III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 16

11. Der tapfere Cassian
Kleines Theater. Zum ersten Male „Der
sapfere Kassian“, ein Puppenspiel in einem Akt
von Arthur Schnitzler und „Der grüne
[Kakau“, Groteske in einem Akt ebenfalls von
[Arthur Schnitzler. Es sind zwei gänzlich ver¬
#schiedene Arbeiten, in denen am Dienstag der geistvolle
Wiener Dichter zu uns sprach. Dichter in des Wortes
Jchubad
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wahrer, hoher Bedeutung, ist er nur in dem den Ber¬
linern durch die frühere Aufführung im Deutschen
Theater schon bekannten grotesken Revolutions¬
gemälde „Der grüne Kakadu“. Den „lapferen Kassian,“
der auf den hiesigen Bühnen noch unbekannt war,
hätte ebenso gut irgend ein origineller Gelegenheitspoet als
Fastnachtsscherz verfassen können. Den Inhalt des
Puppenspiels kann man in wenige Worte zusammen¬
fassen: „Wie du mir, so ich dir“ oder „Besinnt sich der
Bräutigam, besinnt sich die Braut“. Der Dialog ent¬
hält nichts von der blendenden Eleganz, die der Schöpfer
des „Anatol“ zu entwickeln vermag, nichts von der
süßen Sentimentalität der „Liebelei“ und nichts von
der überiegenen Satire des „Grünen Kataou“. Es ist
schlichte Binsenweisheit, die, von Puppenmasken vor¬
getragen, etwas drolliger wirkt. Oft fehit den Vor=
gängen die logische Verbindung. So wird z. B.
durch nichts motiviert, warum Martins durch System
erzwungenes Spielerglück urplötzlich dem tapferen
Landsknecht Kassian gegenüber versagt, der ihm im
Spiel nicht nur Geld, Haus und Hoj abnimmt, sondern
auch das tugendsame Liebchen abspenstig macht, welches
den Martin zwar über hat und verlassen will, für
diesen aber, da es einem anderen gefällt, auch wieder
Reiz gewinnt. Schließlich beleidigt Martin Kassian.
Sie fechten. Martin fällt. Er stirbt allein gelassen,
die Flöte blasend, nachdem er noch Verfügungen über
seinen Leichnam getroffen hat. — Der laue Beifall,
den dieses Spiel bei wenigen, dem Autor blind sol¬
genden Freunden auslöste, wurde durch heftiges
Zischen unterbrochen. Den Schauspielern, Fräulein
Eysoldt (Sophie), und Herrn Lycho (Kassian) ge¬
bührt dagegen volles Lob. Herr Eckert (Martin) war
im Anfang zu wenig steif, spielte sich dann aber gut
ein. — Dem Zeitgeist des Stückes angepaßt war die
mittelalterliche Puppentheaterszenerse. — Der „Grüne
Kakadu“ hatte die elementare Wirkung einer Neuheit.
Die Korruption der französischen guten Gesellschaft der
Revolutionszeit, die zum Nervenkitzel sich in einem
elenden Kellerlokale daran ergötzte, von Schauspielern
Verbrecher markiert zu sehen und Verbrecher ihre Helden¬
taten erzählen zu hören, ist meisterlich geschildert. Wie
blank geschliffene Dolche fliegen die scheinbaren Scherz¬
worte, denen bitter einste Ueberzeugung zu Grunde liegt,
durch die Luft. Die aufgespeicherte Wut der Pöbelseele
brütet drohend in der Atmosphäre, in welcher
sich sorglos messieurs et mesdames amüsieren. Sie
lachen noch und halten es noch für Scherz, als schon
der siegreiche, mordlustige Pöbel sie rächend umringt.
Und in dieses Zeitgemälde ist die Tragödie eines
Schauspielers verwirkt, der, ohne es zu wissen, eine
Dirne zum Weibe nimmt, dessen Phantasie in künst¬
lerischer Erregung damit spielt, daß sein Weib ihn be¬
trügt und sich alle Einzelheiten und Konsequenzen dieser
Situation ausmalt, der dann erfährt, daß seine Er¬
findung Wahrheit ist und seines Weibes Liebsten er¬
schlägt. — Das Stück spielt, wie gesagt, zur Zeit der
Revolution, aber es gibt auch heute Anlaß zum
Nachdenken. Denn auch heute ergötzt sich die Welt in
der man sich langweilt, an den rohen Späßen eines
groben Gottlieb in der Kellerschenke und in Kabaretts
zum faulenden Leichnam usw., in denen oft die Typen
nicht vertrauenerweckender sind, als im „grünen Kakadu“.
Das Zusammen= und Einzelspiel auf der Bühne war
ausnahmslos glänzend, die Bühnenbilder von künstle¬
K
rischer Hand gestellt, besonders interessierend in den
großen, revolutionären Szenen, bei der die natürlich
bewegte Verteilung der Massen jast vergessen ließ, daß
es nur ein Spiel war. — Hervorragend an der Dar¬B
stellung beteiligt waren Alexander Moissi als
Henri, der betrogene Gatte, Richard Leopold als
Wirt und Karl Sauermann als Scaevola. he. 1 m