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15. Der Puppenspieler
„DER PLENNV‘
Seite 28.
in das 440 Personen fassende Theaterchen zu zwängen.
riens, ist gekommen und schreitet unter Tücherwinken
Endlich eröffnete folgender Befehl des Nowo-Nikola¬
und Begrüßungstosen ihrem Ehrenplatze zu. Erst der
jewsker Militärkommandos einen Ausweg: „Das Regiment
Taktstock des Kapellmeisters macht dem Jubel ein Ende,
X besucht heute das Theater, und zwar: 1. Bataillon
den das Erscheinen dieser wundervollen Frau ausgelöst
den ersten Akt, 2. Bataillon den zweiten und 3. Bataillon
hat, deren Werk und Wirken aber von jenen Tausenden
den dritten Akt.“ Auf diese Art konnte der Vollzug des
gefühlt wurde.
Befehles gemeldet und die gewünschte Volksaufklärung
Szene um Szene geht vorüber; überlegen und
als durchgeführt angesehen werden.
sicher, dank der vielen Proben, mimen die jungen Leute
da oben ihre Aufgaben, ohne Souffleur und ohne Inspi¬
zienten (der militärische Einschlag kommt diesem kleinen
Weihnachts-Erinnerungen.
theatralischem Staatswesen zweifellos sehr zugute).
Von Franz Lang, Mistelbach. (Schluß.)
Einen Sondererfolg holte sich in -den-„Letzten
Masken“ der Darsteller des Florian Jackwerth, Leutnant
Und wieder kamen Weihnachten, Weihnachten 1917.
Dr. Sch., auf dessen Entdeckung ich besonders stolz
Das Revolutionsjahr war vorbeigegangen und hatte
bin. Mir fehlte nämlich im ständigen Ensemble ein guter
vieles geändert. Was einst glänzte und regierte, das lag
Vertreter für diese Rolle, und so ging ich unter der
in Staub und Kot und an der Spitze standen neue
Führung des zuständigen „Kunstreferenten“ ins benach¬
Männer aus dem Volke. Ein erschütterndes Ereignis in
barte Lager, dort nach einem „A. G.-Spieler“ Ausschau
der Weltgeschichte, für mich aber ohne Interesse! Denn
zu halten. In einer Barackenecke fand ich, was ich
auch Revolution und der Umsturz haben an den Ver¬
suchte, dem Aeußeren nach: eine dürre, schlanke
hältnissen nichts geändert, unter denen ich litt. Vieles
Gestalt mit bleichem, abgezehrtem Gesicht, unrasiert
wurde anders, nur eines blieb das Alte: „Ich war noch
und die großen, glühenden Augen beschattet von einem
immer Kriegsgefangener, noch immer ohne Aussicht auf
wirren, schwarzen Haarschopf, der, unbekannt mit
baldige Heimkehr und noch immer von dem Wunsche
Kamm und Bürste, regellos ins Gesicht fiel. „Das ist
beseelt, wieder freier Mensch zu werden, mit Pflichten,
mein Mann!“ rief ich aus, „hier sitzt der Florian Jack¬
aber auch mit Rechten“. Die Revolution war auch an
werth, wie ich ihn mir denke ... „Ausgeschlossen,“
mir nicht ganz spurlos vorüber gezogen. Nach langem
erwiderte mein Begleiter, den kriegst du nicht aus
Herumwandern in Lagern und auf Arbeitsplätzen hatte
seiner Ecke hervor, schwer pathologisch durch die
ich knapp vor unseren Weihnachten bei dem russischen
Gefangenschaft!“ Na, ich bekam ihn doch, und nach
Bauern Trifon Matwej Astachow in dem Dorfe Hutry
einigen Proben war der Kamerad so eifrig bei der
Arbeit gefunden. Außer mir waren noch einige öster¬
Sache, die ihm außerordentliches Vergnügen machte,
reichische Plenny in diesem Dorfe bei anderen Bauern
daß er Gefangenenelend und Mysogyne vollkommen vergaß
auf Arbeit. Drei davon beherrschten die deutsche Sprache.
und ihm nur eines großen Schmerz bereitete, mein
Wir beschlossen, den kommenden heiligen Abend zu
strikter Befehl nämlich, sich ja nicht zu rasieren oder
feiern und, von der Heimatsitte etwas abweichend, unter
gar die Haare schneiden zu lassen. (Nacheseinem greßen
dem Lichterbaum wirklich wieder einmal lustig zu sein
Erfolge am Abend wollte er gern auch andere Rollen
und einige Stunden Vergangenheit und Zukunft zu
spielen, aber er konnte leider nur die eine, war nur
vergessen. Als uns ein Bauer, der selbst seine Söhne in
Florian Jackwerth.)
Osterreich kriegsgefangen hatte, noch dazu ein ge¬
Mäuschenstill ist es im Zuschauerraum. Froh und
räumiges Zimmer zur Verfügung stellte, da war die Sache
dankbar glänzen die Augen der Gäste, und in über¬
besiegelt und die Vorbereitungen konnten beginnen.
triebener Freude geben sich alle der Heiterkeit des
Bezüglich des Programmes war ich mit allem einver¬
letzten Lustspieles hin. Wenn zum letztenmal der Vor¬
standen, was meine Kameraden vorschlugen. Es sollte
hang fällt und eifrige Hände im wieder und immer
lustig werden und, dem russischen Sinne entsprechend,
wieder teilen, um den Jubel da unten zu quittieren, so
etwas zeremoniell. Fast das ganze Dorf war neugierig
uns viele ersuchten uns, ob sie auch teilnehmen dürften
hat man das Gefühl, daß es gelang, auf ein paar Stunden
alles Elend, allen Jammer vergessen zu machen.
an dieser Feier, was wir natürlich erlaubten unter der
Bedingung, daß sie uns eine Kleinigkeit an Lebensmitteln
Jedes Bataillon einen Akt.
beisteuerten. Kamerad Fuchs (heute in Wien Fachlehrer
Was aus all dem geworden ist? Vor der an¬
für Textilindustrie), sorgte für das Schmücken des
gekündigten Auflösung des Lagers wanderten Er¬
Baumes, Zubereitung des Festmahles usw. Den
innerungszeichen in die Stadt zu den kunstfreundlichen
musikalischen Teil hatte ich mit einer Ziehharmonika
Einwohnern als Schmuck und Gedenken; die Bühne
zu besorgen, und für die Festrede, welche in russischer
aber und seine Kulissen wurden von den inzwischen
Sprache gehalten werden sollte, war Kamerad Stefan
eingerückten Bolschewiken „nationalisiert“ das heißt,
(heute in Wien), ausersehen, da er am besten russisch
es spielten, solange noch ein Papierrest an unseren einst
sprechen konnte und als ehemaliger „Wagenwascher“
so sorgsam behandelten Kulissen zu sehen war, irgend¬
den nötigen Mutterwitz besaß; aber nicht nur das,
welche Vereine, Schulen und Gewerkschaften russisches
sondern es wurde ihm nachgesagt, daß er auf Wunsch
Theater, ohne viel Vorbereitungen, ohne Proben, so daß
bitterlich weinen oder auch herzlich lachen konnte, ohne
es wohl vorkam, daß ein Darsteller mitten auf der
sein Gemüt dabei zu erregen. Die anderen Plenny
Szene seine Rede unterbrach, in den Souffleurkasten
waren nur unsere Gäste und hatten weiter keine
langte und vor den Augen des Publikums im Soufflier¬
Funktionen... So kam der Abend des 24. De¬
buch nachsah, wie es denn weiterginge. Schließlich
zember 1917. Um 7 Uhr abends versammelten sich
ordnete ein allgemeiner Befehl des Moskauer Kommissariats
die Plennys bei mir und von hier aus marschierten wir
für Volksaufklärung an, daß jeder Soldat der Garnison
mit Musik und Gesang zur letzten Weihnachtsicier im
zu Bildungszwecken zweimal im Monat das Theater
Russenland. Es war ein eigentümlicher Anblick als wir
besuchen müsse. Der mit der Durchführung dieser Ver¬
in der sternenklaren, bissigkalten Winternacht bei den
ordnung betraute Kommandant schüttelte erst verzweitelt
Klängen des „Deutschmeistermarsches“ durch das Dorf
den Kopf, denn bei der Riesenstärke der militärischen
zogen, begleitet von der russischen Bevölkerung.
Besatzung (über ein Armeekorps) war es technisch
Beim „Festlokal“ angelangt, strömte und drückte
undurchführbar, diese Soldatenmenge zweimal im Monat
15. Der Puppenspieler
„DER PLENNV‘
Seite 28.
in das 440 Personen fassende Theaterchen zu zwängen.
riens, ist gekommen und schreitet unter Tücherwinken
Endlich eröffnete folgender Befehl des Nowo-Nikola¬
und Begrüßungstosen ihrem Ehrenplatze zu. Erst der
jewsker Militärkommandos einen Ausweg: „Das Regiment
Taktstock des Kapellmeisters macht dem Jubel ein Ende,
X besucht heute das Theater, und zwar: 1. Bataillon
den das Erscheinen dieser wundervollen Frau ausgelöst
den ersten Akt, 2. Bataillon den zweiten und 3. Bataillon
hat, deren Werk und Wirken aber von jenen Tausenden
den dritten Akt.“ Auf diese Art konnte der Vollzug des
gefühlt wurde.
Befehles gemeldet und die gewünschte Volksaufklärung
Szene um Szene geht vorüber; überlegen und
als durchgeführt angesehen werden.
sicher, dank der vielen Proben, mimen die jungen Leute
da oben ihre Aufgaben, ohne Souffleur und ohne Inspi¬
zienten (der militärische Einschlag kommt diesem kleinen
Weihnachts-Erinnerungen.
theatralischem Staatswesen zweifellos sehr zugute).
Von Franz Lang, Mistelbach. (Schluß.)
Einen Sondererfolg holte sich in -den-„Letzten
Masken“ der Darsteller des Florian Jackwerth, Leutnant
Und wieder kamen Weihnachten, Weihnachten 1917.
Dr. Sch., auf dessen Entdeckung ich besonders stolz
Das Revolutionsjahr war vorbeigegangen und hatte
bin. Mir fehlte nämlich im ständigen Ensemble ein guter
vieles geändert. Was einst glänzte und regierte, das lag
Vertreter für diese Rolle, und so ging ich unter der
in Staub und Kot und an der Spitze standen neue
Führung des zuständigen „Kunstreferenten“ ins benach¬
Männer aus dem Volke. Ein erschütterndes Ereignis in
barte Lager, dort nach einem „A. G.-Spieler“ Ausschau
der Weltgeschichte, für mich aber ohne Interesse! Denn
zu halten. In einer Barackenecke fand ich, was ich
auch Revolution und der Umsturz haben an den Ver¬
suchte, dem Aeußeren nach: eine dürre, schlanke
hältnissen nichts geändert, unter denen ich litt. Vieles
Gestalt mit bleichem, abgezehrtem Gesicht, unrasiert
wurde anders, nur eines blieb das Alte: „Ich war noch
und die großen, glühenden Augen beschattet von einem
immer Kriegsgefangener, noch immer ohne Aussicht auf
wirren, schwarzen Haarschopf, der, unbekannt mit
baldige Heimkehr und noch immer von dem Wunsche
Kamm und Bürste, regellos ins Gesicht fiel. „Das ist
beseelt, wieder freier Mensch zu werden, mit Pflichten,
mein Mann!“ rief ich aus, „hier sitzt der Florian Jack¬
aber auch mit Rechten“. Die Revolution war auch an
werth, wie ich ihn mir denke ... „Ausgeschlossen,“
mir nicht ganz spurlos vorüber gezogen. Nach langem
erwiderte mein Begleiter, den kriegst du nicht aus
Herumwandern in Lagern und auf Arbeitsplätzen hatte
seiner Ecke hervor, schwer pathologisch durch die
ich knapp vor unseren Weihnachten bei dem russischen
Gefangenschaft!“ Na, ich bekam ihn doch, und nach
Bauern Trifon Matwej Astachow in dem Dorfe Hutry
einigen Proben war der Kamerad so eifrig bei der
Arbeit gefunden. Außer mir waren noch einige öster¬
Sache, die ihm außerordentliches Vergnügen machte,
reichische Plenny in diesem Dorfe bei anderen Bauern
daß er Gefangenenelend und Mysogyne vollkommen vergaß
auf Arbeit. Drei davon beherrschten die deutsche Sprache.
und ihm nur eines großen Schmerz bereitete, mein
Wir beschlossen, den kommenden heiligen Abend zu
strikter Befehl nämlich, sich ja nicht zu rasieren oder
feiern und, von der Heimatsitte etwas abweichend, unter
gar die Haare schneiden zu lassen. (Nacheseinem greßen
dem Lichterbaum wirklich wieder einmal lustig zu sein
Erfolge am Abend wollte er gern auch andere Rollen
und einige Stunden Vergangenheit und Zukunft zu
spielen, aber er konnte leider nur die eine, war nur
vergessen. Als uns ein Bauer, der selbst seine Söhne in
Florian Jackwerth.)
Osterreich kriegsgefangen hatte, noch dazu ein ge¬
Mäuschenstill ist es im Zuschauerraum. Froh und
räumiges Zimmer zur Verfügung stellte, da war die Sache
dankbar glänzen die Augen der Gäste, und in über¬
besiegelt und die Vorbereitungen konnten beginnen.
triebener Freude geben sich alle der Heiterkeit des
Bezüglich des Programmes war ich mit allem einver¬
letzten Lustspieles hin. Wenn zum letztenmal der Vor¬
standen, was meine Kameraden vorschlugen. Es sollte
hang fällt und eifrige Hände im wieder und immer
lustig werden und, dem russischen Sinne entsprechend,
wieder teilen, um den Jubel da unten zu quittieren, so
etwas zeremoniell. Fast das ganze Dorf war neugierig
uns viele ersuchten uns, ob sie auch teilnehmen dürften
hat man das Gefühl, daß es gelang, auf ein paar Stunden
alles Elend, allen Jammer vergessen zu machen.
an dieser Feier, was wir natürlich erlaubten unter der
Bedingung, daß sie uns eine Kleinigkeit an Lebensmitteln
Jedes Bataillon einen Akt.
beisteuerten. Kamerad Fuchs (heute in Wien Fachlehrer
Was aus all dem geworden ist? Vor der an¬
für Textilindustrie), sorgte für das Schmücken des
gekündigten Auflösung des Lagers wanderten Er¬
Baumes, Zubereitung des Festmahles usw. Den
innerungszeichen in die Stadt zu den kunstfreundlichen
musikalischen Teil hatte ich mit einer Ziehharmonika
Einwohnern als Schmuck und Gedenken; die Bühne
zu besorgen, und für die Festrede, welche in russischer
aber und seine Kulissen wurden von den inzwischen
Sprache gehalten werden sollte, war Kamerad Stefan
eingerückten Bolschewiken „nationalisiert“ das heißt,
(heute in Wien), ausersehen, da er am besten russisch
es spielten, solange noch ein Papierrest an unseren einst
sprechen konnte und als ehemaliger „Wagenwascher“
so sorgsam behandelten Kulissen zu sehen war, irgend¬
den nötigen Mutterwitz besaß; aber nicht nur das,
welche Vereine, Schulen und Gewerkschaften russisches
sondern es wurde ihm nachgesagt, daß er auf Wunsch
Theater, ohne viel Vorbereitungen, ohne Proben, so daß
bitterlich weinen oder auch herzlich lachen konnte, ohne
es wohl vorkam, daß ein Darsteller mitten auf der
sein Gemüt dabei zu erregen. Die anderen Plenny
Szene seine Rede unterbrach, in den Souffleurkasten
waren nur unsere Gäste und hatten weiter keine
langte und vor den Augen des Publikums im Soufflier¬
Funktionen... So kam der Abend des 24. De¬
buch nachsah, wie es denn weiterginge. Schließlich
zember 1917. Um 7 Uhr abends versammelten sich
ordnete ein allgemeiner Befehl des Moskauer Kommissariats
die Plennys bei mir und von hier aus marschierten wir
für Volksaufklärung an, daß jeder Soldat der Garnison
mit Musik und Gesang zur letzten Weihnachtsicier im
zu Bildungszwecken zweimal im Monat das Theater
Russenland. Es war ein eigentümlicher Anblick als wir
besuchen müsse. Der mit der Durchführung dieser Ver¬
in der sternenklaren, bissigkalten Winternacht bei den
ordnung betraute Kommandant schüttelte erst verzweitelt
Klängen des „Deutschmeistermarsches“ durch das Dorf
den Kopf, denn bei der Riesenstärke der militärischen
zogen, begleitet von der russischen Bevölkerung.
Besatzung (über ein Armeekorps) war es technisch
Beim „Festlokal“ angelangt, strömte und drückte
undurchführbar, diese Soldatenmenge zweimal im Monat