II, Theaterstücke 4, (Anatol, 2), Weihnachts-Einkäufe, Seite 10

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4. 2. Neihnachtseinkaeufe

WIEHNBR WOCHE
Heft 2
Johannisbrot verlockt und die Köchin mit
Pralinees besticht, damit sie monatlich für zehn
Mark Alaun kaufen soll,
und wenn der Mann des anderen Deli¬
katessenhändlers kommt, bei dem du für Camem¬
bertkäse gelösten Kalk bekommst, der uns für
Teegebäck Steine und für Schlackwurst Pferde¬
fleischfetzen liefert,
— wenn der Friseur kommt, der mich täglich
quält, meine Haut schindet und dabei die Borsten
auf meiner blutigen Wange stehen läßt,
wenn die Dienstboten kommen, unsere
geschätzten Dienstboten, die sich zwer fort¬
während prügeln, aber darin vollkommen einig
sind, daß sie von allen unseren Vorräten die
Hälfte stehlen und mit größtem Vergnügen jeden
kleinen Skandal in unserem ehelichen Leben
weitergeben,
dann, —
Dr. Eduard Leisching
der neue Präsident des Wiener Volks¬
bildungsvereines
PROSIT NEUJAHR
EINE PLAUDEREI VON FRANZ MOLNAR
(Die Uhr schlägt Mitternacht.)
Er: Jetzt Prosit Neujahr und ich will schlafen
gehen. (Damit begibt er sich mit Riesenschritten
ins Schlafzimmer.)
Sie: Halt! Halt!
Er: Was willst du denn?
Sie: Kleingeld will ich. Morgen früh beginnt
das fröhliche Neujahr.
(Er antwortet nicht. Er zieht sich aus und
geht schlafen.)

Sie: Was wird denn!
Er (ruhig): Nichts.
Sie: Willst du denn dieses Jahr keine Neu¬
Albert Einstein
jahrsgelder geben?
dessen Forschungen eine völlige Umwälzung
Er (ruhig): Nein.
unserer Naturbetrachtung bedeuten
(Schweigen.)
Sie (weinend): Was soll ich denn den Leuten
Sie: Dann?
sagen?
Er: Dann sage imien
Er: Sehr gut. Endlich kann ich dir mein
Sie: Was soll ich ihnen denn sagen?
Herz ausschütten. Was du ihnen sagen sollst?
Er: Sage ihnen nichts. Hier hast du 6o
Wenn dieser abscheuliche Portir kommt, der
Kronen und laß dir Kleingeld holen.
verstohlen darüber lacht, wenn mich der Gerichts¬
(Damit fällt er ermüdet in das Bett zurück.)
vollzieher besucht, der uns nie gestattet, dief
WEIHNACHTSEINKAUFE
Teppiche auszuklopfen, der uns nie die Wasch¬
küche geben will und der mir alle guten Dienss
DIALOG FREI NACH SCHNIPLLR
In der „Kölnischen Zeitung, finden
boten abspenstig macht,
wir die folgende reizende Plauderei,
wenn dieser ekelhafte Müllkutscher
Berlin, im Dezember.
kommt, der mich jeden Morgen um fünf Uhr
Abends um 6 Uhr in einem Fahrstuhl bei
weckt, unsere Köchin verführt und meiße
Wertheim. Das Gedränge ist auf der Höhe.
Zigarren raucht,
Man steht so dicht, daß man sich nicht das

-wenn dieser grauenerregende Schornsteih¬
Schnupftuch aus der Tasche ziehen kann.
feger kommt, der seinen Besuch stets abstattet,
Anatol und Gabriel treffen sich, als sie von
wenn meine Lieblingsspeisen gekocht werden,
entgegengesetzten Seiten in den Fahrstuhl
um sie zu räuchern, und der den Schornstein
hineinstürzen. Sie trägt eine Anzahl Pakete.
stets so schlecht fegt, daß der Herd tagelang
Anatol: Sie hier, gnädige Frau? Wieder
raucht,
wie damals in Wien, als der Schnee auf der
wenn die Zeitungsausträgerin kommt, die
Straße fiel. — Wissen Sie noch? Und jetzt sind
die Morgenzeitung immer nachmittags und das
Sie in Berlin! Aber geben Sie mir Ihre Pakete!
Abendblatt stets am frühen Morgen bringt,
Gabriele: Aber neinl Sie können sich ja
— wenn dieser Laufbursche des Delikatessen¬
ohnehin nicht rühren.
händlers kommt, der unser Stubenmädchen mit
Anatol: So nehm' ich sie, sobald wir heraus¬
kommen. Sie wollen für den Herrn Gemahl
einkaufen?
Gabriele: Und Sie — für jemand anders?
Anatol: Ja — für jemand. Freuen Sie
sich ein bißchen auf Weihnachten? Gar nicht
lustig sehen Sie eigentlich aus.
Gabriele: Ja, das Lachen ist uns wohl
ein bißchen vergangen. Und Sie, der leicht¬
sinnige Melancholiker, der Sie noch immer
sind — kaufen Sie wieder ein für ein Mädchen
aus Wilmersdorf mit kurzen Röcken und
schlanken Tanzbeinen? Oder für eine blonde
Charlottenburger Schreibmaschinistin?
Anatol: Gnädige Frau, ich —
Der Fahrstuhl langt in der Höhe des dritten
Stockes an. Die zusammengepreßte Menge
zerstreut sich nach allen Seiten.
Anatol: Ich habe kein Mädchen in Char¬
lottenburg, für das ich einkaufen müßte.
Heute abend dachte ich gerade lebhaft an Sie,
gnädige Frau! Und das Gefühl, daß ich Sie
irgendwann einmal wieder treffen müßte, —
Gabriele: Das ist ganz und gar nicht wahr.
Sie dachten an ganz anderes. Ich habe Sie
nämlich schon unten auf der Straße gesehen.
Sie starrten melancholisch in einen Delikate߬
laden, wo gemästete Gänse auslagen. — Und
Ihre Blicke verrieten eine Gier —!
Anatol: Ich überlegte mir nur, ob die
Gänse, als sie das Kapitol retteten, bereits so
hoch eingeschätzt wurden wie heute. Gestern
hatte man mir einhundertachtzig Mark für eine
leidlich fette Gans abverlangt. Einhundertachtzig
Mark! Sie begreifen, daß mein einziger Gewinn
aus dieser melancholischen Tierschau die Er¬
innerung an Wilhelm Busch war: Entsagung
nennt man das Vergnügen —
Gabriele: An Dingen, welche wir nicht
kriegen. Ich weiß. Ihre philosophische Er¬
Proj. Walter Nernst
Direktor des Physikalisch - chemischen
Instituts der Berliner Universität, wurde
in Anerkennung seiner Verdienste auf dem
Gebiete der Wissenschaften zum ordentlichen
Mitglied der schwedischen Akademie der
Wissenschaften gewählt