III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 18

11. Der tapfere Cassian
Kleines Theater. Juni
Arthur Schyitzler, dem der gestrige Abend im
Kleinen Theater gewidmet war, ist eine den Roman¬
tifern verwandte Natur. Wenn — um gleich den
größten von ihnen als Veispiel heranzuziehen —
einen Heinrich von Kleist wiederholt der Gedanke
des Ineinanderrinnens von Traum und Wachen,
das Traumwandeln und der Somnambulismus, be¬
schäftigt haben, so läßt ihn das Problem der Wirk¬
lichkeit und des Scheins, des Spiels und Lebens
nicht aus dem Bann. Immer wieder nähert er sich
ihm, um ihm mit Künstlerhand neue Gestalt zu
verleihen.
Freilich was ihn so anzieht, ist nichts Ge¬
ringeres als das Problem der Kunst. Goethe sagt
einmal in der tiefsten Ertlärung, die für den Ur¬
sprung der dramatischen Dichtung je gegeben worden
ist, daß dieses Leben für unsere Seele viel zu kurz
sei, und daß der Dramatiker es deshalb erweitere,
indem er seine Existenz über die vieler Menschen
aus allen Zeiten ausdehne, mögen sie Könige, Ritter,
Damen, Strolche oder Dirnen sein. Daß das
gleiche auf den Schauspieler zutrifft, versteht sich
ohne weiteres. Also Spiel geben sie statt Leben,
Schein für Wirklichkeit. Aber wie weit ist das über¬
haupt möglich, müssen nicht in der Wirklichkeit die
Wurzeln des Baumes liegen, der seine Blätter im
luftigen Spiele wiegt? Freilich, hierdurch gewinnt
ja die Kenntnis der Schicksale und der Persönlichkeit
eines Dichters soviel Wert für die Erklärung seiner
Werke, und umgekehrt gewinnen wir bei ihm, wie
bei dem Schauspieler, aus ihrem „Spiel“ Einblick;
in ihre menschliche Eigenart. Wer zieht die Grenze,
wo die Maske im Kunstwerk durchsichtig wird oder
fällt? Ja weiler, ist das Spiel eines Dramatikers
oder Schauspielers nicht sein wahres geistiges Leben,
während er sonst über sich und die Wirtlichkeit seines
Seins wenig zu berichten weiß? Und sagen wir
uns alle nicht oft im Spiel und Scherz Wahrheiten,
an die wir im Ernst, in der Wirklichkeit kaum zu
rühren wagten?
Es ist also kein Wunder, daß dies Problem
gerade einen Dichter unablässig beschäftigt, und
daß er wieder auf die Welt der Kunst, das Schau¬
spiel, die Schauspieler oder doch den Kunsigenuß als
natürliches Milien verfällt, um seinen Gedanken
Ausdruck zu geben. Das trifft auf beide Stücke zu,
die wir gestern im Kleinen Theater sahen
„den grünen Kakadu und „den
ren Kassian, das gilt auch
tapfe
von anderen, wie etwa „der Frau mit dem
„Der grüne Kakadu“ ist wohl eins der
Dolch“.
bestgemachten Stücke, die wir haben, vielleicht über¬
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S
haupt das besie in dieser Hinsicht. Wie der Dichter
hier Spiel und Leben verstrict, bis er seinen Per¬
sonen den Boden unter den Füßen wegzieht, und
jeder einmal irrt, indem er Schein für Wirklichkeit
oder Wirklichkeit für Schein nimmt — wie der Schau¬
spieler Heuri aus einem leisen, leisen Argwohn
gegen seine Frau eine Rolle erdichtet, und diese er¬
all das hat Schnitz¬
dichtete Rolle Wirklichkeit ist —
ler mit feinstem Geist meisterhaft durchgeführt.
Die gestrige Neuheit „Der tapfere Kassian“ ist
(.n Puppenspiel. Was uns Schnipler hier geben wollte,
war wohl wieder die Wirklichkeit hinter scheinbarem
Spiel. Er läßt seine Figuren sich wie steife Pup¬
pen bewegen und automatisch reden. Zwei Lieb¬
Faber treten in dem Stück auf, der tapfere Kassian
und der schlichiere Martin, dem seine Sophie von
Kassian abgejagt wird. Schnitzler wollte wohl die
Urtypen der dramatischen Kunst hinstellen. Piötzlich
sollte uns das Schwanken ankommen, als ob sich
hinter diesen drei kindischen Figuren die ganze Welt
unseres Schauspiels, ja unseres Lebens berge, als
ob dies Spiel wirklicher sei, als alle Wirklichkeit.
Ist ihm das gelungen? Meiner Ansicht nach nur rein
verstandesmäßig, das aber besagt in der Kunst
wenig; mein Empfinden ist nicht schwankend ge¬
worden. Ich sah nichts anderes vor mir, als eine
barocke und lustige Parodie des Puppenspiels, einen
Fastnachtsscherz.
Die Darstellung beider Stücke war gestern
meisterhaft. Im „grünen Kakadu“ stand das Zu¬
sammenspiel auf so hoher Stufe, daß es unmög¬
lich ist, einzelne Schauspieler hervorzuheben, ohne
fast den ganzen Theaterzettel abzuschreiben¬
Alexander Moissi spielte zum ersten Male
am Kleinen Theater eine führende Rolle, die frei¬
lich in dieser Umgebung seine Kräfte noch etwas
Im „tapferen Kassian“ brachten
überstieg.
Gertrud Eysold und Alexander Ekert
den Stil des Puppenspiels vortrefflich zum Aus¬
druck.
Während nach der Neuheit der Beifall des
Publikums schwach war, ruhte es nach dem „grünen
Kakadn“ mit seinen stürmischen Beifallskundgeben¬
gen nicht früher, als bis der Dichter endlich nach¬
gab und jetzt noch vor der Rampe erschien. O. A. „