II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 109

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3. Das Maerchen

p. Max Goldschmiet
Paro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telelon: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Berliner Börsenzeitung
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Ein aufgewärmter Schnitzler.
„Das Märchen“ im Lessing=Theater.
Nora geht, mag geschehen, was das will. Egoismus in
Reinkultur, der nur sich kennt und jedes Kompromiß schroff
ablehnt. Wir haben's in neueren Aufführungen eriebt,
daß man über Nora wieder den Kopf schüttelt, wie damals.
als sie zum ersten Male ihr unbedingtes Ich=Evangelium
verkündete. Während man in der Zwischenzeit, zum
Ibsen=Dogmatismus erzogen, eher bereit war, ihr durch
dick und dünn zu folgen.
Das Dogmatische, Konstvuierte, Tendenzhafte solcher
Psychologie offenbart sich uns heute in seiner ganzen Kälte
und Nüchternheit geradezu erschreckend (wenn nicht er¬
heiternd), sobald die Formel von einem der Epigonen nach¬
gesprochen wird. Wie etwa im (schon 1894 erschienenen)
„Märchen“ von Arthur Schnitzler. Hier ist eine männliche
Nora, mit dem trägen Blute der Hebbel und Ibsen. Auch
einer, der über etwas nicht hinwegkann. Kann Nora nicht
darüber hinweg, daß ihr Mann nicht so ist, wie ihre
Wunder=Sehnsucht sich ihn erträumt, so ihr männlicher
Ableger bei Schnitzler nicht darüber, worüber schon bei
Hebbel der Mann — nach der großen, verallgemeinernden,
schmerzvoll resignierenden Geste — nicht hinwegkann. Be¬
zeichnend für die Kälte und Nüchternheit dieser
Psychologie beim Epigonen, daß der tragische Konslikt
nicht aus dem Widerstreit mit einem heißen Ge¬
fühl emporflammt, sondern mühselig aus dem Gegen¬
satze zu einer bewußt vorgetragenen aufklärerischen
zwar
bin
Ich
Anschauung abgeleitet wird:
ein durchaus ausgeklärter und vorurteilsfreier Mensch,
— aber darüber kann ich doch eben nicht hinweg, daß das
gewiß heiß von mir geliebte Mädchen eine Vergangenheit
ich heirate sie,
hat. Angenommen — so reflektiert er —
und es begegnete uns der Verführer, ich könnte sein Lächeln
nicht ertragen, dieses Lächeln, das um unsere Lippen spielt,
wenn wir eine Frau treffen, die wir einmal besessen haben.
Das ist gewiß sehr klug und vorsichtig und überlegend und
durchaus im Sinne einer vernünftigen Lebensmaxime; —
aber wenn er nun der Gelichten den Rat gibt, Meilen
zwischen sich und ihr zu legen und das Petersburger
Engagement (die Geliebte ist, fast hätte ich gesagt: über¬
dies, Schauspielerin!) anzunehmen, so wird er darum für
uns wahrhaftig nicht zur tragischen, auch nicht zur Komö¬
dienfigur, sondern bleibt ein sehr uninteressanter, kühler
Mensch, der uns nicht einmal im Leben interessieren könnte,
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geschweige denn auf der Luhne. Andere, dichterische, zum
Miterleben zwingende Gestalt hätte das Problem gewinnen
können, wäre es ausschließlich vom Standpunkte des
Mädchens aus gefaßt, wäre diese Schauspielerin zur
Zwillingsschwester der Ibsenschen Advokatengattin gemacht
worden, ihrerseits das Wunderbare erwartend, daß der
Gelicbte erklärt: du ziehst nicht in die Ferne, bleibst an
meiner Seite, und jenes Lächeln fürcht' ich nicht.
Wie die Dinge bei Schnitzler liegen, nehmen wir sie
wahrhaftig nicht tragisch und denben nicht daran, mit den
Rotters wegen ihres grotesken Einfalls zu rechten, daß
sie Held und Heldin dieser Entsagungsfarce zwei ausge¬
sprochenen Lustspielbegebungen anvertrauten. Es waren
Curt von Möllenddorff und Camilla Spira,
die uns tragisch zu kommen versuchten. Dank ihnen, daß
das Experiment mißlang, denn im anderen Falle hätten
sie uns vielleicht überredet, dieser Schnitzler enthalte doch
echte Werte. So bestärkten beide uns in unserem Wissen,
Win das Oustspiel höchst schätzenswerte Talente sind.
Was erneut und an tauglicherem Objekt belegen zu können,
sie hoffentlich von den Rotters recht bald Gelegenheit er¬
halten, uns zur Freude und ihnen zur künstlerischen Re¬
h
putation. In die blasse und müde Aufführung — eine
farbige und lebendige dieses Stückes kann ich mir freilich
überhaupt nicht vorstellen — brachten Kaiser=Titz (der
nicht unter einem Decknamen hätte zu spielen brauchen),
Lettinger und Klubertanz jezuweilen etwas Farbe
Franz Köppen.
und Bewegung.
erwachsene
phist Henckels.
die Franz¬
zugen —
aber imm
Schnißler: „Das Märchen“.
denkleidche
an den W
Zum erstenmal im Lessing=Theater.
sonders ne
Es gibt von Arthur Schnitzler dieses ver¬
hört, die
gessene Schauspiel, entstanden nach dem „Anatol“
Es wa
und vor der „Liebelei". Kaum je ist es auf¬
Luft war
geführt worden. Trotz einer Umarbeitung des
Schlusses. Nun wird es im Lessig=Theater ge¬
von dem
geben. Miserabel gegeben. So miserabel, daß
tenqualm
auch die beginnenden Feinheiten, die es hat, kaum
Ecke war
noch zu erkennen sind.
aber beso
Ein Problemstück: das Märchen von den Ge¬
fallenen. Unsicher skizziert in dem Charakter des
bekam.
Fedor Denner, des Schriftstellers, der die junge
Er wa
Schauspielerin Fanny Theren liebt und von ihr
ein blaue
geliebt wird. Er fühlt: sie hat eine Vergangen¬
Kragen v
heit. Und er sagt auf einem Jour bei der klein¬
Aermeln.
bürgerlichen Mutter Fannys, daß er sich über Ver¬
in seinem
gangenes hinwegsetzt. Kann es dann doch nicht.
hin sah,
Wird sia dessen bewußt bei einem Gespräch mit
die Ecken
dem Dr. Witte, dem Arzt, dem Fanny, siebzehn¬
am Ellen
jährig, und nicht als erstem, sich geschenkt hat.
Stoffes b
Läßt sich dennoch von Fanny, die sich in heißem
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Rausch ar ihn klammert, erobern. Ist dabei
Seine
er
nervös und brutal gegen sie. Und zwingt sie, die
fein gekle
Erfolge auf der Bühne hat, den Kontrakt nach
Hütchen
ge¬
Petersburg zu unterzeichnen. Nun verachtet sie
nackten 2
ihn. Nun weiß sie ihren Schauspielerinnenweg.
waren, di
es
Der Dichter, der jetzt das „Fräulein Else“
schette er
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geschrieben hat. der Meister der subtilsten Prosa,
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Als i
der Dramatiker einer Zeitwende: hier ist er noch
in
Vis-à-vis
in seinen Anfängen. Er diskutiert. Er ist noch
sammen -
nicht der Menschengestalter. Nur die Fanny Theren
mit der 2
hat Wahrheit in sich. Alles sonst, die Mutter,
aft
die Schwester die Studenten und Bohemiens,
à l’Amer
ist blaß, unpersönlich. Wie wenn es von einem

erst weiß
matten Schnitzler=Kopisten um 1894 herrührte.
iffe
Ernst
Immerhin: ein kluger Regisseur könnte ver¬
er¬
merkte, d
suchen, die Vorstudien zur „Liebelei“ deutlich
gen und
zu machen. (Bald wird der erschütternde Auf¬
der
lebte für
schrei Christines gellen, bald kommt in Schwarz
Be¬
eine Kok¬
Mitterwurzer als der fremde Herr.)
Man
Im Lessing=Theater spielt ein Ensemble, das
alle Unai
zum Staunen ist, geleitet von Herrn v. Möl¬
hat, zum
lendorf, dem früheren Bonvivant. Es ist
die Miet¬
schlimm, wirklich schlimm; selbst ein paar gute
ranten m
Darsteller, wie Frau Wasa und Heir Lei¬
hatte tief
tinger, wie Herr Kaiser=Titz als rou¬
Die 2
tinierter Einspringer, helfen da nichts. Doch
aber wäh
eine Ausnahme: als Fanny Theren das kleine
Fräulein Spira. Das ist in seiner echten,
und ließ
frischen Jugend, um Glück betteird und trotzend,
gehen. C
in ein warmes, reizvolles Menschenkind. P. W.
ihre Zwe
Sn
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