1. Der tapfere Cassian
(gnclenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausdenZaanng.
vom:
1
—E
Theater und Musik.
(Kleines Theater.)
Im Grunde genommen, war der gestrige Schnitzler¬
Abend im „Kleinen Theater“, der uns zwei neue und einen
alten Einakter bringen sollte, ziemlich entbehrlich. „Das Haus
Delorme“ war von der Zensur verboten worden, „Den tapferen
Kassian“ hätte Schnitzler sich selbst und uns schenken können,
und „Der grüne Kakadu“ zählt bereits drei Jahre, für unsere
modernen Dramen ein Alter, das meist durch nichts und nur
selten durch eine tüchtige Aufführung überschminkt werden kann,
was denn auch gestern beim „Grünen Kakadu“ eintraf.
Neu war also nur „Der tapfere Kasssian“, ein
Puppenspiel, beinahe ein Kasperleulk, wenn die Szene in
hochgezimmerter Holzbude auf taustischer Wiese stände und
den Dialog ein weniger sicherer Theatermann als Schnitzler ge¬
zimmert hätte. Doch sonst dieselbe gruselige Geschichte wie
draußen auf der Wiese, dieselben eckigen und kantigen
Bewegungen, die wie vom Schlag gerührt plötzlich stillstehen
und wie von der Tarantel gestochen ebenso plötzlich wieder los¬
arbeiten, nur daß der kräftige, knallende Pritschenschlag fehlte,
der dem Bruder Kasperle oftmals um die Ohren dröhnt oder
ihn heftig gar von der Kulisse wegfedert. Nun stand
vielleicht zu hoffen, daß der Pritschenschlag uns hier
im „tapferen Kassian“, durch gallige Sarkasmen,
aus denen Lebensweisheit wittert, versetzt würde, durch Spott
und Hohn, daß uns die Ohren summen wie dem Bruder
Kasperle, wenn er einen neuen Hieb sitzen hat. Doch
keine Hoffnung erfüllte sich. Wie der Vetter Martin sich sein
n
er wollte es
Ränzel packte, um wegzuziehen
heimlicher Sehnsucht nach seiner spröden Liebsten, aber
er sagte seiner Buhle nichts davon — das ließ uns so gleich¬
giltig wie der dröhnende Einbruch des tapferen Kassian, wenn
er auch den biederen Ritter Münchhausen noch so verfänglich
kopierte, ja sogar dadurch des Vetter Martins Buhle zu sich
auf seinem Schloß rennomierte. Vetter Martin empfing zum
Dank dafür einen Stich in die Brust. Und während er da hockt
und flötend den Tod erwartet, rattert draußen die Postkutsche
mit dem tapferen Kassian und Vetter Martins Buhle vorbei.
Aber wer weiß, wie lange das Buhlenglück dauern wird, denn
der tapfere Kassian hat vom Vetter Martin eine Erbschaft
mitbekommen: die Sehnsucht nach Vetter Martins Liebster ...
Das wurde vorgetragen in treu berichtender Weise,
bis es zu Ende war, und wurde in ergötzlicher Marionettenmanier
gespielt. Wer da aber meint und behauptet, daß dieses
Puppenspielchen eine im höheren Sinne witzige und künstlerisch
durchdringende Parodie auf die Komödie war, den sollte man zur
Strafe den Beweis der Wahrheit antreten lassen. Die höchste
künstlerische Idce der Menschheit, die Idee des Dramas läßt
sich durch eine Schnitzler'sche Gebärde nicht aus den Angeln
heben.
Gespielt wurde, wie im „Kleinen Theater“ nicht anders
üblich, wiederum vortrefflich und mit einem der hier dargestellten
Komödie weit überlegenen Geiste. Was dann auch noch in der
Darstellung des „grünen Kakadu“ hesonders hervortrat, die eine
Wirkung zu steigern vermochte, als ginge da oben kein mit
allen Kunstmitteln sich jagender Gegensätze aufgebautes Theater¬
stück sondern in der Tat eine Komödie in Szene, in der sich
Salle Flammenzeichen der großen Revolution vom Jahre 1780
E.
meisterhaft spiegelten.
—
box 34/10
Ausseinee aus
geaaf¬
vom:
1
□O Berliner Theater. Berlin, den 23. November.
Artur Schnitzler und Ludwig Fulda kamen an demselben
[Abend zu Wort: Der Kritiker hatte die Wahl. Wir gingen
zu Schnitzler. Fuldas „Maskerade“ ist ja schon in Wien
und Frankfurt a. M. gespielt worden, und daß das Stück
nun auch hier im Deutschen Theater den robusten Theater¬
erfolg haben werde, den es tatsächlich gesunden hat, war
vorauszusehen. Dagegen versprach man sich von dem
raffinierten Wiener Schnitzler, zumal im Rahmen eines
Eina kterabends im Reinhardtschen Theater kleine,
aber seine Ueberraschungen. Schade, es wurde in Wirklichkeit
eine kleine, wenn auch seine Enttäuschung. Das pikanteste Stück
des Abends, „Haus Delorme“ war von der Zensur noch
nicht freigegeben und wurde weggelassen, und was darnach
übrig blieb, war außer einer nicht durchweg guten Auf¬
führung des bekannten „Grünen Kakadu“ ein winziges
Novitätchen: „Der tapfere Kassian. Der Theaterzettel
nennt es ein Puppenspiel. Trotzdem, als man es in der
„Neuen Rundschau“ gedruckt las, wo es recht charmant und
witzig angemutet hat, konnte man nicht darauf verfallen,
daß die Schauspieler es auch puppenmäßig, wie an Drähten
gezogen, geben würden. Dieser Einfall blieb: dem Kleinen
Theater vorbehalten, das solche Experimente liebt,
aber diesmal kein richtiges Glück damit hatte.
Man sah eine männliche Puppe, die von einer gliebten
weiblichen Puppe (gespielt von Frau Eysoldt) Abschied nahm,
um auf eine Reise zu gehen, und man sah zwischen dieses
girrende Liebespaar, Martin und Sophie, eine kriegerisch¬
ritterliche Puppe, den tapferen Kassian, treten. Der erobert im
Nu die kleine Sophie und gewinnt dem braven Martin im
Würfelspiel alles ab und sticht ihn zum Schluß sogar tot, Durch
die Uebertreibung in der Charakteristik der Personen wirkt
dieser kleine Scherz, der mit dem Unsinn endet, daß Sophie
und Kassian aus dem Fenster springen und gerettet das
Weite suchen, gelungen parodistisch, und die absichtliche An¬
lehnung an den jentimental=schwulstigen Stil des 17. Jahr¬
hunderts, auf den das Stückchen zugeschnitten ist, gibt ihm
eine literarische Pointe. In einer Darstellung, die nicht
auch ihrerseits mit Absichtlichkeit übertreibt, würde es viel¬
leicht Glück haben.
(gnclenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausdenZaanng.
vom:
1
—E
Theater und Musik.
(Kleines Theater.)
Im Grunde genommen, war der gestrige Schnitzler¬
Abend im „Kleinen Theater“, der uns zwei neue und einen
alten Einakter bringen sollte, ziemlich entbehrlich. „Das Haus
Delorme“ war von der Zensur verboten worden, „Den tapferen
Kassian“ hätte Schnitzler sich selbst und uns schenken können,
und „Der grüne Kakadu“ zählt bereits drei Jahre, für unsere
modernen Dramen ein Alter, das meist durch nichts und nur
selten durch eine tüchtige Aufführung überschminkt werden kann,
was denn auch gestern beim „Grünen Kakadu“ eintraf.
Neu war also nur „Der tapfere Kasssian“, ein
Puppenspiel, beinahe ein Kasperleulk, wenn die Szene in
hochgezimmerter Holzbude auf taustischer Wiese stände und
den Dialog ein weniger sicherer Theatermann als Schnitzler ge¬
zimmert hätte. Doch sonst dieselbe gruselige Geschichte wie
draußen auf der Wiese, dieselben eckigen und kantigen
Bewegungen, die wie vom Schlag gerührt plötzlich stillstehen
und wie von der Tarantel gestochen ebenso plötzlich wieder los¬
arbeiten, nur daß der kräftige, knallende Pritschenschlag fehlte,
der dem Bruder Kasperle oftmals um die Ohren dröhnt oder
ihn heftig gar von der Kulisse wegfedert. Nun stand
vielleicht zu hoffen, daß der Pritschenschlag uns hier
im „tapferen Kassian“, durch gallige Sarkasmen,
aus denen Lebensweisheit wittert, versetzt würde, durch Spott
und Hohn, daß uns die Ohren summen wie dem Bruder
Kasperle, wenn er einen neuen Hieb sitzen hat. Doch
keine Hoffnung erfüllte sich. Wie der Vetter Martin sich sein
n
er wollte es
Ränzel packte, um wegzuziehen
heimlicher Sehnsucht nach seiner spröden Liebsten, aber
er sagte seiner Buhle nichts davon — das ließ uns so gleich¬
giltig wie der dröhnende Einbruch des tapferen Kassian, wenn
er auch den biederen Ritter Münchhausen noch so verfänglich
kopierte, ja sogar dadurch des Vetter Martins Buhle zu sich
auf seinem Schloß rennomierte. Vetter Martin empfing zum
Dank dafür einen Stich in die Brust. Und während er da hockt
und flötend den Tod erwartet, rattert draußen die Postkutsche
mit dem tapferen Kassian und Vetter Martins Buhle vorbei.
Aber wer weiß, wie lange das Buhlenglück dauern wird, denn
der tapfere Kassian hat vom Vetter Martin eine Erbschaft
mitbekommen: die Sehnsucht nach Vetter Martins Liebster ...
Das wurde vorgetragen in treu berichtender Weise,
bis es zu Ende war, und wurde in ergötzlicher Marionettenmanier
gespielt. Wer da aber meint und behauptet, daß dieses
Puppenspielchen eine im höheren Sinne witzige und künstlerisch
durchdringende Parodie auf die Komödie war, den sollte man zur
Strafe den Beweis der Wahrheit antreten lassen. Die höchste
künstlerische Idce der Menschheit, die Idee des Dramas läßt
sich durch eine Schnitzler'sche Gebärde nicht aus den Angeln
heben.
Gespielt wurde, wie im „Kleinen Theater“ nicht anders
üblich, wiederum vortrefflich und mit einem der hier dargestellten
Komödie weit überlegenen Geiste. Was dann auch noch in der
Darstellung des „grünen Kakadu“ hesonders hervortrat, die eine
Wirkung zu steigern vermochte, als ginge da oben kein mit
allen Kunstmitteln sich jagender Gegensätze aufgebautes Theater¬
stück sondern in der Tat eine Komödie in Szene, in der sich
Salle Flammenzeichen der großen Revolution vom Jahre 1780
E.
meisterhaft spiegelten.
—
box 34/10
Ausseinee aus
geaaf¬
vom:
1
□O Berliner Theater. Berlin, den 23. November.
Artur Schnitzler und Ludwig Fulda kamen an demselben
[Abend zu Wort: Der Kritiker hatte die Wahl. Wir gingen
zu Schnitzler. Fuldas „Maskerade“ ist ja schon in Wien
und Frankfurt a. M. gespielt worden, und daß das Stück
nun auch hier im Deutschen Theater den robusten Theater¬
erfolg haben werde, den es tatsächlich gesunden hat, war
vorauszusehen. Dagegen versprach man sich von dem
raffinierten Wiener Schnitzler, zumal im Rahmen eines
Eina kterabends im Reinhardtschen Theater kleine,
aber seine Ueberraschungen. Schade, es wurde in Wirklichkeit
eine kleine, wenn auch seine Enttäuschung. Das pikanteste Stück
des Abends, „Haus Delorme“ war von der Zensur noch
nicht freigegeben und wurde weggelassen, und was darnach
übrig blieb, war außer einer nicht durchweg guten Auf¬
führung des bekannten „Grünen Kakadu“ ein winziges
Novitätchen: „Der tapfere Kassian. Der Theaterzettel
nennt es ein Puppenspiel. Trotzdem, als man es in der
„Neuen Rundschau“ gedruckt las, wo es recht charmant und
witzig angemutet hat, konnte man nicht darauf verfallen,
daß die Schauspieler es auch puppenmäßig, wie an Drähten
gezogen, geben würden. Dieser Einfall blieb: dem Kleinen
Theater vorbehalten, das solche Experimente liebt,
aber diesmal kein richtiges Glück damit hatte.
Man sah eine männliche Puppe, die von einer gliebten
weiblichen Puppe (gespielt von Frau Eysoldt) Abschied nahm,
um auf eine Reise zu gehen, und man sah zwischen dieses
girrende Liebespaar, Martin und Sophie, eine kriegerisch¬
ritterliche Puppe, den tapferen Kassian, treten. Der erobert im
Nu die kleine Sophie und gewinnt dem braven Martin im
Würfelspiel alles ab und sticht ihn zum Schluß sogar tot, Durch
die Uebertreibung in der Charakteristik der Personen wirkt
dieser kleine Scherz, der mit dem Unsinn endet, daß Sophie
und Kassian aus dem Fenster springen und gerettet das
Weite suchen, gelungen parodistisch, und die absichtliche An¬
lehnung an den jentimental=schwulstigen Stil des 17. Jahr¬
hunderts, auf den das Stückchen zugeschnitten ist, gibt ihm
eine literarische Pointe. In einer Darstellung, die nicht
auch ihrerseits mit Absichtlichkeit übertreibt, würde es viel¬
leicht Glück haben.