II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 110

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Das Maerchen
3. B 2
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N 4
Husschnitt aus:
Neue Tägliche Rundschau, Berlin
G. Flai 1925
Arthur Schnitzler: „das Märchen.
Erstaufführung im Lessingtheater.
Arthur Schnitzler ist heute dreiundsechzig Jahre alt.
Der Dreiundsechzigjährige setzt uns ein Stück vor, das er
1891, also vor 34 Jahren, als neunundzwanzigjöhriger
schrieb. Und tat nicht gut daran.
Täuscht Schnitzler sich so sehr über sich selbst? Über
sein Verhältnis zu unserer Zeit? über das Verhältnis
seiner Werke zum Geiste unserer Gegenwart? Anscheinend.
Dann muß ihn die krasse Tatsache belehren, daß zum
mindesten dies „Märchen“ besser in der Vergessenheit ge¬
blieben wäre. Es hat uns nichts mehr zu sagen, noch zu
bedeuten. Es ist leerer Spuk.
Der Spuk jener Liebes= und Ehepsychologen um
Felix Dörmann, die damals, bei Beginn des Naturalismus,
glaubten, von „alten“ und „neuen“ Anschauungen, Ideen
sprechen zu können; in ihrer Verblendung ahnten sie nichts
von der Ewigkeit alles Liebes= und Eheerlebens. Darum
machten sie auch über alles Worte, Worte, Worte.
So wirkt nun auch das „Märchen“: Worte, Worte,
Worte und kein Wesensgehalt. Worte um das Thema:
kann ein Mann darüber hinwegkommen, daß die, die er
liebt, bereits einmal geliebt hatte? Leere Worte, denn
wir, Heutigen glauben nicht mehr an die Diskussions¬
möglichkeit solcher Themen; für uns werden solche Fragen
durch die Kraft des Ehelebens und der Gestaltung, nicht
aber durch einen wortglatten Dialog gelöst, durch ein
geistreichelndes Hin= und Hergerede. Als Novellist hat
Schnitzler selbst ja diesen Wortschwall überwunden —
warum bietet er ihn als Dramatiker wieder an? .
An einem „Jour“, aber an einem Gesellschaftsabend,
der für das Reden eingerichtet ist, beginnt „das Märchen“
bei Therens: Versammelt ist eine halbbürgerliche, halb¬
bohemehafte Maler=, Schriftsteller=, Studenten= und Künsy¬
lergesellschaft. Sie erörtert das Thema. Aus der Erör¬
terung entwickelt sich dann die praktische Probe: Jeder
Demor liebt Fanny Theren; Fanny hat sich aber einmal vor
Jahren vergessen; nun kam Fedor trotz seiner Theorien
nicht über diese Vergangenheit hinweg und die kaum ge¬
schlossene Bindung löst sich wieder. Lohnt es wirklich all
diesen Wort=, Dichter= und Theateraufwand um ein paar
charakterschwache Menschen?
Die inneren und äußeren Schwächen des nach Ibsen¬
Muster gebauten Stückes wirkten um so schwächer, als die
Aufführung der Brüder Rotter das schlampigste war, was
wir seit langem in Berlin gesehen haben. Mag sein, daß
der Regisseur und Hauptspieler Curt von Möllen¬
dorf durch eine angeblich vor einige Tage zuvor stattge¬
habte Operation noch sehr behindert war (wogegen übri¬
gens seine Aufwendung an Tathos sprach). Aber es gibt
keine Entschuldigung für eine ihrem Publikum sich verant¬
wortlich fühlende Direktion angesichts einer in Bild,
Tempo, Tonart, Besetzung so fehlgreifenden Aufführung,
daß Berlins Publikum solche Skrupellosigkeit, daß Schau¬
spieler wie Kaiser=Tietz, Rudolf Ettlinger, Elsa
Wasa, Camilla Spira diesen Schlendrian mitmachen,
ist unbegreiflich. Man stelle die Vorführungen dieses
Stückes und dieser Inszenierung sofort ein.
Anmerkung: Die Direktion der Rotterbühnen
scheint ebenso wie die der Reinhardttheater zu glauben,
wir würden über ihre Taten schweigen, wenn sie uns
keine Pressekarten zusendet, obwohl sie nach den Ab¬
machungen mit dem Bühnenverein und der großen Berliner 1
Presse dazu verpflichtet ist. Nun, der Schlendrian in den
Direktionsbüros, wo junge Damen ohne Aufsicht ihre
Listen und ihre Arbeit in Unordnung halten, kann uns
nicht zu gleichem Schlendrian in unserer Pflicht zur Be¬
richterstattung an die Öffentlichkeit veranlassen: wir werden
scharf und klar unser Urteil sagen, ob eine Direktion es an
der gebührenden Verkehrshöflichkeit mit der Presse fehlen
läßt oder nicht. Uns geht es um die Sache, auch unser
Theaterleben wieder von allem Chaos und Schmu, der
jüngsten Vergangenheit zu säubern.
Hanns Martin Elster.