II, Theaterstücke 4, (Anatol, 2), Weihnachts-Einkäufe, Seite 13

e e
Ich passe auch gar nicht mehr in das heutige Wiener Leben.
Bei lebendigem Leib aussterben und historisch werden, das
ist eine sehr unangenehme Beschäftigung.
Gabriele: Und was machen Sie sonst?
Anatol: Dasselbe, wie in meiner Jugend: nichts.
Aber damals war das viel rentabler ...
Gabriele: Sie haben ja schon eine Menge ei
gekauft. Erlauben Sie, daß ich Ihnen einige Pahete abnehm##
Wien, Sonntag
2060
Anatol: Gabriele, Ihre Liebenswürdigkeit tut weh.
Damals habe ich Ihnen die Packerln getragen ... Aber
ich sage nicht Nein. Bei dem Wetter spüre ich immer das
Rheumatische. Wenn ich nur schon mit meiner Liste
fertig wäre.
Gabriele: Soviel Geschenke machen Sie? Sie
haben doch gar keine Familie.
Anztol: Eine nicht, aber viele. Da sind vor allem
die Kinder meiner Schwester.
Gabriele: Als Onkel muß man doch nicht ¬
Anatol: Als Onkel muß man sogar sehr viel. Der
Vatr kann sich auf die schlechten Zeuen ausreden. Der
ledige Onkel ist immer gut situiert.
Gabriele: Fün Kinder gibt es jetzt so hübsche
Geschenke.
Anatol: Sogar vielzuviel. Aber ich weiß doch nicht,
was heutigen Kindern Freude macht.
Gabriele: Etwas, womit sie sich nützlich be¬
schäftigen können.
Anatol: Vielleicht eine Stoßpudel? Oder ein
Kasperltbeater? .. . Sehen Sie, das hat mir als Buben
die größte Freude gemacht. Vor meinem Herrn Neffen
wülde ich mich damit schön blamieren. Auf den macht nur
Technisches Eindruck. Und seine unschuldigen Kinderaugen
sind am heiligen Abend unter 150 Schilling für eine
Schwachstromlokomotive nicht zum Aufleuchten zu bringen.
Gabriele: Und was schenken Sie Ihrer kleinen
Nichte? Die heutigen Gymnasiastinnen haben am liebsten
Bücher.
Anatol: Weiß ich Unlängst habe ich andeutungs¬
weise die Namen Klara Kron und Marlitt erwähnt. Da
hätten Sie den zwolfjährigen Fratzen hören sollen: „Aber,
Onkel Anatol, nur keine altmodischen Mäderlgeschichten.
Ich möchte einen wirklichen, erwachsenen Roman.“
Gabriele: Sind Sie denn nur mehr Onkel? Sie
werden doch noch andere Menschen zu beschenken haben. Bei
Ihren vielfachen Beziehungen zu weiblichen Wesen —.
Anatol: Die Beziehungen habe ich noch immer,
aber die weiblichen Wesen haben sich stark verändert. Eine
alte Dame bei der ich jeden Sonntag zum Mittagessen ein¬
geladen bin. Streng diät, nachher eine Stunde Thermophor
auf dem Magen. Dann habe ich noch meine Wirtschafterin,
meine Hausbesorgerin und die Pythia, die mir jeden Monat
aus den Karten wahrsagt, daß über einen kleinen Weg eine
große Ueberraschung kommt. Und es stimmt auch, denn ich
wohne in der nächsten Nähe der Steueradministration
Gabriele: Also kein leichtsinniger Melancholiker
mehr
Anatol: Eher ein melancholischer Minder¬
.Und wie geht es Ihnen, Gabriele? Noch
bemittelter
immer unverstanden?
Gabriele: Alles vorbei. Jetzt gibt es leider nichts
mehr zu verstehen.. Und seitdem mein Mann sich vom
Geschäft zurückgezogen hat, ist er ein so verläßlicher und
anständiger Mensch geworden . . . Und das fehlt eben auch
Ihnen.
Anatol: Die Anständigkeit?
Gabriele: Die Ehe. Wenn Sie jetzt eine Frau
hätten da wäre das Einkaufen, der Weihnachtsabend und
alles schöner. Ich wüßte jemanden für Sie. Kein süßes
Mädel, sondern eine Cousine von mir. Nicht mehr ganz jung,
nicht unhübsch, sehr gebildet, häuslich und musikalisch¬
Anatol (unvermittelt): Also, dann leben Sie
wohl
Und der letzte, alte Jungwiener verschwindet im Ge¬
dränge des Goldenen Sonntags, dorthin, woher er offenbar
kam: in das Schaufenster einer Buchhandlung, und auf
einmal ist es nur ein antiquarischer Band, der hier bescheiden
neben den Neuerscheinungen steht.
LT

Do
We
mitg
mach
teiln
eige
rich
gro
son'
di
4.2

Neihnachtseinkaeufe
I 1
box 7/5