11. Der tapfere Cassian
Rersburg.
Heiml, Curistiab
(Quellenangabo ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: e &
23T. e
vomi:
GT
Kleines Theater.
„Der tapfere Kassian“. Ein Puppenspiel in einem Akte
von Arthur Schnitzler. — „Der grüne Kakadu“. Groteske
in einem Akte von demselben. Erste Aufführung am
22. November.
Das einaktige Puppenspiel vom „tapferen Kassian“
wirkt schon beim Lesen nicht sonderlich stark, auf der Bühne versagte
es gestern vollständig. Diese Persiflierung des alten Puppenspiels
mit seiner naiven Psychologie und derben Handlung, der es
auf ein halbes
Dutzend Unwahrscheinlichkeiten nicht an¬
kommt, leidet vor allem daran, daß sie nicht lustig genug ist.
So sucht man unwillkürlich, weil das Stück an sich nicht
befriedigt, einen sogenannten tieferen Sinn, aber das Suchen wird
nicht belohnt. Und bald genug beginnen die steifen puppenhaften
Bewegungen und die Puppenmasken der Darsteller uns albern vor¬
zukommen. Die empfindsame Schlußszene, in der plötzlich der Tod
als das große Symvol der Wirklichkeit das Spiel zum Ernst ver¬
wandelt, kommt auf der Bühne auch nicht recht zur Wirkung. Kurz,
trotz der stilgerechten Ausstattung und dem stilgerechten Spiel von
Frau Eysold und den Herren Ekert und Licho wurde das Stück
abgelehnt.
Um so wärmer war die Aufnahme, die der bekannte Einakter
„Der grüne Kakadu“ fand. Das Stück gehört in seiner glän¬
zenden Mache zu den wirkungsvollsten Einaktern, die wir in der
#111
modernen Literatur besitzen, und erhält den Zuhörer ununterbrochens1
in Spannung. Für den Regisseur bietet es die dankbarsten
Aufgaben. Von den verschiedenen Aufführungen, die es in
Berlin schon erlebt hat, schien uns die gestrige des „Kleinen
Theaters“, die beste. In den Einzelleistungen waren hier
und da die Aufführung des Deutschen und des Schiller=Theaters
überlegen, im Zusammenspiel aber stand diese hier am höchsten. Aus
der langen Reihe der Darsteller sei ein Neuling, Herr Moissi
genannt, der den Henri spielte. In diesem jungen Künstler scheint
endlich einmal wieder der deutschen Bühne ein echter „jugendlicher
Liebhaber“ heranzuwachsen. Zum Schluß gab es eine stürmische Hul¬
digung für den anwesenden Dichter, die ihn wohl für die Ablehnung
G. Z.
des Puppenspiels trösten sollte.
box 34/10
Vertretungen
Ia Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-vork,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
vom:
G d
2. So hulle am Dienstag abend im Kleinen Theater
sin dreigeteilter Arthur=Schnitzler=Abend werden sollen.
Wie aber vorher in den Zeitungen zu lesen war, verbot die
Zensurbehörde eines der drei Stucke, so daß das Vergnügen
namentlich für diejenigen erheblich gekürzt wurde, welche in
der Erwartung auf stark gewürzte Speisen gekommen waren.
Ueberdies kannte man das Nennenswerteste der zwei Einakter,
die Auftritte in der Schenke: Der grüne Kakadu bereits.
Dieser einer genialen Großzügigkeit nicht entbehrende Abschnitt aus
dem Beginn der französischen Revolution von 1789 nennt sich mit
starker Absichtlichkeit eine „Groteske“, und die Behandlung des
Stoffes ist demgemäß eine grotesk ironische. Dekadente
Aristokraten des Ancien Regime lassen sich ohne Ahnung und
Achtung des Abgrundes, dem sie entgegentaumeln, in der
Schenke des ehemaligen Theaterdirektors Prosper eine brutale
Komödie von herabgekommenem Gesindel vorspielen. Ge¬
gaukeltes und wirkliches Verbrechen greifen unablässig
ineinander; und selbst, als mit der Niederwerfung der Bastille
der Sturm losgebrochen ist, wollen die vornehmen Gäste im
Grünen Kakadu immer noch an eine echt
spielte Komödie glauben. Der Schauspieler Henri, der sich
eben mit einer notorischen Dirne verheiratet hat, mimt
den eifersüchtigen Gatten, der einen der Galane seines Weibes
jählings ermordet, so überzeugend, daß die Genossen Henris
jene Tat für wirklich geschehen halten. Da tritt der angeblich
Getötete, der Herzog von Cadignan, leibhaftig ins Lokal.
Gewaltiges Staunen. Bis Henri, erst jetzt erkennend, daß
der Herzog einer der zahlreichen Bevorzugten der jungen
Frau Henris sei, den Aristokraten nun de facto nieder¬
macht. Zu dem Lärm mischt sich das Freiheitsgebrüll der
wütenden Menge auf der Straße. Die Bastille ist eben ge¬
fallen. Wildes Getose, in welches die Gemahlin eines der
anwesenden Edelleute, die allen diesen Vorgängen mit
einem perversen Entzücken beiwohnt händeklatschend
einstimmt.
Sie hat einen Tisch bestiegen und schreit
unablässig: „Es lebe die Freiheit!“ während auf einem
anderen Tische ein Gauner und Dieb steht und aus der ge¬
stohlenen Kasse des Wirtes die Münzen unter die heulende
Masse wirft. Mit dieser frechen Gegenüberstellung wird die
äußerste ironische Konsequenz gezogen: auf der einen Seite die
mit dem viehisch losgelassenen Pöbel fraternisierende Marquise,
auf der anderen das fessellos gewordene Verbrechen!
Schnitzler will sich offenbar auf die höhere Warte des über¬
legenen Satirikers stellen, dem das freiheitbrüllende Maul¬
heldentum als nicht minder geißelns= und verachtenswert gilt,
denn die frivole und entsittlichte Aristokratie des wankenden
bourbonischen Königtums. An kühnen Antithesen und scharf
geschliffenen Aphorismen, den Zweck des Ganzen zu erläutern
und zu erreichen, ist auf beiden Seiten kein Mangel. Und
das alte Bajazzo=Motiv, daß das zur Erheiterung getriebene
Spiel plötzlich blutige Wirklichkeit wird, ist, auch rein
dramatisch angesehen, mit treffenden Kontrasten und
kraftvoller Steigerung behandelt und durchgeführt. Vor längerer
Zeit hat bereits das Deutsche Theater eine Aufführung dieses
Grünen Kakadu gebracht. Wir kennen jene Darstellung nicht,
können also einen Vergleich mit der des Kleinen Theaters
nicht anstellen. Immerhin zeichnete sich diese durch feuriges
Temperament aus; und der ironische Ton, das parodistische
Gehaben der Komödianten und schließlich der Uebergang zu
wilder Tat wurden sicher und wirksam getroffen. Die Haupt¬
figur unter den Aristokraten, den Herzog von Cadignan, gab
Herr v. Winterstein, den überpathetischen Schauspieler
Henri Herr Moiss
Konnte man sich den ersten
leichter, preziöser und geistreicher vorstellen, so entwickelte
S
der zweite ein höchst beachtenswertes Maß einer für die starke
Leidenschaft fruchtbaren Kunst. Man darf der weiteren Ent¬
wicklung dieses Herrn Moissi mit Erwartung zuschauen. Fräulein
Eysoldt als Schauspielerin und Hetäre Léocadie und Fräulein
Durieux als sensationsbedürftige Marquise hatten zu kleine
Rollen, um ihre glänzenden Lichter völlig leuchten lassen zu
%
können. Die vielen sonstigen?
Rersburg.
Heiml, Curistiab
(Quellenangabo ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: e &
23T. e
vomi:
GT
Kleines Theater.
„Der tapfere Kassian“. Ein Puppenspiel in einem Akte
von Arthur Schnitzler. — „Der grüne Kakadu“. Groteske
in einem Akte von demselben. Erste Aufführung am
22. November.
Das einaktige Puppenspiel vom „tapferen Kassian“
wirkt schon beim Lesen nicht sonderlich stark, auf der Bühne versagte
es gestern vollständig. Diese Persiflierung des alten Puppenspiels
mit seiner naiven Psychologie und derben Handlung, der es
auf ein halbes
Dutzend Unwahrscheinlichkeiten nicht an¬
kommt, leidet vor allem daran, daß sie nicht lustig genug ist.
So sucht man unwillkürlich, weil das Stück an sich nicht
befriedigt, einen sogenannten tieferen Sinn, aber das Suchen wird
nicht belohnt. Und bald genug beginnen die steifen puppenhaften
Bewegungen und die Puppenmasken der Darsteller uns albern vor¬
zukommen. Die empfindsame Schlußszene, in der plötzlich der Tod
als das große Symvol der Wirklichkeit das Spiel zum Ernst ver¬
wandelt, kommt auf der Bühne auch nicht recht zur Wirkung. Kurz,
trotz der stilgerechten Ausstattung und dem stilgerechten Spiel von
Frau Eysold und den Herren Ekert und Licho wurde das Stück
abgelehnt.
Um so wärmer war die Aufnahme, die der bekannte Einakter
„Der grüne Kakadu“ fand. Das Stück gehört in seiner glän¬
zenden Mache zu den wirkungsvollsten Einaktern, die wir in der
#111
modernen Literatur besitzen, und erhält den Zuhörer ununterbrochens1
in Spannung. Für den Regisseur bietet es die dankbarsten
Aufgaben. Von den verschiedenen Aufführungen, die es in
Berlin schon erlebt hat, schien uns die gestrige des „Kleinen
Theaters“, die beste. In den Einzelleistungen waren hier
und da die Aufführung des Deutschen und des Schiller=Theaters
überlegen, im Zusammenspiel aber stand diese hier am höchsten. Aus
der langen Reihe der Darsteller sei ein Neuling, Herr Moissi
genannt, der den Henri spielte. In diesem jungen Künstler scheint
endlich einmal wieder der deutschen Bühne ein echter „jugendlicher
Liebhaber“ heranzuwachsen. Zum Schluß gab es eine stürmische Hul¬
digung für den anwesenden Dichter, die ihn wohl für die Ablehnung
G. Z.
des Puppenspiels trösten sollte.
box 34/10
Vertretungen
Ia Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-vork,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
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vom:
G d
2. So hulle am Dienstag abend im Kleinen Theater
sin dreigeteilter Arthur=Schnitzler=Abend werden sollen.
Wie aber vorher in den Zeitungen zu lesen war, verbot die
Zensurbehörde eines der drei Stucke, so daß das Vergnügen
namentlich für diejenigen erheblich gekürzt wurde, welche in
der Erwartung auf stark gewürzte Speisen gekommen waren.
Ueberdies kannte man das Nennenswerteste der zwei Einakter,
die Auftritte in der Schenke: Der grüne Kakadu bereits.
Dieser einer genialen Großzügigkeit nicht entbehrende Abschnitt aus
dem Beginn der französischen Revolution von 1789 nennt sich mit
starker Absichtlichkeit eine „Groteske“, und die Behandlung des
Stoffes ist demgemäß eine grotesk ironische. Dekadente
Aristokraten des Ancien Regime lassen sich ohne Ahnung und
Achtung des Abgrundes, dem sie entgegentaumeln, in der
Schenke des ehemaligen Theaterdirektors Prosper eine brutale
Komödie von herabgekommenem Gesindel vorspielen. Ge¬
gaukeltes und wirkliches Verbrechen greifen unablässig
ineinander; und selbst, als mit der Niederwerfung der Bastille
der Sturm losgebrochen ist, wollen die vornehmen Gäste im
Grünen Kakadu immer noch an eine echt
spielte Komödie glauben. Der Schauspieler Henri, der sich
eben mit einer notorischen Dirne verheiratet hat, mimt
den eifersüchtigen Gatten, der einen der Galane seines Weibes
jählings ermordet, so überzeugend, daß die Genossen Henris
jene Tat für wirklich geschehen halten. Da tritt der angeblich
Getötete, der Herzog von Cadignan, leibhaftig ins Lokal.
Gewaltiges Staunen. Bis Henri, erst jetzt erkennend, daß
der Herzog einer der zahlreichen Bevorzugten der jungen
Frau Henris sei, den Aristokraten nun de facto nieder¬
macht. Zu dem Lärm mischt sich das Freiheitsgebrüll der
wütenden Menge auf der Straße. Die Bastille ist eben ge¬
fallen. Wildes Getose, in welches die Gemahlin eines der
anwesenden Edelleute, die allen diesen Vorgängen mit
einem perversen Entzücken beiwohnt händeklatschend
einstimmt.
Sie hat einen Tisch bestiegen und schreit
unablässig: „Es lebe die Freiheit!“ während auf einem
anderen Tische ein Gauner und Dieb steht und aus der ge¬
stohlenen Kasse des Wirtes die Münzen unter die heulende
Masse wirft. Mit dieser frechen Gegenüberstellung wird die
äußerste ironische Konsequenz gezogen: auf der einen Seite die
mit dem viehisch losgelassenen Pöbel fraternisierende Marquise,
auf der anderen das fessellos gewordene Verbrechen!
Schnitzler will sich offenbar auf die höhere Warte des über¬
legenen Satirikers stellen, dem das freiheitbrüllende Maul¬
heldentum als nicht minder geißelns= und verachtenswert gilt,
denn die frivole und entsittlichte Aristokratie des wankenden
bourbonischen Königtums. An kühnen Antithesen und scharf
geschliffenen Aphorismen, den Zweck des Ganzen zu erläutern
und zu erreichen, ist auf beiden Seiten kein Mangel. Und
das alte Bajazzo=Motiv, daß das zur Erheiterung getriebene
Spiel plötzlich blutige Wirklichkeit wird, ist, auch rein
dramatisch angesehen, mit treffenden Kontrasten und
kraftvoller Steigerung behandelt und durchgeführt. Vor längerer
Zeit hat bereits das Deutsche Theater eine Aufführung dieses
Grünen Kakadu gebracht. Wir kennen jene Darstellung nicht,
können also einen Vergleich mit der des Kleinen Theaters
nicht anstellen. Immerhin zeichnete sich diese durch feuriges
Temperament aus; und der ironische Ton, das parodistische
Gehaben der Komödianten und schließlich der Uebergang zu
wilder Tat wurden sicher und wirksam getroffen. Die Haupt¬
figur unter den Aristokraten, den Herzog von Cadignan, gab
Herr v. Winterstein, den überpathetischen Schauspieler
Henri Herr Moiss
Konnte man sich den ersten
leichter, preziöser und geistreicher vorstellen, so entwickelte
S
der zweite ein höchst beachtenswertes Maß einer für die starke
Leidenschaft fruchtbaren Kunst. Man darf der weiteren Ent¬
wicklung dieses Herrn Moissi mit Erwartung zuschauen. Fräulein
Eysoldt als Schauspielerin und Hetäre Léocadie und Fräulein
Durieux als sensationsbedürftige Marquise hatten zu kleine
Rollen, um ihre glänzenden Lichter völlig leuchten lassen zu
%
können. Die vielen sonstigen?