II, Theaterstücke 4, (Anatol, 3), Denksteine, Seite 7

Denksteine
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Vertretungen in Berlin. Chicago, Gent. London,
aris, Rom. Stockholm.
Ausschnitt aus:
vom 1/ 7707
(Kainz=Vorlesung.) Das Parquet halb leer, auf
den Galerien viele Lücken. Nun ja, es ist ja nicht viel los.
Unser bester Schauspieler liest uns unsere ersten Autoren!
Das Publicum — Damen, jüngere, die vom Kainz schwär¬
men, und ältere, die zur Garde der Jüngeren mit sind und
sanft einnicken. Die Herren sind entweder Wiener Dichter,
die vorgelesen wurden, oder Wiener Dichter, die gerne vor¬
gelesen worden wären, oder Kritiker, solche nämlich, die es
schon sind und andere, die es naiverweise gerne werden
möchten. Dieses Publicum functionirt ganz wie man es von
dem artigen Publico erwartet: Es klatscht bei den leichten
und versteht von den ernsten Dingen vielleicht die Pointe. zire
Das ist also die „Gesellschaft“ für die wir malen, Musik rto.
machen, dichten, vom Ruhme träumen.
.. Hainz entrückt lbar
uns aus solchen unheiteren Betrachtungen. Er beginnt zu draus.
lesen; er liest einen Gesang aus dem Tannhäuser=Epos gt das
Abe Burkhardts. „Lesen“ darf man das eigentlich kaum es den
Abe
nennen und Schauspielern noch weniger. Welche Tiefe und
Innigkeit des Verstehens der feinsten Verborgenheiten! Welch
nd die
wunderbares Ausruhen auf allen Schönheiten der Betrachtung, gen¬
Inl¬
welch spitzes Hervorstoßen der Leidenschaft! Man erlebt, jung")
wenn man Kainz zuzuhorchen versteht, den Jubel, die Qual, Leben
die Ueberraschungen des Dichters wieder, da ihm zu eigenem lungen
V
freudigen Erstaunen die Fülle des Wortes zuströmte! Ob
auch Burkhardt, der kritische, viel von diesem Entzücken des
unbewußten Poeten empfunden hat? Nun, ich zweifle nicht;
daran. Er war, da er den Tannhäuser dichtete, noch sehr
mit ihm. Und so ziehen wir, und er wohl mit uns, seinen
prächtigen Humor und bodenständigen Realismus von heute
jener verschleiert=romantischen minnethümelnden Richtung des
„Tannhäusers“ vor. Dann kam Hofmannsthal mit
zwei Gedichten. In das eine: Weltgeheimniß“ hat er das
Rauschen und Murmeln alter Quellen glücklich eingefangen.
Und neben dem wirklichen Waldesbrünnlein stand auch der
Tiecksche Märchenbrunnen in seiner Erinnerung. Diese Ver¬
bindung ist gefährlich; das Gedicht hat einen Bruch behalten.
Aus der t#cumhaften Waldesstimmung ist eine complicirte
Verworrenheit geworden. Das andere „Die Beiden“ kennt
man schon lange. Es ist neben seinem „Vorfrühling“ das
reinste Gedicht, das wir von Hofmannsthal besitzen: klar,
sehr innig und von zarter, bildhafter Wirkung. Wie aus
einer alten Camee treten die beiden Liebesgestalten hervor.
So artistisch=streng es empfunden ist — Gautier hätt' es
nicht besser getroffen — liegt doch der leichte Duft des
Volksliedes darüber. Maria delle Grazie kam mit
einem „Zarenmahl“ zu Wort, nein zu vielen Worten. Es
ist die farbenprunkende Art Victor Hugos: ein grellrothes
Trompetensignal. Von J. J. David hörten wir „Gehenna“
ein Meisterstück düster geschlossener Kunst. Wir haben keinen
in Wien, und wohl auch in Deutschland niemand, der solche
Rhythmen zu schmieden vermag. Wann wird diesem Dichter
jener Platz, der ihm gebührt? Es war brav von Kainz, daß
er an J. J. David nicht, wie das erst jüngst wieder geschah,
vorüberging. Schnitzlers hübsch ciselirte „Denksteine“
folgten. Hier hat sich Kainz im Te vergriffen. Er gab den
Lebebuden ernst und wichtig, ganz als römischen Virginius,
und das süße Mädel als Virginia, der Virginius=Anatol
den Dolch der Ironie in das Herz stößt. Hermann Bahr
präsentirte sich mit dem „Käferl“ einer vergnüglichen und
sehr echten Wiener Geschichte. Dieser in seinen Neigungen
so bewegliche Advocatursconcipient hat wirklich einige unge¬
müthliche Aehnlichkeit mit manchen der Herren, die kritisch
im Parterre saßen. „Woher hat denn der Bahr das schon
wieder?“ raisonnirte neben mir eine gescheidte Dame. „Nun,
das hat er wohl aus sich selbst, aber eine merkwürdige
Aehnlichkeit ist allerdings da — mit Schreyvogel, den Sie
allerdings nicht kennen, meine sehr Verehrte“. Zum Schluß
einige frische und fesche Viennensia, von Glücksmann,
Paul Wertheimer.
Chiavacci und Poetzl.
Wer