Feuilleton.
Berliner Theater.
„Die Morgenröte“. Komödie in vier Akten von Josef Ruederer. (Neues
Theater.) — „Die Siebzehnjährigen" Schauspiel in vier Aufzügen
von Max Dreyer. (Lessine=Theater.) — Fuldas „Maskerade“ im
„Der kapfere Kassian“ Eine Burleske von
Deutschen Theater.
Arthur Schnitzler. (Kleines Theater.) — Der Fall Jacobsohn.
Lola Montez verdient ihren Dichter. Noch aber ist er nicht
erstanden. Heinrich Heine wäre so der richtige Mann für sie
gewesen, wie er der richtige Mann für Ludwig von Bayerland war.
„Das Volk der Bavaren verehrt in ihm den angestammelten König.
Er liebt die Kunst und die schönsten Frauen, die läßt er porträtieren
und geht in diesem gemalten Serail als Platoniker spazieren.“
Niemand kann in sechs, dazu noch gereimten Zeilen, schärfer und
umfassender charakterisieren. Der Heine, der über die Philister kam,
ein unbezwingbarer Simson, und den poctisierenden Philisterkönig
so wundersam versvottete, dieser Heine war noch geschickter für den
Umgang mit liederlichen schönen Frauen. Man wolle mich nicht
falsch verstehen. Ich spreche nur vom literarischen Standpunkt
aus. Er hätte uns das frech graziöse, klingende und funkelnde
Lola Montez=Epos geschenkt, und dann hätte sich auf Jahrhunderte
niemand mehr an den urheinischen Stoff herangewagt.
so ward sein Eigentum
Weil Heinrich I. aber zu früh starb,
vogelfrei. Und Josef Ruederer packte den Goldklumpen und walzte
ein Bühnenstück daraus. Die Alchymisten des Mittelalters ver¬
wandelten Blei in Gold; die modernen Bühnenzauberer erzeugen
umgekehrt aus dem schlichtesten Golde das schönste Blei.
Es hatte Ruederer, dem seine hübsche „Fahnenweihe“ deshalb
nicht vergessen werden soll, gereizt, das vormarzliche München mit
der dicken Hofbräu= und Tabaksluft in schrillen Gegensatz zur üppigen
Lola und ihrem lustig schamlosen Maitressenprunk zu bringen. Bier¬
wirtschaft und Zigeunerwirtschaft. Unser Dramatiker suchte das zu
erreichen, indem er einen Akt in der dunstigen Kneipe, den andern im
Palaste der Königsliebsten spielen ließ. Die Verbindung zwischen
beiden Gegenpolen stellt ein grünes Studentlein her, das im auf¬
wallenden Germanenzorn Lolas obersten Leibburschen vom Korps
Allemannia geohrfeigt hat und nun vor die zürnende Dame zitiert
wird. Ferdinand der Maßschwinger vor Lady Milford, die sich
grundsätzlich nie mit dem Stolze ihres Englands gürtet und über¬
haupt gern Gürtel und Schleier reißen sieht. Nach wenigen Minuten
liegt das hingerissene Cheruskerhaupt in den Armen der Süßen, läßt
sich abküssen und küßt seinerseits ab. Das ist die Glanzszene des
Stückes. Wo Ruederer die Bierrevolution schildert, ist er weniger
glücklich, dafür lärmt er dort mehr. Lola muß es am Ende
dulden, daß ihr reuevoll zu den Biertöpfen des Marderbräus
und zum Wirtstöchterlein heimgekehrter Günstling einen ungefährlichen
Schuß auf sie abfeuert; sie wird verjagt, Bürgerwehr marschiert auf
und die Geistlichkeit räuchert mit heiligen Gewürzen die eben noch
von Aufruhr und von Lola durchtobte Bierstube aus. Neben dem
Schlußspasse enthält die Komödie noch manch andere nette Ulken,
ohne doch sonderlich viel Saft und Kraft zu zeigen. Ruederer hat
sich wie Sudermann im Sturmgesellen Sokrates dadurch der letzten
Wirkung seines Vorwurfes beraubt, daß er die Achtunvierziger zu
unumwunden und ausschließlich als Trottel hinstellt. Man mag
nun politisch über die Februar= und Märztage des tollen Jahres
denken, wie man will — der Dichter hat die Pflicht, jene lustig¬
schwermütige Morgenröte, die wirklich über ihnen lag, in sein Werk
zu bannen. Das ist schwer gewiß, und nicht nur Herr Ruederer wirds
leichter finden, die Morgenröte bloß ironisch zu fassen. Damit gehtl
aber auch der Glanz und das Feuer verloren, welches dem Stoff
entstrahlt und statt eines herzbezwingendea tollfidelen und dabei
rührenden Schausvieles, das alle Höhen und Tiefen der wilden
Zeit umspannt, das in hundert Einzelheiten wie im großen Zuge
an die allerneuesten Kämpfe gemahnt — statt dessen haben wir eine
niedrige, flache Biermimit mehr. Schade darum.
Auf das Rührende hat sich diesmal Herr Max Dreyer geworfen,
der unermüdlich um einen zweiten großen Bühnenerfolg kämpft.
Wieder mit geringem Glück. Seine „Siebzehnjahrigen“ waren ange¬
blasen worden, wenn sie aus der Feder eines Anfängers stammten.
Nicht von A bis 2, aber sicherlich von D bis Z sind sie mühselige
Kulissenmache. Richtiges, echtes, deutsches Theater, also schlechtes
Theater. Nicht le vrai théätre Sarceys. Ein lüstern=unschulds¬
volles Ding von siebzehn Jahren verdreht dem Vater und dem
Sohne die Köpfe. Der Junge, gleichfalls siebzehnjährig, ist eben von
ihr geküßt worden — wie Ruderers Lola — und als er nun
hinter der Türe hört, daß sie mit dem alten Herrn ein nächtliches
Stelldichein verabredet, da geht er hin und erschießt sich, denn an
seinem Vater irre zu werden, das erträgt er nicht, beim besten Willen
nicht. Ich sagte eben: der Siebzehnjahrige ging hin und erschoß
sich. Das ist falsch; er schleicht hin. Noch einen ganzen Akt
hindurch macht er die Bretter unsicher, redet endlos viel über
seine selbstmörderische Absicht, redet aber so dreyerisch=theatralisch,
e“ Dee.
—
—.—
dunkel, daß ihn die dreyerisch=schwerfälligen Eltern nicht verstehen.
Denn verstünden sie ihn, so wäre das Stück aus und der große
dramatische Knalleffekt zum Teufel. Unser Kadett wird ganz aufrichtig
und klar erst da, wo er es ohne Schaden für Herrn Dreyer und den
tragischen Ausgang des Stückes sein darf: einem lieben Großpapa
gegenüber, der zum Glück für Herrn Dreyer und den tragischen
Ausgang — stocktaub ist. Theaterjammer, Jammer des Theaters!
Selbst am innerlich leeren Phantasiespiele geschickter Könner habe ich noch
meine Freude; doch wenn ungeschickte Finger sich mit Phantasielosig¬
keit vereinen und ein schwitzender Autor kleinliche Kuiffe ohne Klugheit
ausklügelt, dann tut's Einem um den verlorenen schönen Abend leid.
Dann lieber ein Pfennigskat mit Bierwitzen. Es geschah Herrn
Dreyer recht, daß Gefühllose roh in seine ergreifendsten Szenen
hineinlachten; es geschah ihm unrecht, daß Else Lehmanns und
Bassermanns Kunst den widerwärtigen vierten Akt retteten und die
Schauergeschichte von der Erblindung des Kadettenvaters vor dem
dröhnenden Gelächter bewahrten, das sie doppelt und dreifach
Glücklicher als Dreyer war Fulda mit seiner „Mas¬
kerade“ dieser ergreifenden Gartenlauben=Gesellschaftssatire. Sie
fand am selben Abend, wo Artur Schnitzler im Kleinen Theater
nicht vollständig Sieger blieb, auf den Brettern der Lindau=Bühne
ein Gewimmel von Lorbeerkränzen. Indessen beschäftige ich mich immer
noch lieber mit einem abgelehnten Schnitzler als einem erfolgreichen
Fulda. Bei Schnitzler horcht man interessiert auf, selbst wenn er
nichts zu sagen hat; Fulda dagegen beruhigt von vornherein so
unbeschreiblich, daß er selbst in der Rolle eines Sprengers alter:
Ketten lind besänftigend wirkt. Schnitzlers „Tapferer Kassian“ also
wurde abgelehnt. Nur ein paar Leute klatschten höflich; die Mehrheit
schwieg, was ebenfalls höflich war. Das Ding ist von seinem Ver¬
fasser als Puppenspiel und als Burleske gewertet worden; beide
Bezeichnungen stimmen nicht. Für ein Puppenspiel hat es zu wenig
Herzenseinfalt, für eine Burleske viel zu wenig Witz. Schnitzler
sollte nicht alle Tintenlaunen müßiger Stunden durchaus auf die
Bühne bringen wollen. Dieser Held, der die Heldin halten
Herzens liebt und halben Herzens wiedergeliebt wird; sein Freund
und Vetter, der fidele Maulaufreißer Kassian, der ihm seine ganze
Barschaft abgewinnt, seine Verlobte nimmt und ihn schließlich im
Zweikampfe tötet — das sind Figuren, deren Eigenart Schnitzler
schon fesselnder und geistreicher abgewandelt hat. Die Männer sind
treulos, die Weiber sind treulos — es siegt immer der Draufgänger.
Während Martin der Schwärmer sterbend die Flöte bläst, fährt
Kassian beim Klange des Posthorns mit martinischem Gelde und dem
martinischen Mädchen in die blaue Ferne hinein. Na ja. Soll uns
diese nun schon betagte Weisheit lecker gemacht werden, so muß man
reichlich Gewürz hinzutun. Als stramm pointierte Biermimik hätte
der tapfere Kassian vielleicht gewirkt. Aber diesmal taten die Schau¬
spieler und die Regie bedeutend mehr für stilreine Lustigkeit als der
Verfasser. Sein „Grüner Kakadu“ ließ gottlob die Beschwerden des
Kassian schnell vergessen.
An Stelle der großen Novemberneuheit, die heuer ausge¬
blieben ist, hat sich der Siegfried Jacobsohn=Skandal eingestellt.
Siegfried Jacobsohn war zu früh ernst genommen worden, die Schar
seiner Gegner und die Wichtigkeit, welche alle Komödianten ihm bei¬
legten, stieg dem Jüngling zu Kopf. Er beschloß bei sich, daß ein
Mann seiner Klasse nur noch Brillanten schreiben dürfe, oder doch
das, was er selbst für Brillanten hielt. Und weil dem Kränkelnden,
Schwächlichen und Depravierten die unfruchtbaren Stunden häufig
kamen und weil die Brillanten doch pünktlich geliefert werden mußten,
so wusch er sie aus fremder blauer Erde. Dumm, riesendumm war
dann die Ausrede des Ertappten. Der Hypertrophie seines Gedächt¬
nisses entspricht keine hypertrophierte Intelligenz. Ein keckes Schuld¬
geständnis hätte imponiert und vielleicht für die Zukunft etwas von
dem erborgten oder echten Glanze des Meteors gerettet, das
kollegiale Speichelleckerei noch vor vierzehn Tagen mit Theodor
Fontane auf eine Stufe zu stellen wagte.
Richard Nordhausen.
Berliner Theater.
„Die Morgenröte“. Komödie in vier Akten von Josef Ruederer. (Neues
Theater.) — „Die Siebzehnjährigen" Schauspiel in vier Aufzügen
von Max Dreyer. (Lessine=Theater.) — Fuldas „Maskerade“ im
„Der kapfere Kassian“ Eine Burleske von
Deutschen Theater.
Arthur Schnitzler. (Kleines Theater.) — Der Fall Jacobsohn.
Lola Montez verdient ihren Dichter. Noch aber ist er nicht
erstanden. Heinrich Heine wäre so der richtige Mann für sie
gewesen, wie er der richtige Mann für Ludwig von Bayerland war.
„Das Volk der Bavaren verehrt in ihm den angestammelten König.
Er liebt die Kunst und die schönsten Frauen, die läßt er porträtieren
und geht in diesem gemalten Serail als Platoniker spazieren.“
Niemand kann in sechs, dazu noch gereimten Zeilen, schärfer und
umfassender charakterisieren. Der Heine, der über die Philister kam,
ein unbezwingbarer Simson, und den poctisierenden Philisterkönig
so wundersam versvottete, dieser Heine war noch geschickter für den
Umgang mit liederlichen schönen Frauen. Man wolle mich nicht
falsch verstehen. Ich spreche nur vom literarischen Standpunkt
aus. Er hätte uns das frech graziöse, klingende und funkelnde
Lola Montez=Epos geschenkt, und dann hätte sich auf Jahrhunderte
niemand mehr an den urheinischen Stoff herangewagt.
so ward sein Eigentum
Weil Heinrich I. aber zu früh starb,
vogelfrei. Und Josef Ruederer packte den Goldklumpen und walzte
ein Bühnenstück daraus. Die Alchymisten des Mittelalters ver¬
wandelten Blei in Gold; die modernen Bühnenzauberer erzeugen
umgekehrt aus dem schlichtesten Golde das schönste Blei.
Es hatte Ruederer, dem seine hübsche „Fahnenweihe“ deshalb
nicht vergessen werden soll, gereizt, das vormarzliche München mit
der dicken Hofbräu= und Tabaksluft in schrillen Gegensatz zur üppigen
Lola und ihrem lustig schamlosen Maitressenprunk zu bringen. Bier¬
wirtschaft und Zigeunerwirtschaft. Unser Dramatiker suchte das zu
erreichen, indem er einen Akt in der dunstigen Kneipe, den andern im
Palaste der Königsliebsten spielen ließ. Die Verbindung zwischen
beiden Gegenpolen stellt ein grünes Studentlein her, das im auf¬
wallenden Germanenzorn Lolas obersten Leibburschen vom Korps
Allemannia geohrfeigt hat und nun vor die zürnende Dame zitiert
wird. Ferdinand der Maßschwinger vor Lady Milford, die sich
grundsätzlich nie mit dem Stolze ihres Englands gürtet und über¬
haupt gern Gürtel und Schleier reißen sieht. Nach wenigen Minuten
liegt das hingerissene Cheruskerhaupt in den Armen der Süßen, läßt
sich abküssen und küßt seinerseits ab. Das ist die Glanzszene des
Stückes. Wo Ruederer die Bierrevolution schildert, ist er weniger
glücklich, dafür lärmt er dort mehr. Lola muß es am Ende
dulden, daß ihr reuevoll zu den Biertöpfen des Marderbräus
und zum Wirtstöchterlein heimgekehrter Günstling einen ungefährlichen
Schuß auf sie abfeuert; sie wird verjagt, Bürgerwehr marschiert auf
und die Geistlichkeit räuchert mit heiligen Gewürzen die eben noch
von Aufruhr und von Lola durchtobte Bierstube aus. Neben dem
Schlußspasse enthält die Komödie noch manch andere nette Ulken,
ohne doch sonderlich viel Saft und Kraft zu zeigen. Ruederer hat
sich wie Sudermann im Sturmgesellen Sokrates dadurch der letzten
Wirkung seines Vorwurfes beraubt, daß er die Achtunvierziger zu
unumwunden und ausschließlich als Trottel hinstellt. Man mag
nun politisch über die Februar= und Märztage des tollen Jahres
denken, wie man will — der Dichter hat die Pflicht, jene lustig¬
schwermütige Morgenröte, die wirklich über ihnen lag, in sein Werk
zu bannen. Das ist schwer gewiß, und nicht nur Herr Ruederer wirds
leichter finden, die Morgenröte bloß ironisch zu fassen. Damit gehtl
aber auch der Glanz und das Feuer verloren, welches dem Stoff
entstrahlt und statt eines herzbezwingendea tollfidelen und dabei
rührenden Schausvieles, das alle Höhen und Tiefen der wilden
Zeit umspannt, das in hundert Einzelheiten wie im großen Zuge
an die allerneuesten Kämpfe gemahnt — statt dessen haben wir eine
niedrige, flache Biermimit mehr. Schade darum.
Auf das Rührende hat sich diesmal Herr Max Dreyer geworfen,
der unermüdlich um einen zweiten großen Bühnenerfolg kämpft.
Wieder mit geringem Glück. Seine „Siebzehnjahrigen“ waren ange¬
blasen worden, wenn sie aus der Feder eines Anfängers stammten.
Nicht von A bis 2, aber sicherlich von D bis Z sind sie mühselige
Kulissenmache. Richtiges, echtes, deutsches Theater, also schlechtes
Theater. Nicht le vrai théätre Sarceys. Ein lüstern=unschulds¬
volles Ding von siebzehn Jahren verdreht dem Vater und dem
Sohne die Köpfe. Der Junge, gleichfalls siebzehnjährig, ist eben von
ihr geküßt worden — wie Ruderers Lola — und als er nun
hinter der Türe hört, daß sie mit dem alten Herrn ein nächtliches
Stelldichein verabredet, da geht er hin und erschießt sich, denn an
seinem Vater irre zu werden, das erträgt er nicht, beim besten Willen
nicht. Ich sagte eben: der Siebzehnjahrige ging hin und erschoß
sich. Das ist falsch; er schleicht hin. Noch einen ganzen Akt
hindurch macht er die Bretter unsicher, redet endlos viel über
seine selbstmörderische Absicht, redet aber so dreyerisch=theatralisch,
e“ Dee.
—
—.—
dunkel, daß ihn die dreyerisch=schwerfälligen Eltern nicht verstehen.
Denn verstünden sie ihn, so wäre das Stück aus und der große
dramatische Knalleffekt zum Teufel. Unser Kadett wird ganz aufrichtig
und klar erst da, wo er es ohne Schaden für Herrn Dreyer und den
tragischen Ausgang des Stückes sein darf: einem lieben Großpapa
gegenüber, der zum Glück für Herrn Dreyer und den tragischen
Ausgang — stocktaub ist. Theaterjammer, Jammer des Theaters!
Selbst am innerlich leeren Phantasiespiele geschickter Könner habe ich noch
meine Freude; doch wenn ungeschickte Finger sich mit Phantasielosig¬
keit vereinen und ein schwitzender Autor kleinliche Kuiffe ohne Klugheit
ausklügelt, dann tut's Einem um den verlorenen schönen Abend leid.
Dann lieber ein Pfennigskat mit Bierwitzen. Es geschah Herrn
Dreyer recht, daß Gefühllose roh in seine ergreifendsten Szenen
hineinlachten; es geschah ihm unrecht, daß Else Lehmanns und
Bassermanns Kunst den widerwärtigen vierten Akt retteten und die
Schauergeschichte von der Erblindung des Kadettenvaters vor dem
dröhnenden Gelächter bewahrten, das sie doppelt und dreifach
Glücklicher als Dreyer war Fulda mit seiner „Mas¬
kerade“ dieser ergreifenden Gartenlauben=Gesellschaftssatire. Sie
fand am selben Abend, wo Artur Schnitzler im Kleinen Theater
nicht vollständig Sieger blieb, auf den Brettern der Lindau=Bühne
ein Gewimmel von Lorbeerkränzen. Indessen beschäftige ich mich immer
noch lieber mit einem abgelehnten Schnitzler als einem erfolgreichen
Fulda. Bei Schnitzler horcht man interessiert auf, selbst wenn er
nichts zu sagen hat; Fulda dagegen beruhigt von vornherein so
unbeschreiblich, daß er selbst in der Rolle eines Sprengers alter:
Ketten lind besänftigend wirkt. Schnitzlers „Tapferer Kassian“ also
wurde abgelehnt. Nur ein paar Leute klatschten höflich; die Mehrheit
schwieg, was ebenfalls höflich war. Das Ding ist von seinem Ver¬
fasser als Puppenspiel und als Burleske gewertet worden; beide
Bezeichnungen stimmen nicht. Für ein Puppenspiel hat es zu wenig
Herzenseinfalt, für eine Burleske viel zu wenig Witz. Schnitzler
sollte nicht alle Tintenlaunen müßiger Stunden durchaus auf die
Bühne bringen wollen. Dieser Held, der die Heldin halten
Herzens liebt und halben Herzens wiedergeliebt wird; sein Freund
und Vetter, der fidele Maulaufreißer Kassian, der ihm seine ganze
Barschaft abgewinnt, seine Verlobte nimmt und ihn schließlich im
Zweikampfe tötet — das sind Figuren, deren Eigenart Schnitzler
schon fesselnder und geistreicher abgewandelt hat. Die Männer sind
treulos, die Weiber sind treulos — es siegt immer der Draufgänger.
Während Martin der Schwärmer sterbend die Flöte bläst, fährt
Kassian beim Klange des Posthorns mit martinischem Gelde und dem
martinischen Mädchen in die blaue Ferne hinein. Na ja. Soll uns
diese nun schon betagte Weisheit lecker gemacht werden, so muß man
reichlich Gewürz hinzutun. Als stramm pointierte Biermimik hätte
der tapfere Kassian vielleicht gewirkt. Aber diesmal taten die Schau¬
spieler und die Regie bedeutend mehr für stilreine Lustigkeit als der
Verfasser. Sein „Grüner Kakadu“ ließ gottlob die Beschwerden des
Kassian schnell vergessen.
An Stelle der großen Novemberneuheit, die heuer ausge¬
blieben ist, hat sich der Siegfried Jacobsohn=Skandal eingestellt.
Siegfried Jacobsohn war zu früh ernst genommen worden, die Schar
seiner Gegner und die Wichtigkeit, welche alle Komödianten ihm bei¬
legten, stieg dem Jüngling zu Kopf. Er beschloß bei sich, daß ein
Mann seiner Klasse nur noch Brillanten schreiben dürfe, oder doch
das, was er selbst für Brillanten hielt. Und weil dem Kränkelnden,
Schwächlichen und Depravierten die unfruchtbaren Stunden häufig
kamen und weil die Brillanten doch pünktlich geliefert werden mußten,
so wusch er sie aus fremder blauer Erde. Dumm, riesendumm war
dann die Ausrede des Ertappten. Der Hypertrophie seines Gedächt¬
nisses entspricht keine hypertrophierte Intelligenz. Ein keckes Schuld¬
geständnis hätte imponiert und vielleicht für die Zukunft etwas von
dem erborgten oder echten Glanze des Meteors gerettet, das
kollegiale Speichelleckerei noch vor vierzehn Tagen mit Theodor
Fontane auf eine Stufe zu stellen wagte.
Richard Nordhausen.