II, Theaterstücke 4, (Anatol, 2), Weihnachts-Einkäufe, Seite 11

4.2
Neihnachtseinkaeufe
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kenntnis dürfte sich noch auf andre Dinge als
auf Gänse beziehen. Die Preise sind in diesem
Jahre derartig, daß einem die Haut schaudert!
Und doch will man seine Lieben gern mit
irgendetwas erfreuen.
Anatol: Gerade deshalb! Unsere Senti¬
mentalität ist immer das beste Geschäft — für
die anderen.
Gabriele: Sehen Sie nur diesen Stoff da,
von dem ich vor dem Kriege das Meter für
Mark 2·40 kaufte! Heute kostet er 36 Mark das
Meter. Was sagen Sie dazur
Anatol: Ich sage, daß das Weihnachtsfest
ein organisierter Raubzug der Wucherer und
Schieber ist, die uns schon seit drei Jahren aus¬
plündern! Unter der Losung „Gemüt und
Prozente“ nehmen sie uns das Zehnfache der
Friedenspreise ab.
Gabriele: Und hier, sehen Sie nur die
Spielwaren! Meinem Jungen wollte ich diesen
kleinen Elefanten mit der roten Schabracke
— er sieht so hübsch aus — kaufen. — Wissen
Sie, was man mir als Preis nannte? — 22 Mark.
Anztol: Aber die Spielwaren sind sonst
hübsch. Sehen Sie nur, die Teddybären dort
in tausend Abarten! Und die kleinen fahrbaren
Schaukeln — allerdings kostet jede sechs Mark!
Und die niedlich ausgestatteten Küchen —
kaum so teuer wie wirkliche Küchenmöbel.
Aber das ist was für die Jungen und Mädel!
Sehen Sie nur, wie sie mit roten Backen davor¬
stehen!
Gabriele: Nur die Bleisoldaten sind selten
geworden.
Anatol: Ja — deren Zeit ist vorbei! Es
wird segar in den Zeitungen gegen sie ge¬
schrieben. Wunderlich in einem Lande, wo die
Jungen sonst mit nichts lieber spielen als mit
Bleisoldaten!
Gabriele: Es hat seine Gründe. Aber Sie,
wollten Sie nicht auch etwas kaufen? Was
würde Ihrer Charlottenburgerin gut passen?
Etwa der Teddybär dort mit dem blauen Hals¬
band Oder jene Astrachanstola? — Das liebt
man doch sicher in Charlottenburg.
Anatol: Gnädige Frau — das irt nur —
Gabriele: Vielleicht auch eine imitierte
Korallenketter Sehen Sie nur, schön rosa —
beinahe Venedig, Markusplatz. So helfen Sie
mir doch!
Anatol: Also, gnädige Frau -— ich wieder¬
hole Ihnen, es gibt keine Charlottenburgerin.
Gabriele: Sie kann ja auch aus Lichten¬
berg sein!
Anatel: Wenn ich jemand zu W ihnachten
etwas schenkte, so würde ich einer gewissen
Dame etwas schenken, die früher immer ein
Lächeln für mich hatte — ein verzeihendes
Lächeln, das alles wieder gutmachte, was ihre
Worte Bitters hatten! Weiß man denn je bei
den Frauen, wann man ihren Worten und wann
man ihrem Lächeln glauben soll?!
Gabriele (nach einer Pause): Und was
würden Sie dieser Dame schenken —.
Puppe schenken — wenn es nicht zu grausam
wäre. — Bloß zur Abschreckung!
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WIBNBR w o f. H E
Helt 2
Gabriele: Was ist das, eine Lotte-Pritzel- Masken ist vorbei, mein Freund! Die Leute.
lernen wieder die Freude am Einfachen und
Puppe?
Bescheidenen. Ich habe die Menschen zwischen
Anatol: Wie, Sie kennen diese seltsame
den aufgestellten Weihnachtsbäumen gehen
Wachspuppen nicht, von denen Berlin so ent¬
sehen. Ich habe ihre Augen glänzen sehen, und
zückt ist? Gehen Sie ein paar Schritte von hier
sie freuten sich wieder an allen Kleinigkeiten.
drüben nach dem Modesalon von Friedmann
Keiner dachte in diesem Augenblick an die
und Weber, dort können Sie sie sehen. Dort
Wucherpreise! Denn die Freude des Gebens,
stehen sie sorgsam in Glasschreinen. Künstler
— die kann uns kein Wucherer nehmen.
und Modewaren und Zeichner gehen hin und
suchen ihre Anregungen dort. — Die haben
Anatol: Sollen wir also zu Spitzwegschen
Idealen zurück kehren?
etwas seltsam Suggestives, diese kleinen
Frauengestalten, die von Spitzen, Juwelen und
Gabriele: Zu Spitzweg nicht gerade. Aber
Seide überrieselt sind, die ihre ganz dünnen,
zu Moritz v. Schwind oder zu Ludwig Richter!
blutlosen Glieder ohne Saft und ohne Kraft
Zur Einkehr bei uns selbst. Und dann sehen
mit übertriebenen Grimassen und wilden Ver¬
Sie sich einmal dieses andere Berlin an, das
drehungen in die Luft strecken. Sie sind ganz
jetzt seine Gaben an unser unglückliches Wien
Geist, ganz Geste, ganz Ironie, die ihre Ver¬
gibt und auch, des bin ich sicher, noch weiter
zweiflung hinter übertriebenem Schönheits¬
geben wird. Da finden Sie das Berlin, das stets
streben verstecken. Sie kommen mir vor wie
das Herz auf dem rechten Fleck hat, und an
eine Verkörperung dieses unglücklichen Berlin
das Sie nie glauben wollen. Ich habe die kleinen
von heute, das keinen Saft und keine Kraft
mehr hat, das sich amüsieren will, ohne sich
nahmestellen gesehen, we sie ihre Päckchen
über irgend etwas zu freuen, das schreit, tanzt,
und Paketchen hintrugen, damit die Kinder
seine Glieder verrenkt, sich mit übertriebenen
in Wien etwas zu essen hätten. Ich habe ge¬
Toiletten behängt und doch nur eine hilflose
sehen, wie in den Pausen der Theaterstücke,
Marionette ist.
in den Versammlungen, in den Kaffeehäusern
Gabriele: Und so eine Puppe wollen Sie
gesammelt wurde. Die braunen Zwanzig-Mark¬
mir schenken?!
Scheine flogen auf die Teller! Gerade die
Anatol: Ich täte es, wenn ich es wagen
Armen gaben am meisten. Berlin will die
dürfte. Aus Furcht vielleicht, aus Furcht vor
Tränen Wiens trocknen, nachdem es so lange
der Zukunft. Denn seit einiger Zeit ähneln
von der Lebenslust, den Melodien Wiens ge¬
alle Frauen hier diesen Lotte-Fritzel-Puppen!
trunken hat. Das Verbrechen, das die ganze
Aber auch da hält mich die heilsame Furcht
Welt an Wien begeht, will Berlin wieder gut
des Portemonnaies ab. Diese kleinen Puppen
machen, das ist schöner als der ganze Weih¬
kosten nämlich zwölf- bis vierzehnhundert
nachtsplunder von einst! Als ob die beiden
Mark das Stück.
Städte sich über Berge und Länder weg die
Gabriele: Oh, Sie sind doch gewohnt,
Hand reichten und zueinänder sprächen: „Wir
Puppen zu überzahlen!
haben früher zusammen Glück und Ruhm
Anatol: Gnädige Frau —
geteilt — jetzt tragen wir auch unser Unglück
zusammen!“ Sehen Sie, sein Herz entdeckt
Gabriele: Und da waltet doch sicher auch
zu haben, wo man früher nur an den kalten
wieder das geheininisveile Gesetz unserer Zeit:
je schlechter alles wird, desto teurer bezahlen
Verstand glaubte, das ist das Schönste, was
Weihnachten bringen kann —
wir es. Darum tragen auch die Läden bei uns
Anatol: Gnädige Frau, Sie sagen das so
längst keine offenen Preisangaben mehr: sie
schön — aber die richtige Adresse zu finden
wollen, daß der Käufer nicht schon draußen
für dieses Herz, das ist ja gerade die Aufgabe!
von blassem Schrecken erfaßt wird. Lieber
Melancholiker, im Laden Ihres Lebens ist leider
Gabriele: Ich sage sie Ihnen ja. Machen
zu viel Ersatzware, und Sie sind von jeher ge¬
Sie Glückliche unter denen, die Not leiden!
wöhnt gewesen, alles hundertfach zu überzahlen.
Ubrigens ist Ihr Herz ja die Adressenvertau¬
Anatol: Es ist so schwer, das Echte zu
schung gewöhnt. Es wäre doch gut, wenn es
finden!
einmal an die richtige Adresse käme.
Gabriele: Weil Sie es nie gesucht haben.
Anatol: Wollen Sie mir nicht suchen
Gehen Sie einmal auf die Straße hinaus! Unten,
helfen —?
wo die Straßenhändler sind —
Gabriele: Ich danke! Das meinige ist
Anatol: Da soll ich kaufen? Etwa die
schon untergebracht, und ich fürchte Umzugs¬
„laufende Maus“? Oder den Hauptmann zu
schwierigkeiten. Doch, da kommt der Fahrstuhl
fünf Groschen, oder die „strampelnde Grete“,
wieder, fahren Sie mit abwärts —?
dieses süße Geschöpf, von dem alle unsere
Anatol: Nein, ich muß noch suchen.
Charaktertänzerinnen lernen könnten?
Gabriele: So leben Sie wohl, leichtsinniger
Gabriele: Etwas Lebensfreude und etwas
Melancholiker!
Einsicht sollen Sie sich kaufen. Die Kreise,
Anatol: Leben Sie wohl, und Dank für die
die die „laufende Maus“ glücklich macht, sind
Lehre, wohltätige Mondäne!
mir im allgemeinen sympathischer als die, die
Sie trennen sich beide. Von unten und oben
Ihre aufgeputzten Wachspuppen kaufen. Sehen
stürzen neue Menschenmassen aus den Fahr¬
Sie sich ein Berlin an, das Sie nie zu beachten
stühlen. Massen, die nicht ihre Herzen, sondern
pflegen, das jetzt in der Zeit der großen Not
Zwirn, Pfefferkuchen und billige Spielpuppen
und der Teuerung wieder zutage kommt —!
suchen.
Die Zeit der Komödien und prunkhaften