10. Der Puppenspieler
Ausschnitt aus:
Nenigkeits-Weltzlatt, Wien
3119 1913
vom:
Theater, Kunst und Musik.
Wien, 30. Mai 1913.
Neue Wiener Bühne. Der vorletzte Premierenabend
des Bassermann=Gastspiels. Er brachte mit dem
gefeierten Gast in den Hauptrollen die drei besten Szenen
aus dem Zyklus „Lebendige Stunden“ von Schnitzle###
den „Puppenspieler", „Die letzten Masken“
und „Literatur". Bassermann ist der Puppen¬
spieler, der mit den Menschen wie mit Puppen zu spielen
glaubt, während das Leben selbst mit ihm sein Spiel
treibt, er spielt weiters den Modedichter Weihgaft, der den
todkranken Jugendfreund im Spital besucht und dabei
Milieustudien macht, und endlich den Clemens in „Literatur“,
jenem Einakter, in dem sich die aus überlegenem Verstehen
entsprungene Ironie des Dichters bis nahe zur Karrikatur
steigert. Und jedesmal ist Bassermann ein Anderer, Neuer,
überrascht mit eigenartigen Nuancen und Feinheiten seiner
Kunst, die wirklich aus innerer Fülle schöpft. Er steht im
Mittelpunkt des Abends, an dessen Erfolg aber auch seine
Partner einen nicht geringen Anteil haben. Da ist vor
allem Herr Iwald zu nennen, dem dieses Bassermann¬
Gastspiel überhaupt reichlich Gelegenheit bot, seine alänzende
Begabung zu beweisen. Sehr gut war auch Herr Neuß,
als Journalist Rademacher. Herr Schulbauer, der den
sterbenskranken Komiker gab, der im Spital die Todes¬
zuckungen der Sterbenden für seine Rolle studiert, war
ebenfalls vorzüglich und eine Debütantin Fräulein Zerline
Balten erfreute als die Schriftstellerin Margarete in
„Literatur“ durch Eleganz, Schönheit und Talent. Man
muß wahrhaftig über den Fleiß und künstlerischen Eifer
dieser Bühne staunen, die in so kurzer Zeit eine so große
Zahl vorzüglicher Neueinstudierungen zu bieten imstande ist.
K—
Wien
Ausschnitt aus: Die Wage,
31.38l 1913
vom:
Neue Wiener Bühne: Gastspiel Albert Bassermann. „Der
Püppenspieler", „Die letzten Masken" „Literatur“ Drei
Einakter von Arthur Schnitzler.
Drei Gestalten hat Bassermann diesmal hingestellt, volle und
ganze Menschen, deren geistiger Duktus so verschieden ist, daß
sie sich nük schwer bis zu jenem Punkt zurückverfolgen lassen,
wo sie aus der gemeinsamen künstlerischen Wurzel entsprangen,
die ihnen treibende und formende Kraft schenkte. Wie weit reichen¬
die Ausdrucksmöglichkeiten dieses großen Menschenschilderers, der##
grau in grau das geistige und physische Bild eines verbitterten
Desperados malt und gleich daneben die Untiefen eines aristo¬
kratischen Hohlkopfes ausschöpfen kann, dessen Horizont von
Hürben umstelt ist, über die ihn stets die Bravour seiner Schenkel
und nie die Kraft seines Hirns hinweghilft. Und dabe ist im
Mimischen wie im Sprachtechnischen die gleiche Einfachleit und
Diskretion der Mittel gewahrt, die behutsam Strich nebei Strich
setzt, ziseliert und feilt und hämmert und dennoch nicht über dem
Einzelnen den Blick für den Gesamtton und die Größe des Ganzen
verliert.
Gerade weil ich Bassermann hierin bewundere, hat mich sein
Alexander Weigast in den „Letzten Masken“ leider enttäuscht, denn
er unterstreicht die falsche Bonhomie und die Verlogenheit dieses
dichtenden Hochstaplers für mein Empfinden allzusehr. Der begriff¬
stützigste Hörer wird gewaltsam mit der Nase auf das Problem
gestoßen, aber durch eine solche Technik geht die feine tragische
Ironie verloren, um derentwillen doch unzweifelhaft das ganze
Stück geschrieben wurde. — Nimmt man aber alles in allem, so
war dieser Abend ein großer künstlerischer Gewinn, an dem zu
ziemlich gleichen Teilen noch Zerline Balten und die Herren Neuß
U. B.
und Iwald beteiligt waren.
box 34/9
Montags-Biali (pabl. Piat), Wien
Ausschnitt aus:
vom:
(Neue Wiener Bühne.) Albert Bassermanns Gastspiel
brachte in der Vorwoche das Sudermann'sche Schauspiel „Stein
ünter Steinen“ und die drei Einakter Schnitzlers „Der Puppen¬
spieler“, „Die letzten Masken“ und „Literarak“ Als Jakob Bieg¬
ler hat man Bassermann schon mehrmals in früheren Gastspielen ge¬
sehen und weiß daher, wie fesselnd er diesen schwierigen Charakter
darzustellen weiß. Er drückte der wortkargen, einfachen Persönlichkeit
des entlassenen Sträflings den Adel tiefen Gemütes auf und hob
sie hoch über das Niveau der übrigen Darstellung, so trefflich diese
auch sonst war: Herr Neuß als Göttling, Herr Kammauf
als Struwe, Herr Stärk als Zornke und Herta Wolf als
Sore. Das Publikum akklamierte den Künstler und seine Mitspieler
— Der Schnitzlerabend dankt Bassermanns Kunst
stürmisch.
eine Aufnahme, als ob die drei Einakter zur Uraufführung ge¬
langt wären. Die Vielseitigkeit Bassermannscher Darstellungskunst
feierte da einen wahren Triumph. Als Bohemien Merklin, als
pathetischer Routinier Weihgast, als einfältiger Turfbaron Kie¬
für alle drei doch so unendlich gegensätzliche Charakteren
mens —
fand Bassermann den richtigen Ton, die ichtige Geberde
und riß auch seine Mitspieler zu der höchsten Anspannung ihrer
Kräfte hin. Das ausverkaufte Haus konnte sich an Beifall fürt
den Dichter und seinen Interpreten nicht genug tun.
(Quellenangabe ohne Dewähr.)
Ausschnitt aus Der Morgen Wien
2- 6 197.
vom:
Neue Wiener Bühne.
Ein Schmitzler=Abeid mit Alberk Basser¬
mann wae die Verhelßung und — Bassermann diesmal in
den ersten zwei Stücken eine Enttäuschung. Der erste der Ein¬
alter „Der Puppenspieler“ wurde von ihm in der
Hauptrolle in Ehren bestattet, aber kaum gespielt. Man konnte
nicht spüren, daß in diesem Georg Merklin ein Talent, viel¬
leicht ein Genie zugrunde gegangen war, weil das Schicksal
mit ihm gespielt hatte, während er, der Dichter, so schön davon
träumte, mit dem Schicksal zu spielen. Man sah nur einen
müden Wandersmann, der von weit her kam, der nie in unserer,
des Dichters Heimat gelebt hatte. Herr Iwald als Eduard
Jagisch mit der Künstlerseele, aber doch mit dem gesunden
Menschenverstand, war recht gut, bloß ein wenig zu einfältig,
zu spießerisch. Die Leistung Bassermanns als Alexander Weih¬
gast in „Die letzten Masken“ war wohl die schwerste
Enttäuschung, die uns dieser sonst so siegreiche Schauspieler
diesmal bereitete. Schon die Maske schien nicht glücklich ge¬
wählt. Weihgast ist doch ein — wenn auch noch so spekulativer
— Dichter. Bassermann aber schien den Typus eines jüdischen
Ratenhändlers andeuten zu wollen. Unter solcher Auffassung
mußten natürlich auch Spiel wie Ton leiden. Vortrefflich war
[Neuß als Rademacher; nur immer etwas zu weit ausholend
in den Gesten, ein bißchen zu laut oder zu heiser. Der Jack¬
twerth, diese ergreifende Figur des Schauspielers, der acht Tage
svor dem Tod das Leben Sterbender einfängt, um es noch für
ssein Fach als Komiker da draußen auf den Brettern verwerten
zu können, gelang Herrn Schulbaur ausgezeichnet. Auch
die Herren Kammauf und Wünsch boten als die beiden
Arzte gute Episodenfiguren. „Literatur“, dieses entzückend
graziöse und geistreiche Lustspiel, wurde in erster Linie von
Bassermgnn wieder brillant gespielt. Er gab den Aristokraten
und „Elteraturverachter hinreißend fein bis ins kleinste Detail,
schön in der Sprache glänzend charakterisiert. Er zeichnete eine
Klasse von Menschen, die so viel Zeit zum Denken haben. Und
hann die Hände! Wie er raucht und wie er die Handschuhe
abstreift! In seiner Feingliedrigkeit erinnerte er dabei wieder
zin wenig an Kainz ... Fräulein Balten, eine gute Schau¬
spielerin, ist bloß zu soubrettenhaft. Schon das unpassende
Kleid war nicht würdig, in diesem Stück von Schnitzler zu
sepräsentieren. Ganz vortrefflich Herr Iwald als der ver¬
—
chmierte „Boheinten.
Ausschnitt aus:
Nenigkeits-Weltzlatt, Wien
3119 1913
vom:
Theater, Kunst und Musik.
Wien, 30. Mai 1913.
Neue Wiener Bühne. Der vorletzte Premierenabend
des Bassermann=Gastspiels. Er brachte mit dem
gefeierten Gast in den Hauptrollen die drei besten Szenen
aus dem Zyklus „Lebendige Stunden“ von Schnitzle###
den „Puppenspieler", „Die letzten Masken“
und „Literatur". Bassermann ist der Puppen¬
spieler, der mit den Menschen wie mit Puppen zu spielen
glaubt, während das Leben selbst mit ihm sein Spiel
treibt, er spielt weiters den Modedichter Weihgaft, der den
todkranken Jugendfreund im Spital besucht und dabei
Milieustudien macht, und endlich den Clemens in „Literatur“,
jenem Einakter, in dem sich die aus überlegenem Verstehen
entsprungene Ironie des Dichters bis nahe zur Karrikatur
steigert. Und jedesmal ist Bassermann ein Anderer, Neuer,
überrascht mit eigenartigen Nuancen und Feinheiten seiner
Kunst, die wirklich aus innerer Fülle schöpft. Er steht im
Mittelpunkt des Abends, an dessen Erfolg aber auch seine
Partner einen nicht geringen Anteil haben. Da ist vor
allem Herr Iwald zu nennen, dem dieses Bassermann¬
Gastspiel überhaupt reichlich Gelegenheit bot, seine alänzende
Begabung zu beweisen. Sehr gut war auch Herr Neuß,
als Journalist Rademacher. Herr Schulbauer, der den
sterbenskranken Komiker gab, der im Spital die Todes¬
zuckungen der Sterbenden für seine Rolle studiert, war
ebenfalls vorzüglich und eine Debütantin Fräulein Zerline
Balten erfreute als die Schriftstellerin Margarete in
„Literatur“ durch Eleganz, Schönheit und Talent. Man
muß wahrhaftig über den Fleiß und künstlerischen Eifer
dieser Bühne staunen, die in so kurzer Zeit eine so große
Zahl vorzüglicher Neueinstudierungen zu bieten imstande ist.
K—
Wien
Ausschnitt aus: Die Wage,
31.38l 1913
vom:
Neue Wiener Bühne: Gastspiel Albert Bassermann. „Der
Püppenspieler", „Die letzten Masken" „Literatur“ Drei
Einakter von Arthur Schnitzler.
Drei Gestalten hat Bassermann diesmal hingestellt, volle und
ganze Menschen, deren geistiger Duktus so verschieden ist, daß
sie sich nük schwer bis zu jenem Punkt zurückverfolgen lassen,
wo sie aus der gemeinsamen künstlerischen Wurzel entsprangen,
die ihnen treibende und formende Kraft schenkte. Wie weit reichen¬
die Ausdrucksmöglichkeiten dieses großen Menschenschilderers, der##
grau in grau das geistige und physische Bild eines verbitterten
Desperados malt und gleich daneben die Untiefen eines aristo¬
kratischen Hohlkopfes ausschöpfen kann, dessen Horizont von
Hürben umstelt ist, über die ihn stets die Bravour seiner Schenkel
und nie die Kraft seines Hirns hinweghilft. Und dabe ist im
Mimischen wie im Sprachtechnischen die gleiche Einfachleit und
Diskretion der Mittel gewahrt, die behutsam Strich nebei Strich
setzt, ziseliert und feilt und hämmert und dennoch nicht über dem
Einzelnen den Blick für den Gesamtton und die Größe des Ganzen
verliert.
Gerade weil ich Bassermann hierin bewundere, hat mich sein
Alexander Weigast in den „Letzten Masken“ leider enttäuscht, denn
er unterstreicht die falsche Bonhomie und die Verlogenheit dieses
dichtenden Hochstaplers für mein Empfinden allzusehr. Der begriff¬
stützigste Hörer wird gewaltsam mit der Nase auf das Problem
gestoßen, aber durch eine solche Technik geht die feine tragische
Ironie verloren, um derentwillen doch unzweifelhaft das ganze
Stück geschrieben wurde. — Nimmt man aber alles in allem, so
war dieser Abend ein großer künstlerischer Gewinn, an dem zu
ziemlich gleichen Teilen noch Zerline Balten und die Herren Neuß
U. B.
und Iwald beteiligt waren.
box 34/9
Montags-Biali (pabl. Piat), Wien
Ausschnitt aus:
vom:
(Neue Wiener Bühne.) Albert Bassermanns Gastspiel
brachte in der Vorwoche das Sudermann'sche Schauspiel „Stein
ünter Steinen“ und die drei Einakter Schnitzlers „Der Puppen¬
spieler“, „Die letzten Masken“ und „Literarak“ Als Jakob Bieg¬
ler hat man Bassermann schon mehrmals in früheren Gastspielen ge¬
sehen und weiß daher, wie fesselnd er diesen schwierigen Charakter
darzustellen weiß. Er drückte der wortkargen, einfachen Persönlichkeit
des entlassenen Sträflings den Adel tiefen Gemütes auf und hob
sie hoch über das Niveau der übrigen Darstellung, so trefflich diese
auch sonst war: Herr Neuß als Göttling, Herr Kammauf
als Struwe, Herr Stärk als Zornke und Herta Wolf als
Sore. Das Publikum akklamierte den Künstler und seine Mitspieler
— Der Schnitzlerabend dankt Bassermanns Kunst
stürmisch.
eine Aufnahme, als ob die drei Einakter zur Uraufführung ge¬
langt wären. Die Vielseitigkeit Bassermannscher Darstellungskunst
feierte da einen wahren Triumph. Als Bohemien Merklin, als
pathetischer Routinier Weihgast, als einfältiger Turfbaron Kie¬
für alle drei doch so unendlich gegensätzliche Charakteren
mens —
fand Bassermann den richtigen Ton, die ichtige Geberde
und riß auch seine Mitspieler zu der höchsten Anspannung ihrer
Kräfte hin. Das ausverkaufte Haus konnte sich an Beifall fürt
den Dichter und seinen Interpreten nicht genug tun.
(Quellenangabe ohne Dewähr.)
Ausschnitt aus Der Morgen Wien
2- 6 197.
vom:
Neue Wiener Bühne.
Ein Schmitzler=Abeid mit Alberk Basser¬
mann wae die Verhelßung und — Bassermann diesmal in
den ersten zwei Stücken eine Enttäuschung. Der erste der Ein¬
alter „Der Puppenspieler“ wurde von ihm in der
Hauptrolle in Ehren bestattet, aber kaum gespielt. Man konnte
nicht spüren, daß in diesem Georg Merklin ein Talent, viel¬
leicht ein Genie zugrunde gegangen war, weil das Schicksal
mit ihm gespielt hatte, während er, der Dichter, so schön davon
träumte, mit dem Schicksal zu spielen. Man sah nur einen
müden Wandersmann, der von weit her kam, der nie in unserer,
des Dichters Heimat gelebt hatte. Herr Iwald als Eduard
Jagisch mit der Künstlerseele, aber doch mit dem gesunden
Menschenverstand, war recht gut, bloß ein wenig zu einfältig,
zu spießerisch. Die Leistung Bassermanns als Alexander Weih¬
gast in „Die letzten Masken“ war wohl die schwerste
Enttäuschung, die uns dieser sonst so siegreiche Schauspieler
diesmal bereitete. Schon die Maske schien nicht glücklich ge¬
wählt. Weihgast ist doch ein — wenn auch noch so spekulativer
— Dichter. Bassermann aber schien den Typus eines jüdischen
Ratenhändlers andeuten zu wollen. Unter solcher Auffassung
mußten natürlich auch Spiel wie Ton leiden. Vortrefflich war
[Neuß als Rademacher; nur immer etwas zu weit ausholend
in den Gesten, ein bißchen zu laut oder zu heiser. Der Jack¬
twerth, diese ergreifende Figur des Schauspielers, der acht Tage
svor dem Tod das Leben Sterbender einfängt, um es noch für
ssein Fach als Komiker da draußen auf den Brettern verwerten
zu können, gelang Herrn Schulbaur ausgezeichnet. Auch
die Herren Kammauf und Wünsch boten als die beiden
Arzte gute Episodenfiguren. „Literatur“, dieses entzückend
graziöse und geistreiche Lustspiel, wurde in erster Linie von
Bassermgnn wieder brillant gespielt. Er gab den Aristokraten
und „Elteraturverachter hinreißend fein bis ins kleinste Detail,
schön in der Sprache glänzend charakterisiert. Er zeichnete eine
Klasse von Menschen, die so viel Zeit zum Denken haben. Und
hann die Hände! Wie er raucht und wie er die Handschuhe
abstreift! In seiner Feingliedrigkeit erinnerte er dabei wieder
zin wenig an Kainz ... Fräulein Balten, eine gute Schau¬
spielerin, ist bloß zu soubrettenhaft. Schon das unpassende
Kleid war nicht würdig, in diesem Stück von Schnitzler zu
sepräsentieren. Ganz vortrefflich Herr Iwald als der ver¬
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chmierte „Boheinten.