III, Einakter 11, Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 34

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11. Der tanfere Gassian
ser wird eines der sehr wenigen Stücke sein, die aus den zwei letzten! Prospère bei weitem nicht die farbige Detailfülle Hans Fischers,
aber in seiner steifen ausbildungswerten Eigenart steckt eine
Dekaden deutscher Dramatik bleiben werden. Ich glaube, das
usik.
Wienertum hat hier das höchste gegeben, was es zu geben ver## stilistische Kraft, die der unterdrückten Wut des Spelunkenwirts
#eit unheimlicheren Ausdruck leiht. Im übrigen war Fischer viel
mochte: seine Selbstkritik. Auch die stärksten Bewunderer haben
mehr. Wirt, Leopold viel mehr Schmierenvater, und ebenso ließ man
bisher in diesem mit vollendetstem Theatersinn gefügten Akt nichts
antentums.
seine ganze Truppe absichtsvoll komödiantenhaft wirken. Diese
gesehen als ein besonders geschicktes Spiel des Wiener Tragöden
Schmieranten waren so minder schauerlich als die realistischen
und bedeutende
— esist aber die Tragödie des Wiener Spieler¬
Pseudo=Verbrecher im „Deutschen Theater“ aber sie gaben eine
gefahr halten. Nicht,
tums. Es ist die Dekadence, die sich selbst erkennt und sich zu
bessere Folie für das Auftreten des guten Schauspielers Henri ab.
Wollte man aber
der Gesundheit großer Kunst erhebt, indem sie ihren eigenen Unter¬
Den spielt Herr Moissi, in dem vielleicht das geniale Tempera¬
ine bedenkliche Kon¬
gang verkündet. Was Hofmannsthal in seinem „Tor und Tod“
ment steckt, dessen beflügelnder Kraft das Reinhardtsche Ensemble
klistischer Banausen.
lyrisch gab, die Götzendämmerung des reinen Aesthetentums“, hier
sehr bedarf. Man pflege und hüte ihn! Als Henri hält er den
tum mit dem großen
ist es mit dramatischer Wucht gestaltet: der Mann, dem die Kunst
Vergleich mit Kainzens Subtilität natürlich noch nicht aus. Aber
hmmenhängt. Diese
zur Welt und das Leven des Leidens und Handelns ein Theater
er wirkte echt und stark und wußte für Henris komödiedurchtränktes
in dem nicht umzu¬
i Mann das ganze voller Zuschauer und Spieler ward — der Mann wird erschlagen,
Leben und seine lebendurchtränkte Komödie sicher unterscheidende
von der furchtbaren, wirkliches erzeugenden Wirklichkeit, er erstickt
Töne zu finden. Das dritte: die furchtbare Koinzidenz von Leben und
n tiefer veranlagten
in seinem lustlosen Raum, verhungert bei seinen goldenen Broten.
kionsphilosophie ver¬
Komödie kam nicht gleich stark heraus—vie eicht nur, weil der Re¬
Die Welt muß zu Grunde gehen, in der selbst dem Besten sein
Ehenlassen lehrt, weil
gisseur Moissi hilflos im ungebändigten Massengeheul ertrinken ließ.
Heiligstes nicht zu schade ist, einen starken Theatereffekt daraus zu
erische Genießertum,
Und welcher Widersinn ließ den Henri am Schluß in die Freiheits¬
münzen. Der Schauspieler Henri ist der Beste, in ihm ist noch eine
stinkte über die ethi¬
rufe einstimmen — ihn, den Zerbrochenen, das Opfer!?! Dieser
Sehnsucht nach Leben und Schaffen auf fruchtbarer Ackererde, mit
itigen muß, ist klar.
kleine Zug verdreht den ganzen Sinn des Stückes, in dem die Revo¬
naiver Inbrunst glaubt er, sich aus einer allen bereiten Dirne eine
tragischer Ergriffen¬
lution niemals als Führerin zu neuem Leben erscheint, sondern
treue Gefährtin machen zu können. Aber das Pathos des Berufs¬
aktiver Leidenschaft,
nur als düstere Begleitmusik eines großen Zusammenbruchs, als
deklamators verfälscht seine Sehnsucht, das bessere Wissen seiner
ten leben, so steigt
ein zorniges Mitschwingen der beleidigten Natur, nicht anders als
zwiespältigen Seele vergiftet seine gläubige Naivität. Und wie er
aus ihren Gedichten,
im „König Lear“ das Unwetter auf der Heide.
nun, sich und die andern aufreizend zu durchschauern, die tiefste
Julius Bab.
schon zum guten Teil
Furcht seiner Seele spielt, wie er vormimt, er habe seinen fein¬
m Maße den talent¬
Neues Königliches Schauspielhaus. Lubliner, Sardon, Otto
sten verstehendsten Gönner, den Herzog, bei der Geliebten ertappt
hur Schnitzler.
Ernst, Ernst von Possart — das sind die stolzen Namen, die Herr
und ermordet — da rächt sich die geschändete Wahrheit. Das Ge¬
„ 70
rggn
von Hülsen als Erzieher des deutschen Volkes zu künstlerischer
Aspielte wird wirklich — Henri, der Rousseausche Träumer, ist zum
hren lieh, ist recht 9
Kultur die zeitgenössische Dichtung am Berliner Hoftheater reprä¬
Mörder geworden; der Herzog, der feinste Darsteller der alten
nst, sendern „Kunst¬
sentieren läßt. Eine Umfrage: „Wie kann man unter Vermeidung
Kultur, der mit vierundzwanzig Jahren überreife, liegt ermordet,
die auf die Barock¬
aller künstlerischen Produktion das moderne Theatergewerbe in
eine Marquise erregt ihre lustverbrauchten Nerven an dem Anblick
er grotesken zügellos
seiner gröbsten Talentlosigkeit und verlogensten Charlatanerie
seines Blutes. Diese Welt steriler Genußsucht, in der ein toll¬
Eschmack, ihrem unge¬
repräsentieren?“ hätte, glaube ich, keine bessere Liste zu Tage
befreiter Spieltrieb Künstler und Strolche, Edelfrauen und Dirnen,
heinsüßen Sentimen¬
fördern können. Aber die „Andromache“ des Münchener Hof¬
wüst durcheinander gewirrt und so die Basis des Lebens, die Per¬
hrer hölzern zimper¬
theaterintendanten, die man uns am Sonnabend aufbürdete, ist
sönlichkeit, erschüttert hat, bricht unter dem Donner der Revolution
Eler aufs geistreichste
[bisher (des Kommenden sind wir gewärtig!) das stärkste. Eine
Die tief innerliche Notwendigkeit, mit dem
zusammen. —
Epikuräertum etwas
sinn= und gefühllose Moritat, die sehr schlechte Jamben und noch
hier aus dem dargestellten Lebenszustande die Katastrophe heraus¬
keit jener Welt ver¬
schiechteres Kopieren klassischen Stils, nicht weniger geschmacklos,
wächst, hat in neuer deutscher Dramatik nur etwa in dem gewal¬
Zu den Elementen des
aber noch viel langweiliger machen. Das ganze wäre unerträg¬
tigen Schlußalt des „Erdgeist“, ihres Gleichen. Dies große Selbst¬
it südlicheren Wesens
lich gewesen, wenn nicht Frl. Lindners prächtige swenn auch, wie ich
gericht der Wiener Dekadence wird viele ihrer feinsten Spiele über¬
Pomp als Lohenstein
fürchte, nicht ganz freiwillige) Komik diese rätselhafte Zwecklosigkeit
dauern.
nEigen=menschlichem
zur Höhe heiterer Parodie gehoben hätte. — Als Schmerzensgeld
Der Eindruck der Neueinstudierung hatte schwer mit der Er¬
lich marionettenhaft¬
zahlte man uns eine Neueinstudierung der „Gelehrten Frauen“,
innerung an die erste Brahmsche Aufführung zu ringen. Von da¬
daß die Zuschauer,
die neben viel mittelmäßigem und einigem Schlechtem drei schau¬
mals war nur Herr von Winterstein geblieben, der für den Herzog
Stilwitz waren, sich
spielerische Kostbarkeiten bot: Sollmers Chysal, Nuscha Butzes
melancholische Vornehmheit, aber nicht jenes überfeine mürbe Ari¬
soldt und Licho ganz
Philowietl und die Belise der Schramm. Trotzdem werden auch die
stokratentum hat, mit dem später Friedrich Kayßler die Rolle
Kassian“ fiel glatt
enragiertesten Moliéreschwärmer die Neueinstudierung dieses viel¬
meisterte. Der renommistische Agitator, einst Reinhardts beste Rolle,
gegebenen Stückes nicht als Heldentat ansehen für eine Bühne, die
grüne Kakadu“ und der von Rittner her unvergeßliche sentimentale Strolch, wur¬
seit Jahr und Tag große Meisterwerke germanischer Kunst verspricht
diert und wieder be¬ den diesmal nur leidlich dargestellt, wogegen die perverse Wildheit
— und vorenthält: „Antonius und Kleopatra“ die „Penthesilea" und
glaube „Der grüne der Marquise noch keinen vollendeteren Ausdruck gefunden hat und
Bb.
ufnahme; ich glaube, finden wird als bei Tilla Durieux. Richard Leopold hatte als den zweiten Faust.
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