II, Theaterstücke 4, (Anatol, 3), Denksteine, Seite 10

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Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
vom
141 100
Theaterzeitung.
2
Woseph Kainz als Vorleser.
Wir haben über einen genußreichen Abend zu
berichten. Joseph Kainz hat gestern Wiener
Autoren gelesen. Ein elegantes Publicum füllte
den großen Musikvereinssaal; die Schauspielerwelt
war zahlreich vertreten, im Parquet und von den
Galerien grüßten viele schöne Frouen und Mädchen
den Meister. Man
kennt die
Art, wie
Kainz recitirt. Es hebt aus jedem Werke
die Gedanken heraus, er macht die Gestalten der
Dichterphantasie lebendig, er zanbert Welten hervor
und bezaubert. Interessant ist zu beobachten, w ei
ihm das Wort sich jeder Regung des Gemüths, jeder
Wendung des Verstandes auschmiegt, wie er klug
hinter dem Autor sich verbirgt, um bei passender
inclusive
Für
Gelegenheit
in seiner eigenen, wahren Gestalt
Porto.
hervorzutreten. Das Programm von gestern bestand
Zahlbar
20
aus zwei Abtheilungen: Ernstes und Heiteres.
im Voraus.

Im Anfange stand Dr. Max Burckhard. Aus
100 dem „Lied von Tannhäuser“ wurde ein von sinn= mnitt: ist das
licher Glut erfülltes Bruchstück geboten, des Ritters , stelt #s den
Abonne Einfahrt zum Venusberg. Man hörte den Wald= dern.
Abonne suk klingen und jauchzen, man vernahm den

wirksam gesteigerten Ruf der Liebesgöttin, die enthaltend die
klockt, in ihren Armen auszuruhen. Von Hugoer Norgen¬
Inhaltsv. Hofmannsthal brachte Kainz zwei Gedichte. Viener Zeitung“)
blütt Eines ist „Weltgeheimniß“ betitelt — sein Sinn ist chaftliche Lete
vollurel dem Zuhörer ein Geheimniß geblieben. Besser gefielise Mittheilungen
des In „Die Beiden“ eine schillernde Nipze. Delicatesse für
werden einen Jour. Mächtigen Eindruck übte der Vorleser
mit delle Grazie's „Czarenmahl“. Tiefe Stille
herrschte im
Saale, als von dem Fürsten erzählt
wurde, der
auf Goldtellern speist. Aus den
Prunkgefäßen beginnt es zu raunen:
das Metall
wird von unschuldigen Verbannten aus den
furchtharen Bergwerken
herausgeschafft. Der
Czar greift nach einer Serviette, da fällt aus dem
Tuche ein Brief mit der Botschaft, daß alle Ketten
brechen werden. Mit diesem Gedicht packte Kainz das
Publicum, stürmischer Beifall löste die Ergriffenheit
ab. Auch J. J. David's gedankerreiches „Dies ist
Gehenna“ traf auf die volle Empfänglichkeit der
Zuhörer. Kainz trieb eine Blutwelle durch die
Reflerionen. Arthur Schnitzler's „Denksteine“ ist
eine Duoscene zwischen Anatol und einem verlorenen
Mädchen. Eine geistreiche, kecke Geschichte, die
wenigen Minuten vorübergaukelt. Mit feinen Fingern
wies der Interpret auf die Absichten des Poeten hin.
Damit war die erste Abtheilung zu Ende.
Der zweite Abschnitt brachte „Heiteres“ mit Aus¬
nahme einer Programmnummer durchaus Wiene¬
risches. Stark belacht wurde Hermann Bahr's lustig¬
sinniges „Das Käferl“. Die Erzählung könnte auch
„Der letzte Ausgang von Fräulein Jeannette“ heißen.
Kein treffendes Wort, keine geistreiche Wendung siel
zu Boden. Es geht den Menschen, wie dem Käferl:
Jeder wälzt seine Kugel, die Hauptsach' ist, daß
man sich gut dabei benimmt. Die angekündigten
Gedichte von Kory Towska, einer wegen ihrer
feinsinnigen Darbietungen in der Münchener
„Jugend sehr geschätzten Schriftstellerin, wurden
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durch eine Piece von Heinrich Glücksmann ersetzt.
Von dem armen, frühverblichenen Karlweis hörten
wir die drolligen Lebensschicksale eines halben Menschen.
der immer „der Wurstel“ geheißen wird. Es steckt viel
Humor und Lebensweisheit in dem kleinen Kunst¬
werk. Und wie entzückend verstand Kainz alle Pointen
zuzuschleifen. Hier und in Pötzl's köstlicher „Tramway¬
hochzeit“ wurde mit angenehmster Behaglichkeit auf
jedem Detail verweilt. Man sah förmlich den Weichen¬
steller bei der Aspernbrücke und den Conducteur, der
auf der Fahrt vom Praterstern nach Dornbach heiratet.
Vincenz Chiavacci, der prächtige Wirklichkeits¬
schilderer, kam zum Schlusse: „Auf'm Bankl“ und
„Die Kramuri“ waren die letzten Schlager. Der alte
Wiener, der seinem Banknachbar erzählt, mar
könne bei uns Alles umsonst haben, und der
jüdische Hausirer, der um die alten Kleider
feilscht — standen im Tonfall, in der charakteristischer
Geberde fertig, bis auf den letzten Strich vollende
da. Obwohl Kainz von ¾8 bis nach 10 Uhr
gelesen hatte, mußte man seine quellende Lanne be¬
wundern. Man rief den Meister unzählige Male und
dankte ihm für diesen Festabend.
sch.
box 7/6
4.3. Denksteine
K e e een e e
Nachdruck verboten.
das
84
Erf
Widfener Auforen.
min
kan
Ein seltsames Vorkommnis. Einer der berühmtesten
geb
deutschen Schauspieler, der am Vorlesetische Triumphe
Rai
gefeiert und die versammelte Damenwelt in Verzückung,
war
tausende von weißbehandschuhten Händchen in Bewegung
schal
gesetzt hat, liest, jubelnd begrüßt, wieder vor einem fast
rück
durchaus weiblichen, erwartungsvollen Auditorium, das
leug
nur darauf harrt, in Ekstase versetzt zu werden und die
Hoc
Wirkung bleibt aus. Er liest das erste Stück, eine Mond¬
befa
scheinphantasie; man sieht sich an, applaudiert ein wenig
hat
zum Schein und wartet. Es folgen Gedichte; der Applaus
die
ist schon schwächer. Ein Dramolet — es wird nicht besser.
Aber einige applaudieren justament. Jetzt kommt eine
Erzählung; man langweilt sich und lächelt müde, macht
schwache Versuche, sich Stimmung zu suggerieren. Um¬
sonst. Ein Feuilleton, das die Pointe in den ersten zehn
Sätzen bringt und dann noch eine Viertelstunde weiter
dauert, gibt der stark geprüften Geduld den letzten Rest.

Die ersten Flüchtlinge brechen aus den Bankreihen. Sie
ord
warten die Fortsetzung dieses Humors nicht ab. Und
mat
nach der nächsten humoristischen Erzählung die feier¬
end
lich ernsten Gesichtern begegnet, ranzionieren sich halbe
Bankreihen. Man hofft nichts mehr. Und beim letzten
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Stück ist der große Musikvereinssaal halbleer; nur die
Allergetreuesten sind geblieben und applaudieren mit
Todesverachtung. Das war der „Wiener Autorenabend“
des Herrn Kainz.
Die „Wiener Antoren“! Man liest jetzt viel von
ihnen, von dem „specifisch Wienerischen“ in ihrer Lite¬
ratur, von der „persönlichen Note“, die sie ihren Werken
ausprägen. Sie verwenden sehr häufig, mitunter sogar
an richtiger Stelle, das süddeutsche Adverbium „halt“,
was den Berlinern sehr imponiert, ergehen sich in Loca¬ d
lismen, schwelgen in Diminutiven auf —erl und haben Hin