II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 117

4. 5. Abschiedssouver
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und weibliche Kunst zeigten sich ik
Vollendung, die das gut besetzte Hans bei offner
Szeue zu stürmischem Beifall hinriß; nach jedem
Aktschluß wurde die Künstlerin fünf, sechs mal
hervorgerufen. Daß der Beifall nur ihrer Kunst
wie ihren Reizen, nicht der Dichtung galt — die
in der Idee zumtheil originell, aber meist eine
ziemlich werthlose Form ist, die ihren Inhalt erst
von der Kunst des Mimen erwartet — möge die
Skizzirung der Fabel der drei einaktigen Stücke
zeigen. Das erste, eine stumme Pantomime, zeigt
uns einen Einbrecher bei der Arbeit im Bondoir
einer Ballerine. Durch die Ankunft derselben, die
in Begleitung eines Herrn heimkehrt, gestört, zieht
er sich in eine durch einen Vorhang verdeckte
Nische zurück. Die Ballerine sendet den Herro
unter einem Vorwande fort und schließt die Thif.
Dann beginnt sie sich zu entkleiden, um zur Ruhe
zu gehen. In Erinnerung ihrer Triumphe im
Ballet wandelt sie die Lust au zu tanzen; sie
wirft ein reizendes, durchbrochenes, kurzes Ge¬
wand über und führt in diesem Kostüm, das jede
Linie ihres schön gebauten Körpers hervortreten
ließ, einen sinnberückenden Tanz auf. Plötzlich er¬
blickt sie im Vorhang die Hand des Einbrechers.
Sie schrickt zusammen und hat eben noch Nerv
geung, den Schlüssel aus dem Schrank neben dem
Vorhang zu reißen und ihn ihrem Galan zuzu¬
werfen, der auf der Straße sein Kommen signali¬
sirt, dann fällt sie beim Aublick des Einbrechers
in Ohnmacht. Dieser raubt ihr die Inwelen und
die Ringe vom Finger, nicht ungerührt von ihren
Reizen. Da erscheint der Liebhaber. Mit der
Pistole zwingt er den Strolch, das Zimmer zu
verlassen. Dieser giebt die Kleinodien zurück und
Rose! Die Ballerine aber
behält nur eine
sinkt, ihm sein nahes Glück verheißend, dem Retter
in die Arme. Das stumme Spiel war von einer
reizvollen Programmmusik begleitet, die jede Phase
der Handlung versinnlichte — das ganze ein
Kulius der feinsten Sinnlichkeit, dessen Pariser
Parfüm das Anditorium berauschte. Das zweite
Stück war eine Bearbeitung des Schnitzler'schen
Einakters „Das Abschiedssouper.“ Daß Charlotte
Wiehe gerade dies Stück des Wiener Dichters
herausgegriffen hatte, ist nicht zufällig, da das
Judenthum, besonders das Wiener, im „Kultus
des Fleisches“ die Franzosen, die mit Willen nie
die Grenze des Aesthetisch=Schönen überschreiten,
noch überkrumpfen. Eine Choristin der Oper, das
ist die Fabel des Stücks, sonpirt mit ihrem reichen
Liebhaber — zum letzten mal, wie sie ihm mit¬
theilt. Ein Chorist hat ihr einen Antrag gemacht,
sie nimmt an — „c’est ma destinée, et contre ma
destinée je ne puis pas“ d. h. das Schicksal will es
so. Ist das die ganze Beichte? Ja, sie ist ihm
noch nicht untren geworden, sie hat nichls ver¬
schwiegen, weil sie nichts zu verschweigen hat.
Nun kommt er mit demselben Geständniß heraus,
nur mit dem Unterschied, daß er bereits untren
geworden ist. Sie sieht ihn groß an. „Tu manques
de tact“ (Du bist taktlos), sagt sie kalt; „das
hättest du verschweigen sollen — wie ich!“ Das
ist der unschöne Rahmen, in welchen Charlotte
Wiehe aber die Figur der Pariser Cocotte so
meisterlich eingezeichnet hat, daß der Reichthum
der Darstellung die Blößen der Dichtung verdeckt.
Die Art, wie sie noch einmal — zum letztenmal —
in den Tafelgenüssen schwelgt, wie sie das Cham¬
pagnerglas mit beiden Händen hält und dreht,
sie langsam, Tropfen um Tropfen,
während
„adieu, cham¬
den perlenden Trank schlürft.
pagne!“
wie sie zwischendurch ihre Worte
hilwirft, wie sie schmollt, aber im Zorn selbst nur
daran denkt, den Augenblick noch recht auszu¬
kosten: das alles zeugte von einer Kunst, die
Charlotte Wiehe als eigenartige, bedeutende Per¬
sönlichkeit aus der Menge heraustreten läßt. Auch
ihre Sprache war vornehm; was ihre Partner be¬
trifft, so haben wir das französische schon künstle¬
rischer, man könnte sagen musikalischer aus¬
sprechen hören, als von den beiden Herren. Das
dritte Stück war wiederum pantomimisch. Ein
Mann hat eine Leidenschaft für reizend gekleidet¬
Puppen, denen er du Schein des Lebens zu
geben sucht. Ein junges Mädchen, das ihn liebt,
sucht ihn von dieser krankhaften Neigung zu be¬
freien, indem sie das Kostüm seiner Lieblings¬
puppe anlegt und sich in einer Kiste, als Puppe
verpackt, zu ihm bringen läßt. Der Reiz des
Stückes besteht nun in dem Spiel Charlotte
Wiehe's welche die anfangs leblose, dann mehr
und mehr beleote Puppe wiederum zum größten
Ergötzen des Zuschauers mit Naturtreue darzu¬
stellen verstand. Das Gastspiel Charlotte Wiehe's
wird den Theaterbesuchern in der Erinnerung
fortleben als ein lebendig gewordenes Märchen,
lebendig geworden in der ganzen Pracht, dem
ganzen Sinnenreiz des Orients!