III, Einakter 10, (Marionetten. Drei Einakter), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 19

Schnitzter-Abend.
Im Carl=Theater: „Die letzten Masken“. Der Puppen¬
svieler“ (zum erstenmal), „Literatur“ von Arthur Schnißler.
* Der Puppenspieler. Wieder kehrt nach langen Jahren ein
Freund zurück. Wieder wird ein Stück Vergangenheit auf ein
Stück Gegenwart projicirt und gezeigt, nach wie seitsamer, mensch¬
lichem Vermuthen und Beabsichtigen ganz entrückter Logil diese
aus jener gereift ist. Das ist ein Lieblingsmotiv Schnitzlers:
diese rückkehrenden Geister des Perfectums; man könnte eine
ganze Reihe Schnitzlerscher Dramen unter dem Gesammttitel:
„Les revenants“ organisch vereinigen. Dabei wissen diese Menschen
und Gespenster von ehemals, welche plötzlich wieder kommen,
immer geheime Wahrheiten: die scheinen sie nur deshalb so lang bei
sich behalten zu haben, damit inzwischen Einer, der nichts von
jenen Wahrheiten weiß, sich auf der Basis dieses Nichts=Wissens
ein festes Schicksal zimmern, ein schönes Dasein construiren
konnte, die nun durch plötzliche Wahrheits=Explosion einfach
ecrasirt werden sollen. Immer gibt es in Schnitzler=Dramen
Confrontationen zwischen Vergangenheit und Gegenwart: die
Gegner sehen einander zitternd vor Erregung ins Ange, dann gibt es
einen, oft lautlosen Zusammenstoß, ein kurzes Ringen, bis Einer
kampfunfähig das Feld räumt. Meist ist es bei Schnitzler die
Vergangenheit, welche= unterliegt und wieder in das Dunkel
zurücksinkt, aus dem sie so plötzlich aufgetaucht ist. Ihren meuch¬
lerischen Dolch läßt sie, eine nutzlose Waffe, auf dem Platz
zurück. Sie stach zu — aber entweder erlahmte im
letzten Augenblick ihre Kraft (Die letzten Masken), oder
der Tolch war stumpf und der Gegner gepanzert (Der Puppen¬
spieler), oder der Dolch war überhaupt kein Dolch, sondern ein
Federpenal oder ein Falzbein, mit dem herumzufuchteln sehr
lächerlich wirkt (Literatur). Gemeinsam wie der Freund aus der
Vergangenheit, der zurückkommt, um unangenehme Sachen aus¬
zuplauschen, ist den drei Einactern, die man am gestrigen
Schnitzler=Abend zusammenstellte, auch der Küchendunst des
Métiers: immer Leute, die schreiben möchten, schreiben, ge¬
schrieben haben, nicht schreiben können! Nie Greißler oder
Raubmörder oder Commis, immer Literaten und Angrenzendes.
Im „Puppenspieler“ scheint sich der Dichter, als Einerde
inach seinen Kräften ehrlich gibt, was er zu geben hat, an Jenen
ein bischen zu rächen, die von der Höhe ihrer Impotenz herab
die bescheidenen Potenzen der Anderen mit überlegener Laune
umblasen. Der Puppenspieler ist Einer, der sich seine Unzuläng¬
lichkeiten für sein Selbstbewußtsein dadurch verdaulich macht, daß
er sich die Zulänglichkeiten verekelt. Er hat ein eigenes System,
um das Nicht=Erreichbare zu verschmerzen: er discualificirt das
Erreichbare. Er ist ein Dialectiker des Gefühls. Das Ge¬
ringfügige, das er hat, empfindet er sich sozufagen um,
bis es Bedeutsames, Großes wird. Seine Armuth wird
ein Spazier¬
ihm Freiheit, sein Zwang eigener Wille,
gang zur Weltumseglung, ein zufälliges Ereigniß zum
Triumph seiner unerbittlichen Absicht (der Tod des Mitreisenden),
und alle Stürme, welche mit dem Schicksal des ohnmächtigen
Mannes ihre turbulenten Spässe treiben, ihn hart an alle
Mauern des engen Daseins schleudern, deutet er sich so, als ob
diese Stürme aus seinen eigenen übermächtigen Lungen kämen.
Mit den Menschen spielt er — in der Theorie nämlich, die sein
Leben stützt — wie mit Puppen. In der Praxis ist es anders.
Da hängt der Puppenspieler selbst an Fäden, der Marionetten¬
zieher ist selbst ein zappliger Wurstel, der listige Weise ein
dupirter Narr. Dupirt von der Chemie der Ereignisse, die mit
ihren geheimnißvollen Kräften der Losung und Verschmelzung
oft alle Retorten sprengt, in denen ein zu witziger Mensch sie
nach seinen Gesetzen dirigiren will.
Diese kleine Studie wurde von Mitgliedern des Joseph¬
städter Theater=Ensembles gespielt. Von Herrn Jarno sehr klug
und sehr laut; zu laut. Die Dämonie dieses Puppenspielers
verträgt so viel Lärm nicht gut. Dazu ist sie doch ein wenig zu
hohl und dürftig. Von Fräulein Wagen in ihrer angenehmen
stillen Art; vielleicht etwas zu unbeweglich; manchmal, wenn sie
sich so still umdrehte oder langsam den Arm hob, sah es aus,
wie ein lackirtes Holzpüppchen mit Mechanismus. Herr Claar
hatte wohl einen ganz sanften, bescheidenen, begrenzten Menschen
zu spielen. Aber so steirisch hätte er die Figur doch nicht hin¬
stellen müssen, so hart an der Grenze des Lallens und
Thaddädelns. — In den „letzten Masken“ und in „Literatur“
zeigte Herr Heine im Tragischen wie im Lustigen seine knochige,
harte, eindringliche Spielmanier und der charmante Herr
Treßler sehr viel Amusantes aus dem reichen Drolerien¬
Repertoire seiner Mienen und Gliedmaßen. Die Kunst. der Frau
Retty ist ein bischen zu zart, zu sanft, um das ein wenig ordinäre
Timbre der Rolle des avancirten Literaturmädchens recht zu
treffen.
a. p.
—- Sta
— Jakehe

S
·E


— Sanbarr
72
L. österr. behördl. konz. Bureau fürzer
Wien, I., Concordiapfärtz“
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-York,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
REICHSPOST WIEN
vom: 4 ½ 10010
Carl=Theater. „Der Puppen¬
spieler“ Studie in einem Akt von Arthur
Will man hierorts erfolgreich
Schnitzler.
wohltun, muß man der Eitelkeit einer bestimmten
Coterie schmeicheln. Entweder, indem man sie
zum Patronat bittet, oder indem man einen
ihrer“ Dichter aufführt. So kam man gestern
darauf, zu Gunsten einer Kinderpflege=Anstalt
einen Arthur Schnitzler=Abend im Carl=Theater zu
provozieren. Zwischen dem Nicht=Gut der „Letzten
Masken“ und dem Nicht=Böse der „Literatur“
fiel eine Première vor, die wohl der Verfasser
selbst am meisten zu bedauern hat. „Der Puppen¬
spieler“. Eine Studie will es sein, ist aber
nichts als manierierte, erzwungene, geistlos=wider¬
spruchsvolle Mache eines in den Bühnentricks
praktisch erfahrenen, ideell aber bettelarmen
Mannes, der sich seine Decadence nicht eingestehen
mag. Der Puppenspieler soll ein Uebermensch sein,
der imstande ist, durch seinen bloßen Willen zu
töten, der die Leute wie Puppen an den Drähten
ihrer Eigenheiten leitet, einen billigen Havelock
trägt und schließlich sich als verschämter Kloster¬
süppler und gemütsweicher Vater zu erkennen gibt.
Es ist, als ob mit der „Studie“ weit mehr die
Beobachtung der literarischen Unzurechnungsfähigkeit
des Autors, als die der erdachten Gestalten beabsichtigt
wäre. Herr Jarno war denn auch in dieser
Rolle gar nicht am Platze, so wenig als Herr
Claar und Frau Wagen die Stunden ver¬
leugnen konnten, in denen sie ihre Rollen nach
dem Stichwort geübt haben. In die „Letzten
Masken“ teilten sich Heine, Treßler und
Schmidt freudlos und überdrüßig. „Literatur“
diese akademische Klabriaspartie, auf deren Spässe
noch kein Durchschnittsmensch in geistesschwachen
Stunden nicht spontan verfallen ist, artete zur
Hanswurstiade aus, zur Lust des allen zwölf
Stämmen entnommenen Auditoriums, an dem
nichts von reinstem Wasser war, als die Brillanten.
R. E. P.