Heft 3, 1918
MODERNE WELT
Seite 26
Anatol (zerstreut und gleichgültig): So, hier war das?
Mädel von heute sind alle so nüchtern, so ernst und ver¬
Kann schon sein... Hier ist ja auch die große Käse¬
nünftig. Und alle haben männliche Berufe: die eine ist in
handlung. Ich hab schon seit zwei Jahren keinen Emmen¬
einer Bank, die andere bei einem Advokaten, die dritte ist im
taler gegessen
Steueramt beschäftigt..., da ist es unmöglich, süß zu sein.
Frau Gabriele: Nach Emmentaler sehnen Sie sich.
Frau Gabriele: Ja, die Zeiten werden immer schlechter.
Kann ich Ihnen auch verschaffen.
Aber für wen sind dann alle diese Packerln bestimmt?
Anatol: Sie sind eine ungewöhnliche Frau . .. Ver¬
Anatol: Sie glauben, das sind galante Weihnachts¬
heiratetsein ist doch etwas Schönes. Man findet die nötige
Wer hat jetzt für solche
geschenke? ... Keine Spur.
seelische Ergänzung.. Und
Dummheiten Zeit und Sinn?
gewiß haben Sie auch große
Man hat wirklich dringen¬
S
S
Wie geht’s
Vorräte
dere Sorgen. Sehen Sie,
übrigens dem Herrn Ge¬
Gnädige, in diesem Packerl,
mahl? Versteht er Sie jetzt
da sind drei Stück Toilette¬
schon besser?
seife drin, für die Verkäufe¬
Frau Gabriele: Glänzend.
rin im Delikatessengeschäft.
Seit unserer silbernen Hoch¬
Eine charmante Person: sie
zeit lieben wir uns gerade¬
hebt mir jeden zweiten
zu
Tag eine Flasche Abzugbier
Anatol: Uberhaupt, alle
auf. Keinen Ersatz, echtes
Ehepaare vertragen sich jetzt
Abzugbier
so gut.
Frau Gabriele: Aber
Frau Gabriele: Das
gehen Sie., ist nicht mög¬
machen die Wirtschaftssor¬
lich. Was Sie für Bezie¬
gen... Ubrigens, ich habe
hungen haben
noch gar nichts für meine
Anatol: Und in diesem
beiden Dienstmädchen ein¬
Packerlsind Seidenstrümpfe.
gekauft. Ich weiß wirklich
Die bekommt man leider
nicht, was ich ihnen heuer
ohne BezugsscheinMeine
schenken. soll.
Trafikantin trägt nämlich
Anatol: Das kann doch
keine Baumwollstrümpfe.
nicht so schwer sein.
Lieber gewöhnt sie mir das
Frau Gabriele: Glauben
Rauchen ab
Sie? Die sind heutzutage
Frau Gabriele: Alle
anspruchsvoller als früher
diese Geschenke sind also
Ihre süßen Mädel. Der üb¬
eigentlich für Sie selbst be¬
liche Weihnachtsteller wird
stimmt, und im Grunde ge¬
mich ein kleines Vermö¬
nommen schenken Sie nur
—.
gen kosten. Für ein Kilo
aus purem Egoismus
Sultanfeigen verlangt man
Uberhaupt, die Männer sind
1
24 Kronen.
jetzt schreckliche Egoisten.
Anatol (mit ehrlicher
Denken nur an ihren Magen,
4
Teilnahme): Nicht mög¬
an ihr Vergnügen, an ihre
lich ... Und was schenkt
Bequemlichkeit.
denn Ihnen der Herr Ge¬
Anatol: Sie irren. Man ist
mahl? Natürlich Perlen,
jetzt nur ungenierter, aufrich¬
Brillanten
tiger Egoist. Ich war früher
Frau Gabriele: Woher
auch nicht anders. Aber
in jungen Jahren, da assoziiert sich ein Egoismus mit dem denn. Wir haben nichts geliefert, wir haben gar keinen
Anstand gehabt ... Sie wissen ja, mein Mann war nie
andern, und dann nennt man es Liebe... (Nach einer
auf der Höhe der Situation.
Weile:) Weil wir gerade von Liebe sprechen .. Haben
Anatol: Schon sieben Uhr? ... Die Geschäfte sperren
Sie vielleicht zufällig einen überflüssigen Bezugsschein?
alle... Gnädige Frau, ich muß mich leider empfehlen.
Frau Gabriele: Für Sie selbst?
Frau Gabriele: Holen Sie noch immer jemanden ab?
Anatol: Ja. das heißt ... für vier Meter Damen¬
Anatol: Nein, nein, wirklich nicht.
tuch doppelbreit
Frau Gabriele: Bis zur Haltestelle können Sie mich
Frau Gabriele: So, so, Damentuch ..., es gibt also
doch noch Tränen im Augenwinkel, die getrocknet werden schon begleiten.
Anatol: Nicht wahr, Sie denken an meinen Bezugsschein?
woller
Frau Gabriele: Aber Sie müssen mir sagen,
Anatol: Nein, nein, ganz was anderes.
wer den doppelbreiten Damenstoff zu Weih¬
Frau Gabriele: Vielleicht kann ich Ihnen
nachten bekommt. Ich habe mich immer für
den Stoff ohne Bezugsschein verschaffen.
Ihre Leidenschaften interessiert.
Aber Sie müssen einige Zigarren spendie¬
Anatol: Leidenschaften... Aber Sie dürfen
ren
mich nicht auslachen. Nämlich ... meine Wirt¬
Anatol: Selbstverständlich. Sehr gern. Vielen
schafterin wünscht sich einen Wintermantel.
Dank. Wir verstehen uns noch immer ausge¬
Sie kocht ausgezeichnet.
zeichnet
Frau Gabriele: Die Wirtschafterin. Anatol,
Frau Gabriele (seufzend): Ja, wir verste¬
Sie sind alt geworden.
hen uns. (bleibt stehen) Anatol ist
Anatol: O nein, bloß dyspeptisch
hier nicht der Platz, wo ich Ihnen damals
Frau Gabriele: Uberhaupt seien Sie mir
4
das Veilchenbukett gegeben habe, damit Sie
nicht böse, aber ich habe mir unser Wieder¬
#
es als Weihnachtsgeschenk der verheirateten
sehen ganz anders vorgestellt.
Frau dem süßen Mädel in die Vorstadt brin¬
Anatol: Anders?
gen?
MODERNE WELT
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Anatol (zerstreut und gleichgültig): So, hier war das?
Mädel von heute sind alle so nüchtern, so ernst und ver¬
Kann schon sein... Hier ist ja auch die große Käse¬
nünftig. Und alle haben männliche Berufe: die eine ist in
handlung. Ich hab schon seit zwei Jahren keinen Emmen¬
einer Bank, die andere bei einem Advokaten, die dritte ist im
taler gegessen
Steueramt beschäftigt..., da ist es unmöglich, süß zu sein.
Frau Gabriele: Nach Emmentaler sehnen Sie sich.
Frau Gabriele: Ja, die Zeiten werden immer schlechter.
Kann ich Ihnen auch verschaffen.
Aber für wen sind dann alle diese Packerln bestimmt?
Anatol: Sie sind eine ungewöhnliche Frau . .. Ver¬
Anatol: Sie glauben, das sind galante Weihnachts¬
heiratetsein ist doch etwas Schönes. Man findet die nötige
Wer hat jetzt für solche
geschenke? ... Keine Spur.
seelische Ergänzung.. Und
Dummheiten Zeit und Sinn?
gewiß haben Sie auch große
Man hat wirklich dringen¬
S
S
Wie geht’s
Vorräte
dere Sorgen. Sehen Sie,
übrigens dem Herrn Ge¬
Gnädige, in diesem Packerl,
mahl? Versteht er Sie jetzt
da sind drei Stück Toilette¬
schon besser?
seife drin, für die Verkäufe¬
Frau Gabriele: Glänzend.
rin im Delikatessengeschäft.
Seit unserer silbernen Hoch¬
Eine charmante Person: sie
zeit lieben wir uns gerade¬
hebt mir jeden zweiten
zu
Tag eine Flasche Abzugbier
Anatol: Uberhaupt, alle
auf. Keinen Ersatz, echtes
Ehepaare vertragen sich jetzt
Abzugbier
so gut.
Frau Gabriele: Aber
Frau Gabriele: Das
gehen Sie., ist nicht mög¬
machen die Wirtschaftssor¬
lich. Was Sie für Bezie¬
gen... Ubrigens, ich habe
hungen haben
noch gar nichts für meine
Anatol: Und in diesem
beiden Dienstmädchen ein¬
Packerlsind Seidenstrümpfe.
gekauft. Ich weiß wirklich
Die bekommt man leider
nicht, was ich ihnen heuer
ohne BezugsscheinMeine
schenken. soll.
Trafikantin trägt nämlich
Anatol: Das kann doch
keine Baumwollstrümpfe.
nicht so schwer sein.
Lieber gewöhnt sie mir das
Frau Gabriele: Glauben
Rauchen ab
Sie? Die sind heutzutage
Frau Gabriele: Alle
anspruchsvoller als früher
diese Geschenke sind also
Ihre süßen Mädel. Der üb¬
eigentlich für Sie selbst be¬
liche Weihnachtsteller wird
stimmt, und im Grunde ge¬
mich ein kleines Vermö¬
nommen schenken Sie nur
—.
gen kosten. Für ein Kilo
aus purem Egoismus
Sultanfeigen verlangt man
Uberhaupt, die Männer sind
1
24 Kronen.
jetzt schreckliche Egoisten.
Anatol (mit ehrlicher
Denken nur an ihren Magen,
4
Teilnahme): Nicht mög¬
an ihr Vergnügen, an ihre
lich ... Und was schenkt
Bequemlichkeit.
denn Ihnen der Herr Ge¬
Anatol: Sie irren. Man ist
mahl? Natürlich Perlen,
jetzt nur ungenierter, aufrich¬
Brillanten
tiger Egoist. Ich war früher
Frau Gabriele: Woher
auch nicht anders. Aber
in jungen Jahren, da assoziiert sich ein Egoismus mit dem denn. Wir haben nichts geliefert, wir haben gar keinen
Anstand gehabt ... Sie wissen ja, mein Mann war nie
andern, und dann nennt man es Liebe... (Nach einer
auf der Höhe der Situation.
Weile:) Weil wir gerade von Liebe sprechen .. Haben
Anatol: Schon sieben Uhr? ... Die Geschäfte sperren
Sie vielleicht zufällig einen überflüssigen Bezugsschein?
alle... Gnädige Frau, ich muß mich leider empfehlen.
Frau Gabriele: Für Sie selbst?
Frau Gabriele: Holen Sie noch immer jemanden ab?
Anatol: Ja. das heißt ... für vier Meter Damen¬
Anatol: Nein, nein, wirklich nicht.
tuch doppelbreit
Frau Gabriele: Bis zur Haltestelle können Sie mich
Frau Gabriele: So, so, Damentuch ..., es gibt also
doch noch Tränen im Augenwinkel, die getrocknet werden schon begleiten.
Anatol: Nicht wahr, Sie denken an meinen Bezugsschein?
woller
Frau Gabriele: Aber Sie müssen mir sagen,
Anatol: Nein, nein, ganz was anderes.
wer den doppelbreiten Damenstoff zu Weih¬
Frau Gabriele: Vielleicht kann ich Ihnen
nachten bekommt. Ich habe mich immer für
den Stoff ohne Bezugsschein verschaffen.
Ihre Leidenschaften interessiert.
Aber Sie müssen einige Zigarren spendie¬
Anatol: Leidenschaften... Aber Sie dürfen
ren
mich nicht auslachen. Nämlich ... meine Wirt¬
Anatol: Selbstverständlich. Sehr gern. Vielen
schafterin wünscht sich einen Wintermantel.
Dank. Wir verstehen uns noch immer ausge¬
Sie kocht ausgezeichnet.
zeichnet
Frau Gabriele: Die Wirtschafterin. Anatol,
Frau Gabriele (seufzend): Ja, wir verste¬
Sie sind alt geworden.
hen uns. (bleibt stehen) Anatol ist
Anatol: O nein, bloß dyspeptisch
hier nicht der Platz, wo ich Ihnen damals
Frau Gabriele: Uberhaupt seien Sie mir
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das Veilchenbukett gegeben habe, damit Sie
nicht böse, aber ich habe mir unser Wieder¬
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es als Weihnachtsgeschenk der verheirateten
sehen ganz anders vorgestellt.
Frau dem süßen Mädel in die Vorstadt brin¬
Anatol: Anders?
gen?