II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 107

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Das Maerchen
3 Saaiaszcnen
Dr. Max Goldschmiet
Büto für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N 4
Ausehnit us
8 Uhr Abendblatt, Berlin
6. Pan 1925
Arthur Schnitzlers „Märchen“ im Lessing=Theater.
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Camilla Spira, Erich Kaiser=Titz, Else Wasa und Curt v. Moellendorf.
reden, die heutzutage in ihrer Gemeinplätzigkeit auch die weltfernsten
Das Erstlingswerk des Dichters.
Kleinstädter nicht mehr über Lippen und Herz bringen würden. —
das also sei dem Dichter auf Grund einer trefflich überstandenen
Als Huldigung für den sechzigjährigen Arthur Schnitzler suchte
dreißigjährigen Bewährungsfrist verziehen.
man sein erstes abendfüllendes Stück hervor (nach den „Anatol“¬
Szenen gedichtet). Statt dies Jugendwerk kritisch zu zerpflücken,
Für den Literarhistoriker oder Liebhaber Schnitzlers aber ist es
sei an dieser Lebenskerbe lieber dem Dichter gedankt für vielerlei
rührend und interessant zu beobachten, wie der Dichter hier schon
Menschgestalten, Formung psychischer und erotischer Dramen¬
mit Sicherheit jene wacker=muffige Spießeratmosphäre malt, die
komplikationen, für einen locker=natürlichen Dialog, der dennoch
durchblinkt ist von der Lüsternheit junger Mädchen nach großer Liebe
Tiefen bloßdeckt, — wie man vor Schnitzler in dieser Art solches in
und großer Welt ... wie hier diese kleinen Mädchen unglücklich
Deutschland nicht dichten konnte oder nicht wagte.
werden durch vertrauensselige Hingabe an sozial höherstehende
In diesem bürgerlichen Trauerspiel, dem man vor hundert
Helden, die mit Worten und Herzchen verantwortungslos spielen.
Jahren den Untertitel „oder Der Fluch der Vergangenheit“ gegeben
Kurz, in späteren Abhandlungen über Schnitzler wird zu lesen sein,
hätte, sind Probleme und Dialogführung durchaus unbeholfen und
daß dies verschollene „Märchen“ als Vorstudie zu „Liebelei“ zu
veraltet, so daß etwa ein junges Mädchen als höchsten Ausdruck der
werten ist, und daß der ganze spätere Schnitzler bereits aus diesen
Zärtlichkeit in einem Alt zweimal ausstößt „ich bete dich an!", was
Szenen schüchtern hervorguckt.
ein deutsches Mädchen sicherlich noch niemals zu einem Mann sprach,
Hätte man die ironischen Tupfen Schnitzlers verbreitert und das
sondern höchstens in französischen Thesendramen heimlich las.
Ganze leichter, satirischer, heiterer gespielt, so würde das Stück viel¬
Dies Mädchen ist die Heldin des nach solchen Thesendramen
leicht zeitgenössischer gewirkt haben. Curt v. Möllendorff aber
schwerfällig, aber edelherzig gearbeiteten Stücks. Ist, wie die Gro߬
bemüht sich, das Stück höchst literarisch mit Würde, Schwere und
väter sagten, „eine Gefallene“. Nicht etwa schlimmster Art, sondern
viel Gefühl aufzuführen — mit mancherlei Schauspielern, die solchen
ein gutes Bürgertöchterlein, das vom reichen Jüngling verführt
Anforderungen durchaus nicht gewachsen sind.
ward, und nun als Schauspielerin in ihrer Heimatstadt die ersten
Erfolge pflückt.
Er selbst (noch leidend und behindert durch eine Operation) gab
den geliebten Weichling und Feigling, der sich nicht zu einer eigenen
In dem muffigen Kleinbürgerhaus verkehren allerlei Freigeister,
Meinung bekehren kann, als dumpfen, dickblütigen, in Gefühl und
von denen einer, ein Schriftsteller gar, erklärt, daß die ganze Ge¬
Geste schwerbeweglichen Menschen.
schichte von der Nichtachtung gefällener Mädchen für moderne Men¬
schen ein Märchen sei. Worauf die Kleine sich leidenschaftlich in ihn
Die liebe Kleine mit dem vertrauenden Herzen aber war jene
verliebt. Der aber, als es heißt, Farbe der Leidenschaft zu bekennen,
neunzehnjährige Camilla Spira, deren Wachstum man seit drei
kommt, wie Hebbels Meister Anton sagt, nicht darüber hinweg. Die
Jahren froh verfolgt. Sie hat bereits Pagen, Backfische, verheiratete
Kleine nun hilft ihm selbst darüber hinweg. indem sie mutig sich ihm
Frauen, problematische Mädchen gespielt, — alles erstaunlich rund,
hingibt. Dem trottelhaften Düsterling paßt aber auch dies nicht,
beweglich und frisch, sicher und blitzsauber. Da scheint eine berlinische
so daß er bestrebt ist, die Geliebte abzuschieben, die demzufolge in ein
Käthe Dorsch zu keimen (wehe aber, wenn sie die Richtige nachahmt!);
auswärtiges Engagement geht, und zwar gleich nach Petersburg (wo,
mit großen Augen, leuchtendem Gesicht Stupsnase, ein klares Gesicht.
wie wir ihr von Herzen wünschen, sie in freierer Atmosphäre noch
indem sich sofort jeder innere Vorgang mit automatischer Natürlich¬
heute lebt, durch all die Jahre hindurch, als dieser Ort Petrograd
keit spiegelt. Sie soll erst vor drei Tagen diese große Rolle über¬
und jetzt Leningrad benamst ward).
nommen haben, was den Wert der präzis hingelegten
Wie das Stück technisch und psychologisch holprig gedichtet ist.
Leistung erhöht.
j und wie diese Leutchen im Wechselgespräch mit Wichtigkeit Dinge
Kurt Pinthus.