III, Einakter 9, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Literatur, Seite 18

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9. Literatur
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Ausschnitt aua:
nigsberger Hartung'sche Zeitinn
6-DEL190F
1 S
Kam
Königsberg i. Pr.
wie in den „Bajazzi“. In der ersten Beziehung ermangelt der Dich=] Weibes den Buhlen
ter der großen historischen Intuition, kommt über eine von wunder= des sich entehrt füh
Stadttleater.
vollen Zyuismen durchsetzte „Nach uns die Sintflut“=Stimmung stumm bleibt, in jä
Schausiel.
nicht hinaus, wie sie Karl Hans Bartsch in seinem neuen Novellen= Tode. In Angst u
buch
Mal den Mut der
„Vom sterbenden Rokoko“ und andere wohl tiefer
Schnitzler Abend.
In psychologischer Hinsicht gibt er aber sein
erfaßt
Lionardo nieder. 2
haben.
Wenn man die verschiebenen Seelen, die in des Anatol=Dichters
Bestes.
Wir suchen, selbst in Zweifeln hin= und herge¬
Statue auf den
Brust sich zu einer durch und durch harmonischen Einheit der Per¬
worfen, die Grenze zwischen Spiel und Leben, wenn der Schau¬
schöpferische Ahnung
sönlichkeit vermählen, demonstrieren wollte, so konnte man keine
spieler Henri, seit 24 Stunden Gatte der Schauspielerin Leocadie,
mitsamt der unge
dbessere Wahl treffen als die der drei Einakter am Sonnabend. Frei¬
Pinsel und Palette,
die eine Dirnennatur ist wie alle Frauen des Stücks bis herauf zur
lich gibt Artur Schnitzler als Dramatiker noch nicht sein Reifstes
Die Bühne erhellt
Marquise von Lansac, um die Angebetete schwärmt, rast und mordet.
und Feinstes. Er ist viel eher ein Gefährte stiller Stunden, in
den Künstlergatten
Herr Brock bot gerade in dem Uebergang vom Komödianten zum
denen ein andeutendes Wort fortschwingt und neue Gedankenkreise
fühlenden Menschen eine ungemein fesselnde Leistung und einen
zieht, bis es innerlich ausgedeutet ist, in denen zwischen den Zeilen
Die Darstellung dus
kleinen Beitrag zu Hermann Bahrs Ausführungen über die Psycho¬
des Buchs die wortlose Stimmung zu weben beginnt. Der Dra¬
Brock zeugte von
logie des Schauspielers. Gleich an zweiter Stelle steht die Marquise
matiker muß aber durch das mit einer gewissen Wucht und Ein¬
den Duft, der über
Séverine, die, nicht so sittenstreng wie ihr Name, vielmehr eine
deutigkeit gesprochene Wort wirken, das schon im nächsten Augen¬
Regie von Herrn I
„grande amoureuse“ und dabei eine geistvolle Zynikerin ist. Hier
blick verloren ist. Darum hat man Schnitzler am Sonnabend wohl
Publikum, das hier
konnte Frl. Schertoff alle Vorzüge ihres starken Talents ungehemmt
gut, aber nicht ganz kennen gelernt.
im übrigen eine un
entfalten und eine prachtvolle Figur schaffen. Aus dem Gewimmel
Trotzdem gibt uns der Dichter in den drei Einaktern eine klare
der übrigen Stammgäste, die sich am Abend des Bastillesturms im
Anschauung von seinen Lieblingsproblemen, der Frauenseele und der
„grünen Kakadu“ versammeln, seien nur noch der revolutionär ge¬
Künstlerseele, und zugleich seines eigenes Temperaments, das sich
sinnte Wirt Prospère des Herrn Spannaus und der naive wirk¬
immer kunst= und geistvoll, oft verblüffend, nicht selten in glitzernder
liche Verbrecher des Herrn Remanoff hervorgehoben, aller übrigen,
Eigenart zeigt. Schnitzler ist ein menschenfreundlicher Skeptiker,
die zum brillanten Gelingen nach besten Kräften beitrugen, sei nur
ein nachsichtiger Beobachter von gesundem Empfinden, der mit seinem
ehrenvoll gedacht.
Humor seine Gestalten und namentlich seine Lieblinge, die Frauen
„Die Frau mit dem Dolch“ ist vielfach unverstanden ge¬
und Künstler, sich selbst in ihren liebenswürdigen Schwächen entlarven
blieben, was nicht wundernehmen kann. Hier ringt Schnitzler mit dem ###
läßt, der aber auch den tieferen, ernsteren Regungen aus den Hinter¬
Höchsten, ohne es bezwingen zu können. „Die Frau mit dem Dolch“
gründen der Seele Form und Farbe zu leihen vermag. „Liieratur“
ist ein altes Florentiner Bild auf Leinwand, aber Schnitzler hat!
ist wohl das erlebteste von den drei Szenen, ein Stimmungsbild von
dessen geheimnisvollen Sinn, den es ihn zu entschleiern reizte, nicht
den Grenzmarken zwischen künstlerischer Bohème und korrekter
zu einem konkreten geistigen Bilde gestalten können. Es ist eine
guter Gesellschaft. Hier ist der Künstler der nervöse eitle Mann
Skizze geblieben, die nur den Wert eines Experiments hat, freilich
und Egoist, sogar in der Liebe — man sieht, Schnitzler verteilt
eines nach außen wie nach innen ungeheuer interessanten Experiments.
die Gaben unparteiisch an beide Geschlechter — die Frau das „Weib¬
Der junge Leonhard und Pauline, die junge Frau eines gefeierten
chen“, das trotz eines starken geistigen Defizits in der Belletristik herum¬
Dichters, stehen vor dem Bilde, das eine junge Frau vorstellt, die
dilettiert, das in der Liebe sentimental und dabei doch von einer ent¬
ihren Liebhaber getötet hat. Die Frau ähnelt im Ausdruck des
zückenden Gedächtnisschwäche ist. Es besteht keine Kontinuität in
Antlitzes Paulinen. Leonhard fleht die junge Frau um ein Stell¬
ihrem Liebesleben, wie man es jüngst auch bei der „schönen Meg“
dichein, um Erhörung seiner Liebe, da ihr Gatte im Hochmut des
gesehen hat, sie kann einfach vergessen, wo der Mann nur begraben
großen Künstlers und Meisters in ihr doch nur ein Geschöpf sehe,
kann. Auf eine rationalistische Erzählung der Handlung sei hier ver¬
das seiner künstlerischen Inspiration dienen müsse. Die phantastische
zichtet, weil das einem glänzenden Schmetterling den Flügelstaub ab¬
junge Frau träumt sich nun selbst in die Situation und die Zeit des
streifen hieße. Der Darstellung fehlte bei aller Tüchtigkeit etwas In¬
Bildes hinein, wobei unter dem Geläute der Mittagsglocken bei ver¬
timität, die freilich in einem Theater mit drei Rängen nur schwer
dunkelter Bühne die Szenenverwandlung vor sich geht, die aus dem
hervorgezaubert werden kann. Frl. Schertoff war wohl auch mehr
Traum ein Leben macht. Sie ist Paola, die Gattin des großen Malers
als ein Gran zu klug für die Dame mit dem Geschmack des Wiener
Ziemigio zur Zeit der Renaissance. In A#wesenheit des Gatten hat sie einem
Witzblatts „Pschütt“, Herr v. d. Heyden war etwas zu norddeutsch,
jungen Fant Lionardo ihre Gunst geschenkt. Ein Akt körperlicher Leiden¬
und Herr Jacoby entfernte sich ein wenig von dem Tyv eines
schaft, an dem ihre Seele keinen Ameil hat, der ausgelöscht ist mit dem
Wiener Turfaristokraten.
Morgengrauen, da ihre wache Seele Remigio gehört. Aber Lionardo
„Vergrüne Kakadu“ ist der Name einer Pariser Künstler¬
will nicht so fortgejagt werden. Er droht und reizt Paola, erst mit
kneipe, wo liederliche Komödianten unter dem Grollen der Revolution
senem Selbstmord, dann mit der Enthüllung ihres Fehltritts. Da #
zur Belustigung eines raffinierten Aristokratenpublikums Verbrecher
kehrt Remigio unerwartet zurück. Und aufs höchste erregt durch den
mimen. Das eminent wirksame Stück hat zwei Angelpunkte, einen
Vorwurf der Feigheit in Lionardos Drohungen empfüngt Paola ihren
psychologischen und einen historischen. Hier wird der Zeitgeist be¬
schworen, dort verwischen sich die Grenzen von SSpiel und Leben, Gatten mit dem Gesesgenig, Tieser heißt in kalter Verachaunn seines