Euergtelosigkeit ihn zum willenlosen Spiel¬
zeug eines kebensdurstigen Weibchens machen. Gustav
und Adolf in eine einzige Person untrennbar ver¬
schmolzen, und doch sich ewig hassend und be¬
febdend, sich ewig Schlachten liefernd und sich auf¬
reibend in diesem Kampfe — das ist August Strind¬
berg. Am meisten aus seinem Geiste heraus
schuf Herr Jarno; Fräulein Fehdmer hatte in der
ungemein schwierigen Rolle, unterstützt von einer dem
Eharakter angepaßten Erscheinung, sehr glückliche
Momente; die glücklichsten vielleicht da, wo sie die
Weibchennatur, deren verächtliche Minderwerthigkeit
gerade bewiefen werden soll, gegen den Dichter seibst
vertheidigen zu wollen schien. Herr Spira als
Adolf war ein bischen gar zu larmoyant. Das
Stück ist schon quälend genug, wenn man nicht
übertreibt.
Die kleine Rovität des Abends: „Die Mond¬
scheinsonate“, Komödie in 1 Akt von Ludwig
Wolff, ist eigentlich kein Stück, sondern ein
Stückchen von einem Stück. Es giebt sich als eine
lustige Scene, die wie eine von einem witzigen Kopf
in dramatische Form gegossene Anekdote anmuthet.
Eine Anekdote mit einer scharfen antisemitischen
Spitze, die allerdings durch das sehr diskrete, hier
fast zu diskrete Spiel des Herrn Jarno als Armin
vorsichtig abgestumpft wurde. Immerhin giebt es
Städte im lieben deutschen Vaterlande, wo das
Stückchen auch in dieser milden Form und Fassung
eine Kühnheit ohne Gleichen bedeutete. Der Wisz
der Sache ist der, daß zwei junge Männer scheinbar
„aus Liebe“ sich verloben; als sich aber herausstellt,
daß ein 5000 Gulden betragender „Jerthum" bezüglich
der Mitgift passirt ist — ein Irrthum, der bei dieser
Neigungspartie auf das Konto des ... Vermittlers
kommt: —
tauschen die beiden Freiersmänner
ganz einfach die Bränte. Den kecken satirischen
Grundton des Stückchens, din die anderen nur
durchschimmern ließen, traf am besten Herr Ehrens,
der als nüchterndenkender und gefräßiger Isidor
Klein in der ausdrucksvollen Sprache des Mundes
wie der Hände eine außerordentlich lustige
Leistung bot.
Das „Abschiedssouper“ von Schnitzler, das
den Abend beschloß, ist hier sehr bekannt. Auch in
„der Besetzung der Hauptrollen ist es bekannt. Aber
so händlungsarm und undramatisch es eigentlich ist,
man hört die hemortstischen Pointen und des guten
Anatol Bummelwitze immer wiedergern, wenn alles
mit se entzückender „Selbstverständlichkeit“, wie bei
den Wiener Gästen, herauskommt. Hansi Niese
als kleine unmanierliche Ballettratte, die weh¬
müthigen Abschied nimmt von Austern und Sekt
und ihrem Angtol, sprudelte wieder vor Uebermuth
und brachte die alten, wohlbekannten kleinen Witzchen
zu überraschend neuer Wirkung. Das Stückchen ist
ein Glas Sekt und muß so servirt werden. Die
Wiener verstehen es zu serviren.
R. P.
—
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Gastspiel des Theakers in der Jpsefstadt
ir. Wien.
Im Neuen Theater war gestern etwas wie ein
litterarischer Geist zu spüren, der sonst in diesem
schmucken Luxustheaterchen schon lange nicht mehr
störend umzugehen pflegt. Die üblichen Dilektanten¬
Schwänkchen, die Frau Nuscha Butze bier sonst einem
so gutmüthigen, wie geduldigen Publikum vorzusetzen
liebt, waren durch wirkliche Kunst ersetzt, und das
gab für die Habitués dieses Hauses dem Abend ##
wiß etwas Befremdliches, geradezu Verbluffendes
Direktor Jarno mit seinem tüchtigen Ensemble
vom Wiener „Theater in der Josefstadt“ hatte ernen
Einakterabend zusammengestellt, der Bekanntes und
Neues, grimmigen Ernst und kecke Sahyre mi
gutem Glück mischte und seinen Darstellern,
allem ihm selbst — der in seinem Zugstucke „Fiittere
wochen“ leider nicht mitspielt — Gelegenhest giede
Menschen darzustellen auf dieser Bühne, die au¬
noch Schwank=Marionetten gewöhnt i. Anaul
Strindbergs „Gläu#iger“ und Arthur Sch###
lers „Abschiedslouper“ sind #ier in Berlin
wohlbekannt. Beide so grundverschiedene Stücke
inclusive
fanden gestern eine sehr achtbare, wenn auch nicht
Porto.
durch gleichwerthige Darstellung. Der zügel¬
Eahlbar
lose berbaß des Schweden, der mit der sein¬
im Veraus.
geschenen Klinge der Dialektik jede Blöße
des Gegners erspäht und schonungslos ausnutzt, ge¬
wann in der sein ausgearbeiteten Wieo rgabe der Sinitte ist dns
Hauptpartie des betrogenen und nun unbarm¬ Fh# stcht es den
herzige Rache übenden Gatten durch Herin Jarno ländern.
eine grausam wahrhaftige Gestelt. Dieser Einalter
ist für Strindberg den Menschen wie den Dichter
so ungemein bezeichnend; denn jeue beiden Seelen,
die in seiner Brust wohnen — seine selbstbidgra¬
ohische Beichte eines Thoren in ihrer cynischen Genia¬
lität hat es deutlich offenbart — sind hier reinlich
geschieden in den beiden Männern des Stückes: dort
durch Betrug und herbe Enttäuschung zum er¬
risten Feind des Weibes und des Feminikmus
rdene Gustav, in dessen Seele Haß und Ver¬
ung alles Mitleid mit der Schwäche, alle Ge¬
rechtigken erstickt haben; hier der weichliche, schwache
Adolf, dessen glühende Sinnlichkeit, dessen unstät¬
flackernde Euergtelosigkeit ihn zum willenlosen Spiel¬
zeug eines kebensdurstigen Weibchens machen. Gustav
und Adolf in eine einzige Person untrennbar ver¬
schmolzen, und doch sich ewig hassend und be¬
febdend, sich ewig Schlachten liefernd und sich auf¬
reibend in diesem Kampfe — das ist August Strind¬
berg. Am meisten aus seinem Geiste heraus
schuf Herr Jarno; Fräulein Fehdmer hatte in der
ungemein schwierigen Rolle, unterstützt von einer dem
Eharakter angepaßten Erscheinung, sehr glückliche
Momente; die glücklichsten vielleicht da, wo sie die
Weibchennatur, deren verächtliche Minderwerthigkeit
gerade bewiefen werden soll, gegen den Dichter seibst
vertheidigen zu wollen schien. Herr Spira als
Adolf war ein bischen gar zu larmoyant. Das
Stück ist schon quälend genug, wenn man nicht
übertreibt.
Die kleine Rovität des Abends: „Die Mond¬
scheinsonate“, Komödie in 1 Akt von Ludwig
Wolff, ist eigentlich kein Stück, sondern ein
Stückchen von einem Stück. Es giebt sich als eine
lustige Scene, die wie eine von einem witzigen Kopf
in dramatische Form gegossene Anekdote anmuthet.
Eine Anekdote mit einer scharfen antisemitischen
Spitze, die allerdings durch das sehr diskrete, hier
fast zu diskrete Spiel des Herrn Jarno als Armin
vorsichtig abgestumpft wurde. Immerhin giebt es
Städte im lieben deutschen Vaterlande, wo das
Stückchen auch in dieser milden Form und Fassung
eine Kühnheit ohne Gleichen bedeutete. Der Wisz
der Sache ist der, daß zwei junge Männer scheinbar
„aus Liebe“ sich verloben; als sich aber herausstellt,
daß ein 5000 Gulden betragender „Jerthum" bezüglich
der Mitgift passirt ist — ein Irrthum, der bei dieser
Neigungspartie auf das Konto des ... Vermittlers
kommt: —
tauschen die beiden Freiersmänner
ganz einfach die Bränte. Den kecken satirischen
Grundton des Stückchens, din die anderen nur
durchschimmern ließen, traf am besten Herr Ehrens,
der als nüchterndenkender und gefräßiger Isidor
Klein in der ausdrucksvollen Sprache des Mundes
wie der Hände eine außerordentlich lustige
Leistung bot.
Das „Abschiedssouper“ von Schnitzler, das
den Abend beschloß, ist hier sehr bekannt. Auch in
„der Besetzung der Hauptrollen ist es bekannt. Aber
so händlungsarm und undramatisch es eigentlich ist,
man hört die hemortstischen Pointen und des guten
Anatol Bummelwitze immer wiedergern, wenn alles
mit se entzückender „Selbstverständlichkeit“, wie bei
den Wiener Gästen, herauskommt. Hansi Niese
als kleine unmanierliche Ballettratte, die weh¬
müthigen Abschied nimmt von Austern und Sekt
und ihrem Angtol, sprudelte wieder vor Uebermuth
und brachte die alten, wohlbekannten kleinen Witzchen
zu überraschend neuer Wirkung. Das Stückchen ist
ein Glas Sekt und muß so servirt werden. Die
Wiener verstehen es zu serviren.
R. P.
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