4. 1.
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an das Schicksal
Fra
Die
D#Prage an das Schleisen
Otto Erich Hartleben: „Die Erziehung zur Ehe“. Arthur Schnitzler: „Die Frage an
das Schicksal“. (Lessingtheater.)
Warde
Hartleben's Vorgänger Beaumarchais — er focht
gegen den Adel, wie Otto Erich gegen das Bürgerthum,
und beide lebten in einer weltkritischen Zeit — Beaumarchais,
vergleicht Theaterwerke mit Kindern vom Weibe geboren:
concus avec volupté, menés à terme avec fatigue,
enfantés avec douleur, et vivant rarement assez
pour payer les parents de leurs soins; kurzum: sie „kosten
mehr Aerger, als sie Vergnügen machen". Man könnte
erweiternd sagen: sie kosten den Autor mehr Aerger, als sie
dem Publikum Vergnügen machen.
In allen Fällen? Im Fall Beaumarchais nicht.
Im Fall Hartleben? Nicht ganz. Hartleben's Werk tritt,
wie die Vorrede sagt, ins achte Lebensjahr und bietet die
vierte Fassung. Das Stück bekämpft Schöneberger Millionäre,
und die zweite Fassung entstand in ... Rom. Erst fünf
Jahre danach wurde die anscheinend letzte Fassung gespielt,
und sie trug dem Autor doch soviel Hervorrufe ein, als
er Bearbeitungen veranstaltet hatte.
Wodurch sündigt bei Beaumarchais der Adel? Durch
die Liebe zu Töchtern des Volks am stärksten. Aehnlich
bei Hartleben die Schöneberger. Der Kern seiner Hand¬
lung ist der: die Verhältnisse eines Bürgerssohns zu zwei
Mädchen aus dem Volk werden gelöst; beide Mädchen
kommen dadurch auf den Weg der Sünde. Wie sehen die
neuen Susannen aus? Die eine ist Buchhalterin, die andere
Stubenmädchen. Die Buchhalterin hat sich dem Bürgers¬
sohn aus Neigung hingegeben. Nun aber wird sie die be¬
zahlte Geliebte eines fremden Mannes. Es entsteht die
Frage: muß sie das werden? Sie muß es nicht. Immer¬
hin: die nahe Möglichkeit ergibt sich aus der Sachlage.
Nach der schmerzlichsten Erfahrung ihres Daseins findet sie
die Anständigkeit nicht mehr lohnend. Warum? die Welt
ist schlecht, und man lernt zu. Schwere Arbeit und schwere
Noth verlieren die Reize. Kurzum: das Mädchen nimmt
aus Aerger den ersten besten Galan, der ihr in den Weg
gelaufen. Es ist wiederum ein Erbsohn.
Ein gütiger,
schwerfälliger, harmloser Mensch aus dem Adelsgeschlecht
von Bohling.
Das andere Mädchen aus dem Volk? Jenny? An
ihr scheint wenig zu verderben. Sie hat Erfahrungen ge¬
sammelt. Jenny ist vergnügungssüchtig kaltgeherzt.
Immerhin verschlechtert der Bürgersohn ihre soziale
Stellung, mag er zugleich ihre wirthschaftliche Lage bessern.
Jenny lebte bisher als Dienstmädchen untugendhaft; nun
wird sie, nicht mehr Dienstmädchen, von der Untugend
leben. Es entsteht die Frage: muß sie das? Sie muß es
nicht. Sie könnte, von der Bürgerfrau aus dem Dienst
er die Leser begütigen: er sei nicht so wesentlich, nicht so
geschickt, in andere Dienste treten. Doch wie die Buch¬
unerbittlich, nicht so anklagend, nein ein lustiger Bruder?
halterin ahnt sie, daß es nicht lohnt, sich zu quälen;
In seinem Angelus Silesius heißt es noch immer: Mensch
möchte zum Ladenmädchen ohne Stellung aufrücken. Jenny
werde wesentlich!
überblickt beiläufig den sozialen Hintergrund der Dinge; es
Die Buchhalterin, Meta Hübcke, ist „kleines Mädchen“.
sei, bei den Uebergriffen der Söhne gegen die Dienerinnen,
In Schnitzler's kleinem Stück erscheint auch ein kleines Mädchen.
„gar kein Wunder, daß es so viele Sozialdemokraten gibt".
Aber wieviel Unterschied in der Betrachtung. Schon
Bleibt Hartleben's Almaviva. Er ist verbürgerlicht,
der Name: Hübcke! die Andre heißt einfach Cora; den Zu¬
einundzwanzig Jahre alt, mit einer Fabrikantentochter
namen erfährt man nicht; und noch den Vornamen bekam
versprochen, studirt Juristerei und erscheint als gedankenloser
sie gewiß von Anatol. Fräulein Hübcke ist Buchhalterin
und sentimentalisch. Cora ist „das Mädel mit den zer¬
Knabe mit studentisch=offiziermäßigen Redewendungen, wie
stochenen Fingern" und ganz naiv; noch in der Liebesver¬
mun ist einfach nicht mehr konkurrenzfähig" u. s. w. Die
Rulter und der Onkel Almavivas, der in der Chausses ###niß. Fräulein Hübcke philosophirt; im ersten Schmerz,
ße ein Zimmer besitzt, stehen hinter ihm, größer als er
findet sie ein neues Moralsystem; sie könne nicht annehmen,
st. Sie lenken. Sie vertreten die Moral. Die Schöne¬
daß neunundneunzig Hundertstel der Menschen erbärmlich
ger Moral ist: Geldmoral. Erziehung zur Ehe bleibt die
seien; auch in der Handlungsweise dieser Mehrheit stecke
Hauptsache; finanzielle Abmachung die Hauptsache an der
wohl Berechtigtes. Cora lacht, ist naiv=untren, lügt naib
Ehe. Zwei Grundsätze stellen Onkel und Mutter auf: das
und liebt mit ganzer weicher Seele. Bei Hartleben erscheint
Haus muß erstens rein bleiben. Ohne Spießbürger im
das kleine Mädchen, wie es der Soziolog sieht; bei Schnitzler,
Hartleben'schen Sinne zu sein, könnte man diesen Grundsatz
wie es die Liebe sieht. Anatol hypnotisirt Cora und wagt
verständlich finden, wo junge Mädchen im Hause sind. Der
nicht, die Frage an das Schicksal zu stellen: ob sie treu ist.
Mit Küssen weckt er sie auf.
zweite Grundsatz heißt: keine festen und tiefen Beziehungen
außerhalb des Hauses; denn weil die wirthschaftliche Wohl¬
Woran lag es, daß an dieser holden Scene fast alles
fahrt höchstes Ziel ist, könnte durch unpraktische Liebschaften
ohne Wirkung auf die Hörer blieb? Daran: daß sie von
die Zukunft verdorben,
Heirath nicht ausgeschlossen
den Schauspielern nicht verstanden wurde. Theatermätzchen
die Mitgift verscherzt werden. Daß Ehen, auf solche Art
aus eiqnen Gnaden schenkten sie. Im Sinn der französi¬
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an das Schicksal
Fra
Die
D#Prage an das Schleisen
Otto Erich Hartleben: „Die Erziehung zur Ehe“. Arthur Schnitzler: „Die Frage an
das Schicksal“. (Lessingtheater.)
Warde
Hartleben's Vorgänger Beaumarchais — er focht
gegen den Adel, wie Otto Erich gegen das Bürgerthum,
und beide lebten in einer weltkritischen Zeit — Beaumarchais,
vergleicht Theaterwerke mit Kindern vom Weibe geboren:
concus avec volupté, menés à terme avec fatigue,
enfantés avec douleur, et vivant rarement assez
pour payer les parents de leurs soins; kurzum: sie „kosten
mehr Aerger, als sie Vergnügen machen". Man könnte
erweiternd sagen: sie kosten den Autor mehr Aerger, als sie
dem Publikum Vergnügen machen.
In allen Fällen? Im Fall Beaumarchais nicht.
Im Fall Hartleben? Nicht ganz. Hartleben's Werk tritt,
wie die Vorrede sagt, ins achte Lebensjahr und bietet die
vierte Fassung. Das Stück bekämpft Schöneberger Millionäre,
und die zweite Fassung entstand in ... Rom. Erst fünf
Jahre danach wurde die anscheinend letzte Fassung gespielt,
und sie trug dem Autor doch soviel Hervorrufe ein, als
er Bearbeitungen veranstaltet hatte.
Wodurch sündigt bei Beaumarchais der Adel? Durch
die Liebe zu Töchtern des Volks am stärksten. Aehnlich
bei Hartleben die Schöneberger. Der Kern seiner Hand¬
lung ist der: die Verhältnisse eines Bürgerssohns zu zwei
Mädchen aus dem Volk werden gelöst; beide Mädchen
kommen dadurch auf den Weg der Sünde. Wie sehen die
neuen Susannen aus? Die eine ist Buchhalterin, die andere
Stubenmädchen. Die Buchhalterin hat sich dem Bürgers¬
sohn aus Neigung hingegeben. Nun aber wird sie die be¬
zahlte Geliebte eines fremden Mannes. Es entsteht die
Frage: muß sie das werden? Sie muß es nicht. Immer¬
hin: die nahe Möglichkeit ergibt sich aus der Sachlage.
Nach der schmerzlichsten Erfahrung ihres Daseins findet sie
die Anständigkeit nicht mehr lohnend. Warum? die Welt
ist schlecht, und man lernt zu. Schwere Arbeit und schwere
Noth verlieren die Reize. Kurzum: das Mädchen nimmt
aus Aerger den ersten besten Galan, der ihr in den Weg
gelaufen. Es ist wiederum ein Erbsohn.
Ein gütiger,
schwerfälliger, harmloser Mensch aus dem Adelsgeschlecht
von Bohling.
Das andere Mädchen aus dem Volk? Jenny? An
ihr scheint wenig zu verderben. Sie hat Erfahrungen ge¬
sammelt. Jenny ist vergnügungssüchtig kaltgeherzt.
Immerhin verschlechtert der Bürgersohn ihre soziale
Stellung, mag er zugleich ihre wirthschaftliche Lage bessern.
Jenny lebte bisher als Dienstmädchen untugendhaft; nun
wird sie, nicht mehr Dienstmädchen, von der Untugend
leben. Es entsteht die Frage: muß sie das? Sie muß es
nicht. Sie könnte, von der Bürgerfrau aus dem Dienst
er die Leser begütigen: er sei nicht so wesentlich, nicht so
geschickt, in andere Dienste treten. Doch wie die Buch¬
unerbittlich, nicht so anklagend, nein ein lustiger Bruder?
halterin ahnt sie, daß es nicht lohnt, sich zu quälen;
In seinem Angelus Silesius heißt es noch immer: Mensch
möchte zum Ladenmädchen ohne Stellung aufrücken. Jenny
werde wesentlich!
überblickt beiläufig den sozialen Hintergrund der Dinge; es
Die Buchhalterin, Meta Hübcke, ist „kleines Mädchen“.
sei, bei den Uebergriffen der Söhne gegen die Dienerinnen,
In Schnitzler's kleinem Stück erscheint auch ein kleines Mädchen.
„gar kein Wunder, daß es so viele Sozialdemokraten gibt".
Aber wieviel Unterschied in der Betrachtung. Schon
Bleibt Hartleben's Almaviva. Er ist verbürgerlicht,
der Name: Hübcke! die Andre heißt einfach Cora; den Zu¬
einundzwanzig Jahre alt, mit einer Fabrikantentochter
namen erfährt man nicht; und noch den Vornamen bekam
versprochen, studirt Juristerei und erscheint als gedankenloser
sie gewiß von Anatol. Fräulein Hübcke ist Buchhalterin
und sentimentalisch. Cora ist „das Mädel mit den zer¬
Knabe mit studentisch=offiziermäßigen Redewendungen, wie
stochenen Fingern" und ganz naiv; noch in der Liebesver¬
mun ist einfach nicht mehr konkurrenzfähig" u. s. w. Die
Rulter und der Onkel Almavivas, der in der Chausses ###niß. Fräulein Hübcke philosophirt; im ersten Schmerz,
ße ein Zimmer besitzt, stehen hinter ihm, größer als er
findet sie ein neues Moralsystem; sie könne nicht annehmen,
st. Sie lenken. Sie vertreten die Moral. Die Schöne¬
daß neunundneunzig Hundertstel der Menschen erbärmlich
ger Moral ist: Geldmoral. Erziehung zur Ehe bleibt die
seien; auch in der Handlungsweise dieser Mehrheit stecke
Hauptsache; finanzielle Abmachung die Hauptsache an der
wohl Berechtigtes. Cora lacht, ist naiv=untren, lügt naib
Ehe. Zwei Grundsätze stellen Onkel und Mutter auf: das
und liebt mit ganzer weicher Seele. Bei Hartleben erscheint
Haus muß erstens rein bleiben. Ohne Spießbürger im
das kleine Mädchen, wie es der Soziolog sieht; bei Schnitzler,
Hartleben'schen Sinne zu sein, könnte man diesen Grundsatz
wie es die Liebe sieht. Anatol hypnotisirt Cora und wagt
verständlich finden, wo junge Mädchen im Hause sind. Der
nicht, die Frage an das Schicksal zu stellen: ob sie treu ist.
Mit Küssen weckt er sie auf.
zweite Grundsatz heißt: keine festen und tiefen Beziehungen
außerhalb des Hauses; denn weil die wirthschaftliche Wohl¬
Woran lag es, daß an dieser holden Scene fast alles
fahrt höchstes Ziel ist, könnte durch unpraktische Liebschaften
ohne Wirkung auf die Hörer blieb? Daran: daß sie von
die Zukunft verdorben,
Heirath nicht ausgeschlossen
den Schauspielern nicht verstanden wurde. Theatermätzchen
die Mitgift verscherzt werden. Daß Ehen, auf solche Art
aus eiqnen Gnaden schenkten sie. Im Sinn der französi¬