III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 32

11. Der tapfere Cassian
Es sind seit dem letzten Bericht über Berliner Urauf¬
führungen neue Stücke genug vor die kritischen Zuhörer ge¬
treten, aber Gaben von unzweifelhaftem literarischen Werte,
Dichtungen, die aussähen, als stellten sie eine dauernde Be¬
reicherung unserer Literatur dar, vermissen wir unter der
Fülle der Neuerscheinungen. Drei von den vielen Autoren,
die in diesem verflossenen Zeitabschnitt die Wonnen und
Qualen eines Premieren=Abends zu durchkosten hatten, ge¬
hören wenigstens zu denen, die man für befähigt hielt, bezw.
hält, Werke von mehr als Tagesdauer zu schaffen, aber für
diesmal haben sie alle drei (Joseph Ruederer, Arthur Schnitz¬
ler, Max Dreyer) die Erwartungen nicht ers
Der Münchener Ruederer hatte sich in seinem ersten
größeren dramatischen Werk, „Die Fahnenweihe“ das wir
vor etwa 7 Jahren in einer literarischen Vormittagsvorstellung
kennen lernten, als ein satirisches Talent gezeigt, das psy¬
chologischen Scharfblick und treffenden Witz mit einer respek¬
tablen Kraft der Menschengestaltung verband. Dagegen war
schon damals ein ausgesprochener Hang zur Breite bemerkbar,
der dem Dramatiker schlecht zu Gesicht steht. In seinem
neuesten Werk, „Die Morgenröte“ treffen wir dieselben Vor¬
züge, aber auch dieselben Fehler. Das Philistervolk der Bier¬
stadt im Revolutionstaumel zu zeichnen, mußte einen Sati¬
riker reizen, und der Gegensatz zwischen der rücksichtslosen
Individualität einer Lola Montez und den aus ihrer Ruhe
aufgescheuchten wütend gewordenen Spießbürgern hatte na¬
türlich etwas sehr Verlockendes an sich. Aber aus diesem
Gegensatz nun eine Komödie zu entwickeln, d. h. eine ein¬
heitliche „komische Idee“ zu finden und aus ihr heraus eine
„komische Handlung“ herauswachsen zu lassen, dieser eigen¬
tümlichen Aufgabe ist Ruederer nicht gewachsen gewesen. Sein
Stück hat nichts im höchsten künstlerischen Sinne Symbolisches
an sich, es schildert mit sorgfältiger Detailmalerei den be¬
sonderen Einzelfall und läßt die Ereignisse nicht sowohl or¬
ganisch sich entwickeln, sondern folgt lediglich der Geschichte.
So kommt es, daß wir die Philister mit ihrer „saudummen
Revalation“ siegreich und Lola Montez unterliegen sehen,
was die Geschichte verlangt, während die künstlerisch notwendige
Entwicklung eigentlich gerade das Unterliegen der Philister
gefordert hätte; denn, was garnicht verwunderlich, die Liebe
des Autors gehört der Tänzerin, die mit der absoluten Sou¬
veränetät einer geborenen Herrscherin die Menschen nach ihrem
Willen durcheinanderwirbelt. Zur beherrschenden Gestalt
aber ist darum die Lola doch nicht geworden, sie ist eine
Episodenfigur geblieben. Der „Held“ im technischen Sinne
ist der Münchner Bierphilister, und die beste Szene ist die,
wo sich der biedere Salzstößer und Landtagsabgeordnete
Singlspieler an die Spitze der Revolutionäre stellt mit der
schlagenden Motivierung: „Der Mensch muß a Büldung ham!“
In den Niederungen der Spießerseele findet der Spötter
Ruederer reiche Beute, und nicht minder glücklich ist er in
der Schilderung des Zeitkolorits. Zum Satiriker großen!
Stils hat er nicht das Zeug. Ein Mann von eigener fester
und umfassender Weltanschauung steht hinter dieser Lolal
Montez=Komödie nicht.
Was Arthur Schnitzler mit seiner Puppenkomödie vom
„Tapfren Kassian“ will, ist schwer zu sagen. Das alte Thema der
wankelmütigen Frau, die Hand in Hand mit dem einen
Mann schon dem anderen zärtlich zulächelt wird hier ins
Marionettenhafte umstilisiert und erhält eine echt Schnitzlersche
Wendung dadurch, duß auch der Mann schon halb auf
dem Wege zu einer anderen Geliebten ist. An sich ist das
kein übler Komödienstoff: aber warum aus den Gestalten
dieser Komödie Drahtpuppen (im eigentlichen Sinne des
Wortes) machen? Warum für das Ganze die Scenerie einer
großen Puppenstube wählen und die Gestalten mit den grellen
Farben des Puppenspiels schmücken und mit steifen Mario¬
nettenbewegungen agieren lassen? Der Sinn dieser Idee ist
mir nicht klar geworden. Lustiger wird die Sache dadurch
nicht, denn Schnitzler hat nicht jenen grotesken Humor, der
allein ein solches Spiel erträglich machen könnte. Das Stück
durfte also nicht der Aufführung.
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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausßühng und Wolt, Berlin
vom: #set
Das Kleine Theater veranstalten am 22. November einen Schnitzlerabend. Von
den beiden Einaktern, die an diesem Tage ihre Uraufführung erleben wa der eine,
„Haus Delorme“, die mit persönlichen Anzüglichkeiten etwas reichlich durchsetzte Tragikomödie
eines Wiener Schauspielerheims, dem Rotstift der Zensur in seiner „Gänze“ zum Opfer gefallen.
Der andere, die Burleske „Der tapfere Kassian“, wurde vom Publikum mit eisigem Schweigen
abgelehnt, obgleich die Darsteller (Alexander Ekert, Gertrud Ersoldt, Adolph Edgar Licho,
Richard Großmann) den marionettenhaften Charakter ihrer Rollen virtuos durchhielten. Diese
jüngste Belebung des miles gloriosus mag auch in den Augen des Dichters nicht mehr als
einer unbesorgten Lanne Rind sein. Das Kleine Theater erinnerte sich wieder einmal seiner
„Schall und Rauch“=Vergangenheit. An einem jener zwanglos lustigen Abende wäre der Scherz
zweifellos freundlicher aufgenommen worden als heute, wo wir auf den Brettern des Lindensaals
Strindbergs „Fräulein Julie“, Gorkis „Nachtafpl“ und Hofmannsthals „Elektra“ zu schauen uns
gewöhnt haben. So diente das Stückchen nur als Folie für die sorgsame Neueinstudierung der
Revolutionsgroteske „Der grüne Kakadu“.*) Das Stück dürfte zu dem wenigen Bleibenden aus
der Dramenproduktion des letzten Jahrzehnts gehören, wenn es auch immer Kaviar fürs Dolk
bleiben wird. Das ineinander Ueberfließen von Spiel und Wirklichkeit, von Wahrheit und Lüge,
die blitzartige Beleuchtung von Menschenschicksalen auf welthistorischem Hintergrunde, wie es
dichterisches Empfinden im Bunde mit virtuoser Cechnik in diesen Scenen zusstande gebracht hat,
sichert diesem Werke eine Sonderstellung. Der Vergleich der Reinhardtschen Aufführung mit der
weiland im Deutschen Theater, in deren Mittelpunkt Josef Kainz' faszinierende Leistung als
Schauspieler Heurp stand, würde im einzelnen manches Plus zu Gunsten der letzteren geben.#
eim stärksten wirkte diesmal Cilla Durieur' bis in die Eingersvitzen echte ververse Utarquise.?
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Ausschnitt aus: R 2
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Eine dramatische Dichtung, die ich aufrichtig und rückhaltlos
bewundere — zu meiner Freude sehe ich, daß diese hohe Meinung
von dem Kritiker der Schlesischen Zeitung geteilt wird — Schnitzlers
„Grüner Kakadu“, diese in einen kurzen Akt zusammengepreßte,
packende und erschütternde kulturgeschichtliche Charaktertragödie,
hat nun auch in einem dritten Theater Berlins, dem Kleinen
Theater, Unter den Linden, die Probe auf seine dramatische Gewalt
und Wirkungskraft glänzend bestanden. Weniger wollte das dem
seltsamen „Puppenspiele „Der tapfere Cassian“ von demselben
Autor gelingen. Man wußte nicht recht, was der Dichter mit dieser
grotesken Fastnachts=Puppenkomödie eigentlich gewollt und gemeint
habe, in der Frau Eysoldt übrigens sich sehr geschickt und munter
in den vorgeschriebenen Puppenzustand zu versetzen und ihm
entsprechend sich zu bewegen und zu agieren verstand.
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