II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 111

4.5. Abschiedssouper
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Telephon 12801.
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Ausschnitt
Nr. 85
„OBSERYER“
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Wien, IX/1, Tünkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockho
Ausschnitt aus: betdeuische Bundschau
vom: J%
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Kunst und Wissenschaft.
Raimundtheater. Gestern hatten auch die
Wiener Gelegenheit, die artigen Kunststücke der Frau
Charlotte Wiehe zu bewundern. Was sie bietet, kommt
vom Variété und nimmt sich in einem großen Schauspiel¬
haus viel zu akrobatenhaft aus. Den richtigen Maßstah
für die Würdigung der Besonderheit ihrer „Kunst“ zu
finden, fällt darum nicht leicht. Man muß sich
erst künstlich auf jene Bordellsentimentalität herabstimmen, selnsi
Für
der ihr Genre sein künstlerisches Dasein verdankt. Das
Porto
Mimodram „Die Hand“ kennen wir Wiener Fahlbe
2
Vora
schon von einem Volkstheaterabend her. Damals gab

Frau Prasch=Gräfenberg die Tänzerin je ist
Vivette, die während ihrer Tanzübungen im Spiegel pht es
Abonne die verrätherische Hand des Einbrechers erblickt und
Abönne,
sich so lange in Furcht und Grauen tanzend
taltend

durch das Zimmer windet, bis sie den Scnüssel sforg
Inhalts erreicht, der ihr Rettung bringt. Die dänische Pariserin
Zeitu
blätt
ist nicht ohne Grazie. Auf einer schlanken, biegsamen Ge= Ischaft
wodure
stalt sitzt ein pikant profilirtes Köpfchen, das ganz reizend Diese
Leben
schmollt und grollt. Nur scheint Frau Wiehe die Rolle
theilur
der Vivette schon zu oft gemimt zu haben. Die
Folge davon ist einerseits eine Vernachlässigung
der Hauptlinien, andererseits ein Ueberladen mit
neu zuströmenden Nuancen, das die Darbietung
um den einheitlichen Zug bringt. Auch in Schnitzler's
„Abschiedssouper“ vermochte sie nicht sonderlich
zu imponiren. Sie übersetzte den Scherz zwar in den
feineren Ton der Pariser Grisettensprache, verwischte aber
gerade dadurch den Kontrast, auf dem der Witz
dieser müßigen Spielerei beruht. Den
besten
Witz leistete sich, nebenbei bemerkt,
der französische
Uebersetzer: er übersetzte auch
den Namen
des Helden und machte aus dem Anatol einen — Moriz.
Wie boshaft! Erst im letzten Stücke begriff man einiger¬
maßen, wie es einer Dänin gelingen konnte, sich die Gunst
der Pariser zu erwerben. Ihre automatenhaften
Puppennachahmungen in dem Mimodram „L'homme
aux poupées“ war das Köstlichste und Vollendetste,
was man auf diesem nicht mehr neuen Ge¬
biete seit „Hoffmann's Erzählungen“ und sei der
„Puppensee“ gesehen hat. Das war Groteskkomik
ersten Ranges, wo die Akrobatik hinüberleitet zur persön¬
lichsten Kunst. Ihrethalben fragte man nicht erst nach dem
Sinn des unenträthselbaren Spieles, ihrethalben nahm
man sogar die schauderhafte Musik des Urfranzosen Heur
Berény in Kauf, der sich vergeblich bemühte, das
widerhaarige Orchester mit dem ziellos dreinwirbelnden
Klavier in Einklang zu bringen.

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Vaterland
„ 8% g0:
(Raimund=Theater.) Als erster erötischer
Gast der neuen Saison hielt heute Madame Charlotte,
Wiehe ihren Einzug in dieses Haus. Madame Wiehe,
eine geborene Dänin, war ursprünglich Tänzerin und ist
später in Paris auch Sängerin und Schauspielerin ge¬
worden. Sie hat heute die Gunst des Wiener Publicums
sozusagen im Sturme erobert. Freilich hat sie dies aus¬
schließlich ihrer Meisterschaft als Mimikerin und Tänzerin
zuzuschreiben, denn die Schauspielerin ist so ziemlich Alles
schuldig geblieben und die Sängerin haben wir heute kaum
kennen gelernt. Zwischen zwei Mimodramen spielte Ma¬
dame Wiehe in Schnitzler's Abschiedssouper= die be¬
inclusive
Für
kanute Paraderolle der Louise. Man hat das porto.
in Wien gesehen, es hat Zahlbar
Stück wiederholt
wenig gewirkt, m Voraus.
n aber eigentlich noch nie so
n wie diesmal. Man merkte hier an Madame Wiehe zu site ist das
Abo#ich, daß sie nicht aus Eigenem schöpft, sondern Alles steht es den
Abongelernt und auf die äußere Wirkung hin studirt und probirt dern.
hat. Zudem ist ihre Zunge noch lange nicht geläufig genug,
haltend die
um gewisse Pointen wirksam zu bringen. Viel glücklicher als
Morgen¬
Inha die Schauspielerin war die Mimikerin und Tänzerin. Man
r Zeitung“
b1äkann den eigentlichen Beruf aber doch nicht verleugnen.
hschaftliche
wodut
Diese Mit¬
Lebenie Pantomimen -La main= und -L'homme aux
theilP’oupéess fanden die beifälligste Aufnahme, Dank der
vortrefflichen Darstellung durch Madame Wiehe. Man hat
schon lange nicht so viel Grazie, Anmuth und Schelmerei
vereint gesehen. Ueber den Inhalt dieser mimischen Werke
braucht man sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Herr Bereny
hat zu diesen Stücken eine sehr nette Musik ge¬
macht. — Schließlich kann man bei aller Anerkennung des
Gebotenen nicht umhin, sich zu fragen, ob solche Dar¬
bietungen in ein Schauspielhaus gehören. Nun, von den
vielen Sünden, die schon in unseren Theatern gegen
den eigentlichen Zweck der Bühne begangen wurden, ist
eine Vorstellung wie die heutige, wenn sie auch mitunter
ans Variété gemahnt, nicht die ärgste.
Im Hofburgtheater wurde wegen Unpäßlichkeit
er Frau Hohenfels die erste Aufführung von Sudermann's = Die
ei Reiherfedern= von Freitag, 3. d. M., auf Dienstag,
October, verschoben. Freitag, 3. October, gelangt statt bessen
idermann's Komödie=Die Schmetterlingsschlachte, Samste