10. Der Pupperspieler
(Gdellenangabe oune Gewail!
Neue Freie Presse, Wien
Ausschnitt aus:
vom: 30 MAl 1913
Theater= und Kunstnachrichten.
Wien, 29. Mai.
„[Gastspiel Albert Bassermann an der
Neuen Wiener Bühne.] Merkwürdig neu, wild zu¬
packend, von einem wunderbar lebendigen, gegenwärtigen
Ingrimm erschienen uns heute wie vordem die drei starken
Einakter Artur Schnitzlers: „Der Puppenspieler“
„Die letzten Masken" und „Literatur" die wir
erfreulicherweise wieder einmal zu sehen bekamen. Diese kleinen
Komödien werden von einem stolzen, aufrechten Hohn ge¬
tragen, von einer Verachtung, die jenseits des Hasses liegt,
von einem Humor, der an letzten ewigen Dingen rüttelt; sie
sind mehr als grausam, sie sind unheimlich, unerbittlich.
Albert Bassermann gab den Puppenspieler Georg
Merklin, der fremde Schicksale mutwillig durcheinander schiebt,
und versehentlich gerät sein eigenes in den wirren Knäuel,
verfängt sich, wird umschnürt und gedrosselt. Einer fährt gegen
sein Spiegelbild los und spürt seine Hand wie eine fremde
an der Gurgel. In dieser Rolle gab Bassermann heute abend sein
Bestes, er hatte einen Zug ins Große. Man fühlte, daß dieser
Puppenspieler weit herkam und ins Freie und Ferne schritt,
sich selbst rätselhaft, über das eigene Maß hinauswachsend,
Bestimmung und Verhängnis; ein Magier wider -Willen.
Dann begegnete uns Bassermann in der Rolle des berühmten
Dichters Alexander Weihgast, den sein Jugendfreund, der un¬
berühmte, todkranke Karl Rademacher, ins Spital rufen läßt,
weil #r sterbend ihm endlich die Wahrheit ins Gesicht schreien
möchte: wie klein und erbärmlich der große Mann ist, wie
kläglich in seiner Eitelkeit. Und wie er nun den Verhaßten
vor sich sieht, in seinen Dünkel ganz warm eingehüllt, wie in
seinen Stadtpelz, gefrieren ihm die Worte auf den Lippen, der
Ekel würgt ihm die Kehle, verschließt ihm den Mund. Hier
zeigte sich Bassermann wieder ein wenig zu spielfreudig, sich
selbst übertreibend, jeden. Einfall der Geste, der Darstellung
breit ausspinnend, damit das Publikum ihn nur ja nicht über¬
sehe; jede Bewegung gleichsam gesperrt gedruckt. Als literatur¬
feindlicher Sportsman Clemens schließlich befremdete der
eigensinnige norddeutsche Ton des Gastes. Jede Verwandlung
will dem Künstler Bassermann leicht gelingen, nur, wo es
sich ums Leichte, Tänzerische handelt, mag's nicht glücken.
Wenn Herr Bassermann „Schatzerl“ sagt, klingt's nicht viel
anders als etwa „Schnuckelchen". Die Partner Bassermanns
ließen heute viel zu wünschen übrig. Herr Neuß als Rade¬
macher blieb durchaus im Konventionellen und schwankte
sterbend zwischen einem Helden, der fürs Vaterland den Tod
erduldet, und einem biederen Familienvater, der gerührt seine
Kinder segnet. Herr Iwald wieder hatte es versäumt, seine
Rolle rechtzeitig zu memorieren, und wollte dies nun in aller
Geschwindigkeit auf der Bühne nachholen, was zu kleinen
Stockungen Anlaß gab. Und doch ist die Neue Wiener Bühne
für den Eifer zu loben, mit dem sie hintereinander nun schon
eine ganze Reihe wertvoller Stücke uns bescherte. Man merkt
den Ernst und den redlichen Willen und nimmt manches Ver¬
sehen gerne in Kauf. Das Publikum dankte auch mit leb¬
haftem Beifall; hinter den wechselnden Masken grüßte es den
Dichter.
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usschnitt ausWijeel Mittags-Zeiturg
36 112, 10 33
om:
Theater und Kunst.
(Neue Wiener Bühne.) „Der Puppen¬
spieler“, „Die letzten Masken“ „Literatur“,
drei Einakter von Arthur SchnitzlerBasser¬
mann abermals in drei ganz divergenten Rollen. Als
als
bankrotter Lebenskünstler, als Poseur des Ruhmes,
Dandy. Und immer eine Welt weit weg von der eigenen
Verkleidung der letzten halben Stunde. In einer Ver¬
wandlung, die von der Maske gleichsam nach innen dringt,
beängstigend natürlich im Körperlichen, genial einfach in
der Art, als Frierender einen Mantel zuzuknöpfen oder
mit der gewissen Besucherlangweile an einem Krankenbett
zu sitzen oder mit Jokeyklubnäseln von Pferden und Renn¬
gewinsten zu plaudern, als wären das tägliche Gewohn¬
heiten des Darstellers, Lebenseigentümlichkeiten. So tritt
Bassermann immer auf die Bühne. Als Virtuose der Ein¬
fachheit. Mühelos. Als ob er in diesem Kostüm, mit
diesen Gesten direkt von der Straße käme und wieder auf
die Straße ginge. Als Puppenspieler, als berühmter
Dichter, als Pferdebaron. Um so mehr zu bewundern, als
diese wie in Marmor gehauene Schlichtheit ein Werk der
Kleinkunst ist, sich musivisch zusammensetzt, oft ganz deutlich
als vorher beobachtet, als studiert, als erdichtet, besser
nachgedichtet sich deklariert. Diesmal hie und da in den
beiden letzten Stücken, während sein Puppenspieler ganz
groß bastand, mit einer eisigen Atmosphäre von über¬
sich.
tünchter Qual und beschönigter Verkommenheit um
aber doch durchaus adelig, durchaus neutral zu kleineren
Geschicken, mehr jenseits als abseits. Einen samosen
Partner hatte er wieder in Herrn Neuß, dessen Rade¬
macher statuesk in der Schärfe der Konturen war und
wirklich ganz mit der ahnungsvollen Bitterkeit der unheil¬
bar Kranken, mit geflüsterten Schreien und brüllenden Ge¬
danken gespielt. Auch Herr Iwald wieder sehr geschickt,
sehr angenehm in seiner breiten Sicherheit, sehr klug in
seiner gemütlichen Zeichnung. Sehr nett Fräulein Ernik,
zu frostig und auch zu uninteressiert Fräulein Balten.
L. U.